„Viele fühlen sich in unseren ländlichen Regionen abgehängt“
Thomas Bareiß (CDU) über enttäuschte CDU-Anhänger, die AfD gewählt haben, und eine Jamaika-Koalition, die er für notwendig hält
BERLIN - Thomas Bareiß wird auch in der neuen Legislaturperiode den Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen als Direktkandidat für die CDU im Bundestag vertreten. Der studierte Betriebswirt erreichte 2013 noch deutschlandweit das zweitbeste Erststimmenergebnis, musste jetzt aber auch Verluste einstecken. Der 42-jährige Politiker steht für den konservativen Teil der CDU. Im Interview mit Sabine Lennartz und Kara Ballarin spricht er über die Konsequenzen, die seiner Meinung nach aus den Ergebnissen der Bundestagswahl gezogen werden müssten.
Herr Bareiß, tickt der Süden eigentlich anders? Aus der CSU und Baden-Württembergs CDU kommen viele Konservative.
Wir haben leider in allen traditionellen Unions-Ländern stark verloren, in Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Thüringen. Dort gibt es wohl bei unseren Stammwählern am meisten Verunsicherung. Das sollte uns zu denken geben.
Was denken Sie, war der Hauptgrund?
Eines der großen Themen im Wahlkampf war die Flüchtlingswelle und die enorme Zuwanderung, da hilft kein drum herumreden. Die Menschen haben den Wunsch, dass Politik ihre Sorgen und Ängste ernst nimmt und in der Lage ist, Antworten zu finden. Außerdem muss Politik die Sehnsucht nach Sicherheit, Heimat und einem verlässlichen Wertefundament aufgreifen, gerade bei uns im ländlichen Raum. Viele fühlen sich in unseren ländlichen Regionen abgehängt. Das zieht sich durch viele Lebensbereiche. Darauf müssen wir Antworten finden, damit die Menschen im ländlichen Raum wieder das Gefühl haben, es kümmert sich einer um ihre Anliegen. Das wird wichtiger Schwerpunkt der nächsten Jahre sein.
„Ihr seid doch alle gleich“, hieß es oft im Wahlkampf. Wo müssen Sie ihr Profil besonders schärfen?
CDU und CSU sind die letzten großen Volksparteien. Diesen Wert müssen wir verteidigen. Der Grundsatz, rechts von uns darf es keine Partei geben, gehört zur DNA der Union. Deshalb müssen wir den Wählern der AfD, die uns einen Denkzettel geben wollten, wieder eine Heimat geben. Das schaffen wir auch durch starke Parteiflügel, die sich um wertkonservative und wirtschaftsliberale Wähler kümmern. Das sind ganz, ganz wichtige Säulen unserer CDU.
CDU und CSU treffen sich, um den Kurs zu justieren. Geht das schnell?
Ich bin davon überzeugt, dass CDU und CSU sich schnell einig werden. In den nächsten Wochen geht es darum, für die Zukunft unseres Landes Verantwortung zu übernehmen. Wir müssen jetzt ehrlich und offen mit der FDP und den Grünen in Gespräche einsteigen. Das ist die einzig denkbare Option. Die Jamaika-Koalition ist keine Wunschkoalition, aber nachdem der Wähler gesprochen hat, müssen wir uns dem jetzt stellen. Ich bin davon überzeugt, wir bekommen da auch was Anständiges hin. Allerdings gilt für die CDU, nicht um jeden Preis.
Sind CDU und CSU noch richtige Schwestern?
Natürlich! Wir haben zwar manchmal unterschiedliche Perspektiven auf die Dinge, manchmal wird auch gestritten, aber das gehört dazu. Die CDU braucht die CSU und die CSU braucht die CDU, wir sind und bleiben eine Familie.
Ist für Baden-Württemberg die Zusammenarbeit mit den Grünen leichter als für die CSU in Bayern?
Das weiß ich nicht, aber meine Erfahrung ist, dass wir uns mit den Grünen in Berlin wesentlich schwerer tun werden als mit den Grünen in Baden-Württemberg.
Wie schaffen Sie es, dabei den eigenen Markenkern herauszuarbeiten?
In einer Koalition müssen immer alle Seiten Kompromisse machen. Da werden auch wir schon noch die eine oder andere Kröte schlucken müssen. Allerdings muss allen klar sein, die Union hat dreimal mehr Stimmen erhalten als FDP und Grüne. Dieses Kräfteverhältnis muss sich auch im Koalitionsvertrag widerspiegeln. Dazu braucht es ein klares Unions-Profil. So zum Beispiel bei Integration, Zuwanderung und Leitkultur. Da werden wir harte und grundsätzliche Debatten führen. Das wird den Mehltau über unserem Land ziemlich aufwirbeln. Aber das wird uns gut tun. Deutschland braucht wieder große Debatten und in einer Demokratie muss für den besten Weg auch mal gestritten werden. Denn schließlich leben wir in einer spannenden und wichtigen Zeit in der es um große Fragen geht. Vielleicht ist da eine Jamaika-Koalition auch eine Chance.