Sicherer Hafen oder neue Ufer
Der zurückliegende Machtkampf bei ZF hat die Probleme in der Eigentümerstruktur des Autozulieferers offenbart
● ine rote Streikweste der IG Metall über den Schultern redete sich Martin Schulz vor wenigen Wochen in Rage. „Dass durch Arbeitsplatzabbau die Effizienz des Unternehmens gesteigert wird, heißt übersetzt: Damit wir noch ein bisschen mehr Gewinn machen, schmeißen wir die Leute raus.“Der SPD-Chef drohte Siemens und nannte Vorstandschef Joe Kaeser „verantwortungslos“und „asozial“. Hintergrund war die Ankündigung des Konzerns, Werke der Kraftwerkssparte zu schließen. Kaeser antwortete auf die Schulz’sche Attacke in einem offenen Brief, mit den Stellenstreichungen gehe Siemens „entschlossen Herausforderungen und Chancen der Zukunft“an – und keilte zurück: Verantwortungslos sei vielmehr der, der „sich der Verantwortung und dem Dialog“entziehe. Schulz und seine SPD waren in Berlin damals noch strikt auf Oppositionskurs.
Ein Plan, zwei Interpretationen: Schulz fordert von einem globalen Konzern, der bei einem Umsatz von 83 Milliarden Euro zuletzt mehr als sechs Milliarden Euro verdiente, Solidarität mit den Mitarbeitern des kriselnden Kraftwerksbereichs. Kaeser denkt anders, er fordert von allen Siemens-Sparten schwarze Zahlen – und aus Sicht des Bayern kümmert sich der Konzern am besten um seine Mitarbeiter, wenn Siemens mit all seinen Geschäften Geld verdient.
Selten sind in der Vergangenheit Spitzenpolitiker und Wirtschaftsführer so aneinandergeraten. Es geht darum, wem der deutsche Konzern Siemens mehr verpflichtet ist – seinem Heimatland oder guten Ergebnissen, um die Arbeitsplätze aller 380 000 Mitarbeiter zu sichern, von denen zwei Drittel im Ausland arbeiten? Für die „Zeit“stellt sich die Frage: „Wie patriotisch muss ein Manager sein?“
In Friedrichshafen am Bodensee hat es auch gekracht zwischen Politik und Wirtschaft. Nach einem Machtkampf zwischen ZF-Vorstandschef Stefan Sommer und Friedrichshafens Oberbürgermeister Andreas Brand (parteilos), der in der Zeppelin-Stiftung den mit Abstand wichtigsten Eigentümer des drittgrößten Autozulieferers der Welt vertritt, räumte der Manager vor zwei Wochen seinen Posten. Brand muss nun zusammen mit dem Aufsichtsrat einen neuen Chef für den Konzern finden, der in diesem Jahr einen Umsatz von fast 40 Milliarden Euro erwirtschaften wird. Wie bei Siemens stellt sich auch bei ZF eine Frage – zumindest auf den ersten Blick: Nicht wie patriotisch, sondern wie schwäbisch muss ein Manager sein?
Vom Machtkampf und seinem für Sommer so abrupten Ende gibt es zwei Erzählarten. Da ist die vom bundesweit geachteten Automobilexperten, der den Getriebehersteller rüsten wollte für die
Zeit, in der nicht mehr Verbrennungsmotoren die autonom fahrenden
Autos der Zukunft antreiben. Zukäufe, Kooperationen mit branchenfremden Unternehmen und der Aufbau internationaler Standorte sollten ZF auf Augenhöhe mit Rivalen wie Bosch und Conti bringen. Doch der Eigentümer gewährte Sommer nicht die „Freiheit zu tun, was notwendig ist“, wie der Ingenieur in der „Schwäbischen Zeitung“beklagte. Es werde „für den unternehmerischen
EErfolg kritisch, wenn lokalpolitische Erwägungen aus Friedrichshafen die Unternehmensstrategie bestimmen“. Der Vorstoß war ein Angriff, den bislang noch kein ZF-Chef gewagt hatte und der bei den beiden Eigentümern – der Zeppelin-Stiftung (93,8 Prozent der Anteile) und der Ulderup-Stiftung – für Fassungslosigkeit und den Entschluss sorgte, sich von Sommer zu trennen. Die Version des Machtkampfs, die man sich im Umfeld des Friedrichshafener Rathauses erzählt, hat jedoch einen völlig anderen Kern als der Sommer’sche. Nicht lokalpolitisches Kalkül, nicht die Verteidigung von Arbeitsplätzen und Produktion am Bodensee, nicht das Infragestellen der fortschrittlichen
Strategie, die maßgeblich vom entlassenen ZFChef stammt, führten dieser Interpretation zufolge zum Bruch, sondern der Dissens in einer einzigen Frage, der Frage nach der Notwendigkeit und der Finanzierbarkeit eines weiteren Milliardenzukaufs.
