Sechs Wichtige zu Gast bei der Ravensburger Runde
Streitthemen Umwelt, soziale Gerechtigkeit und innere Sicherheit bestimmen die Ravensburger Runde zur Bundestagswahl
Eine teilweise hochemotionale Debatte haben die Gäste am Donnerstagabend bei der Ravensburger Runde zur Bundestagswahl (Foto: Drescher) erlebt. Umwelt, soziale Gerechtigkeit, innere Sicherheit – die sechs Südwest-Spitzenpolitiker (von rechts nach links) Leni Breymaier (SPD), Michael Theurer (FDP), Alice Weidel (AfD), Thomas Bareiß (CDU), Bernd Riexinger (Linke) und Kerstin Andreae (Grüne) diskutierten im Medienhaus mit Hendrik Groth, dem Chefredakteur der „Schwäbischen Zeitung“.
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RAVENSBURG - Dass hier zwei Welten aufeinander stoßen, war in diesem Fall schon rein äußerlich erkennbar: Kerstin Andreae, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, erschien zur Ravensburger Runde in einem schlichten blauen Kleid mit Ausschnitt, die Haare offen. Drei Stühle weiter hatte Alice Weidel Platz genommen.
„Ich bin kategorisch gegen Fahrverbote.“Thomas Bareiß (CDU)
Die AfD-Spitzenkandidatin trug schwarze Jeans, hochgeschlossene Bluse und Caro-Jacke, dazu eine strenge Steckfrisur. Gegensätze, die sich in der politischen Debatte fortsetzen sollten, etwa beim Thema Umwelt.
Andreae sagte: „Der Klimawandel ist das zentrale Thema, was unsere künftige Lebensqualität angeht.“Dies sei nicht mit grüner Brille gesehen, sondern ökonomisch sinnvoll, weil „Wirtschaft und Umwelt zusammengehören“, sich gegenseitig bedingten. Weidel dagegen: In einem Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“hatte sie diese Woche erst den menschengemachten Klimawandel ins Reich der Fantasie verwiesen. Nun sagte sie etwa zum Thema Feinstaub: Da „sollten wir uns die
Grenzwerte und die wissenschaftlichen Grundlagen doch einmal genauer ansehen“. Sprich: alles Unfug, Klimawandel und Feinstaub, nur hausgemachte Probleme.
Als lahm und langweilig wurde der Bundestagswahlkampf bisher gerne beschrieben, als weitestgehend reibungslos und harmlos. Dass es allerdings neben dem vermeintlichen Kuschelkurs von Kanzlerin Merkel (CDU) und Kandidat Schulz (SPD) auch um Konzepte und Köpfe geht, die kaum unterschiedlicher sein könnten, um Vorstellungen eines künftigen Deutschlands, die weit auseinanderklaffen, das wurde an diesem Abend im Ravensburger Medienhaus deutlich.
Auf dem Podium neben Moderator Hendrik Groth, Chefredakteur der „Schwäbischen Zeitung“, die Spitzenkandidaten aus Baden-Württemberg für die Bundestagswahl: Neben Kerstin Andreae und Alice Weidel der energiepolitische Koordinator der CDU-Bundestagsfraktion, Thomas Bareiß, die SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier, Bernd Riexinger, Bundesvorsitzender der Linken, sowie der Europa-Parlamentarier Michael Theurer (FDP). Um drei Kernfelder ging es: soziale Gerechtigkeit, innere Sicherheit und eben Umwelt/ Wirtschaft.
Bei Letzterem musste es zwangsläufig um den Dieselskandal gehen, wobei sich überraschende Koalitionen ergaben: Alice Weidel sprach dem Diesel ihr Vertrauen aus, die AfD fordere für diese Technik eine Garantie bis 2050. Im Grundsatz wollten weder Thomas Bareiß („Der Diesel gilt als effizient und sparsam“) noch FDPMann Michael Theurer („Ich warne vor Phantomdebatten“) widersprechen, uneins war man sich alleine über den Kurs der Kanzlerin, die nicht als Anhängerin des Verbrennungsmotors gilt. Lacher erntete Bernd Riexinger, als der Linke meinte: „Wir sind ökologischer als die Grünen.“Allerdings konnte Riexinger diese These untermauern: „Autofahren hat heute doch nichts mehr mit Mobilität zu tun“, sagte er und verwies auf die vielen Staus. Deshalb solle man auch weniger um Technologien streiten, sondern Mobilitätskonzepte entwerfen. Und: „Der öffentliche Nahverkehr ist in Deutschland viel zu teuer.“Dafür gab es keine Lacher, sondern Applaus. Moderator Hendrik Groth musste nur selten eingreifen, die Protagonisten lieferten sich stellenweise einen hochemotionalen Schlagabtausch, ohne ausfallend zu werden. So auch beim Thema soziale Gerechtigkeit, bei dem Bernd Riexinger erneut Kante zeigte: „Die unteren und mittleren Einkommen müssen entlastet werden.“Ab einem Einkommen von 7100 Euro solle ein höherer Einkommenssatz greifen. Außerdem plädierte er für eine Vermögenssteuer.
Massiver Einspruch von Thomas Bareiß. Der CDU-Mann sagte: „Soziale Gerechtigkeit ist alles, was Arbeit schafft.“Sein Motto: „Leistung muss belohnt werden.“Der Konter von Leni Breymaier folgte auf den Fuß: „Es geht darum, den Staat aufrecht zu erhalten“, deshalb müssten „Menschen im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit sich (steuerlich, die Red.) daran beteiligen“.
Michael Theurer plädierte für eine „kleine Steuerreform“, die allerdings die Abschaffung der kalten Progression beinhalten solle. Dafür ist auch AfD-Kandidatin Weidel, die allerdings eine Vermögenssteuer strikt ablehnte, sie forderte eine Steuervereinfachung sowie die Absenkung der Mehrwertsteuer auf zwölf Prozent. Das kommt beim kleinen Mann gewiss gut an, rief in der Runde aber nur Kopfschütteln hervor, verbunden mit der Aussage: „Wo wollen Sie denn die Milliarden hernehmen?“, die Forderung sei nicht realistisch. Antwort Weidel: „Dann informieren Sie sich einfach besser.“So lässt sich auch eine Debatte abwürgen, die beim Thema innere Sicherheit aber wieder Fahrt aufnahm.
War die Diskussion schon bei Diesel und sozialer Gerechtigkeit lebhaft, steigerten sich die Emotionen auf dem Podium noch einmal deutlich, als es um das Thema innere Sicherheit und die AfD-EidbrecherKampagne gegen Kanzlerin Angela
Merkel ging. „Man kann die Bundesregierung kritisieren, ohne eine schmutzige Kampagne zu führen“, warf Theurer seiner Nebensitzerin Weidel vor, die zuvor den Schulterschluss mit ihm gesucht hatte. Die AfD untergrabe rechtsstaatliche Prinzipien, wenn sie drohe, Merkel vor ein Gericht stellen zu wollen, sich dabei aber nicht an rechtsstaatliche Verfahren halte. „Dann müssten Sie Merkel halt anzeigen.“
Überhaupt hatte Alice Weidel zum Schluss einen schweren Stand, als sie darauf beharrte, dass Merkel in der Flüchtlingspolitik und bereits zuvor in der Eurorettungspolitik gegen europäisches und deutsches Recht verstoßen habe – und somit auch dem Ansehen Deutschlands in Europa geschadet habe. „Rechtspopulismus verroht unsere demokratische Kultur und schadet unserem Ansehen in Deutschland“, entgegnete Kerstin Andreae. Und auch Thomas Bareiß meinte: „Das ist einfach unanständig.“
Linken-Chef Riexinger, der nach dem G20-Gipfel eine sehr konkrete Morddrohung erhalten hatte, appellierte an Politik und Publikum: „Es darf bis aufs Messer gestritten werden, aber nicht mit Argumenten unter der Gürtellinie und nicht mit Drohungen.“
Und dann erlebten die Besucher noch einen seltenen Moment der längst vergessenen Nähe zwischen Liberalen und Sozialdemokraten: Nachdem Theurer klar gestellt hatte, dass nicht „wir ein Problem mit Flüchtlingen haben, sondern die meisten Flüchtlinge ein Problem mit dem Land haben, wo sie herkommen“, meinte Breymaier: „Ich bin überrascht, wie einig ich heute Abend mit Herrn Theurer bin.“
Die Ravensburger Runde war schon im Vorfeld auf großes Interesse gestoßen, die 150 Plätze im Medienhaus an der Karlstraße waren im
„Wir Grüne können vom Klimaschutz nicht weggehen.“
Kerstin Andreae (Grüne)
„Ich finde , die Grünen sind schon ganz schön schwarz geworden.“Bernd Riexinger (Linke)
„Jede Diskussion über die Rente mit 70 halte ich für eine glatte Unverschämtheit.“Leni Breymaier (SPD)
„Angela Merkel hat eine Spaltung der Gesellschaft herbeigeführt.“Alice Weidel (AfD)
„Das ist eine schäbige Argumentation.“Michael Theurer (FDP)
Nu vergriffen, darüber hinaus war neben der Deutschen Presseagentur (dpa) auch ein Reporter der britischen Zeitung „Daily Telegraph“vor Ort sowie ein britisches Fernsehteam von BBC World, das in Ravensburg seine Berichterstattung zur Bundestagswahl begann. Das Kommen hatte sich für alle Beteiligten gelohnt, auch für Klaus Wäscher aus Bergatreute (Kreis Ravensburg): „Das Kanzlerduell im Fernsehen war schwach. Hier wird viel offener und auch inhaltsreicher diskutiert.“Ob er denn schon wüsste, wo er sein Kreuz bei der Bundestagswahl macht? „Nein. Aber nach dieser Debatte weiß ich, was ich nicht wähle.“Das ist ja schon mal was.
Die Ravensburger Runde können Sie in einer Aufzeichnung auf RegioTV sehen. Termine: Samstag 18 Uhr, Sonntag 21 Uhr. Eine Bilderstrecken sehen Sie unter www.schwäbische.de/rvrunde.