Nur zwei Jahre nach der Übernahme des US-Zulieferers TRW wollte Stefan Sommer im Frühjahr den belgisch-amerikanischen Bremsenhersteller
Wabco übernehmen.
Kosten: wohl rund sieben Milliarden Euro. Von der strategischen Bedeutung her eindeutig eine logische und passende Aquisition. Mit den Lastwagenbremsen von Wabco wäre ZF auch im Nutzfahrbereich zu einem Systemanbieter geworden. Der Aufsichtsrat sah das anders. „Das Gremium hat die Transaktion geprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Finanzierung nicht gesichert ist und die Risiken so groß sind, dass der Kauf zu einem Notbörsengang führen könnte“, sagt eine Person aus dem Umfeld des Aufsichtsrats. „Doch anstatt diese Entscheidung zu akzeptieren, hat Sommer, die Eigentümer öffentlich unter Druck gesetzt.“Auf den ersten Blick geht es bei der Auseinandersetzung um die Frage, wie schnell und mit welchem Risiko man einen Konzern umbauen muss, damit er für die ungewisse automobile Zukunft vorbereitet ist. Auf den zweiten Blick geht es aber um etwas anderes: Wer bestimmt die Grundentscheidungen eines Konzerns? Und diese Frage hat Stefan Sommer für sich falsch beantwortet. Noch immer gilt: Wer zahlt, schafft an. Und das ist bei ZF die Zeppelin-Stiftung der Stadt Friedrichshafen mit ihrem Oberbürgermeister Andreas Brand. Allerdings ergibt sich aus dieser Konstruktion eine weitere Frage, die mit der Entlassung von Stefan Sommer so offenkundig wie nie zuvor geworden ist. Es ist die Siemens-Frage vom Bodensee: Wem ist ZF verpflichtet – der Stadt Friedrichshafen, die das Unternehmen besitzt und die auf die Dividende des Unternehmens angewiesen ist? Oder den Hunderten von ZF-Standorten und den knapp 140 000 Mitarbeitern, die überall auf der Welt für den Autozulieferer arbeiten? Ist es legitim, wenn sich ZF nicht ganz optimal entwickelt, dafür aber die Zentrale und die Produktion in Friedrichshafen gestärkt werden? Genau das hat Stefan Sommer Andreas Brand vorgeworfen. Und in der Person Brand kristallisiert sich der Konflikt: Als Mitglied im Aufsichtsrat hat er einzig und allein im Interesse des Gesamtkonzerns zu handeln – als Vertreter der Zeppelin-Stiftung und als Oberbürgermeister muss er jedoch die Interessen der 60 000 Friedrichshafener im Blick behalten.
Alle Stakeholder im Blick
Im Gegensatz zu Stefan Sommer hält Andreas Brand die Konstruktion für unproblematisch. „Wie jeder gute Eigentümer haben auch Zeppelin-Stiftung und Ulderup-Stiftung das Wohl des gesamten Unternehmens und seiner sogenannten Stakeholder im Blick“, sagt Brand. „Die Eigentümer betrachten dabei nie nur den Standort Friedrichshafen, sondern immer das gesamte Unternehmen, seine Standorte und seine Entwicklung.“
Dies ist auch die Pflicht von Andreas Brand – zumindest bei seiner Arbeit in den Gremien des Autozulieferers, wie Corporate-Governance-Experte Christian Strenger erläutert. „Es ist weder legitim noch legal, wenn die Eigentümer im Aufsichtsrat und in der Hauptversammlung beschließen würden, dass ZF bevorzugt die Zentrale und die Produktion in Friedrichshafen verstärkt und dabei lokale Interessen statt das gesamthafte Unternehmensinteresse verfolgen“, sagt Strenger. Sollte es Brand jedoch nicht möglich sein, seine Rolle als Oberbürgermeister im Aufsichtsrat als nachrangig zu sehen, „müsste er aufgrund eines akuten Interessenkonflikts sein Aufsichtsratsmandat zurückgeben.“Diese Gefahr besteht nicht, sagt jedenfalls eine Person aus dem Umfeld des Verwaltungschefs: „Er differenziert da sehr sorgsam und hat die möglichen Rollenkonflikte immer im Blick.“
Es ist kein Zufall, dass die Rolle des Friedrichshafener Oberbürgermeisters ausgerechnet bei einem Konflikt um einen weiteren Milliardenzukauf hinterfragt wird: Denn mit jeder Akquisition verwandelt sich die alte Zahnradfabrik mehr in einen globalen Konzern, der seine angestammte Heimat am Bodensee hinter sich lässt. Und mit jeder Akquisition wird es für Brand wichtiger, dass er bei seiner Arbeit als Aufsichtsrat die Lokalpolitik seiner Heimatstadt hinter sich lässt.
Vor allem aber muss Brand dem nächsten ZF-Chef die besondere Rolle des Friedrichshafener Oberbürgermeisters erläutern. Es wäre fatal, wenn nach Stefan Sommer ein zweiter Vorstandsvorsitzender die Eigentümerfrage bei ZF für sich falsch beantworten würde.