„Ein Berg ist einfach ein Riesending“
Die „Huber Buam“, Kletter-Brüder aus Berchtesgaden, werden zusammen 100 Jahre alt
Sie sind seit Jahrzehnten Kletterer der Extraklasse, haben in den Felswänden dieser Welt als Brüder gemeinsam und jeder für sich allein zahlreiche Erstbesteigungen und Rekorde aufgestellt – längst ist ihr Name eine Marke: Die „Huber Buam“. Diesen Samstag werden Thomas Huber (51) und sein jüngerer Bruder Alexander, der seinen seinen 49. Geburtstag feiert, zusammen 100 Jahre alt. Auch darum hat Servus.tv die eindrucksvolle Dokumentation „100 Jahre Huberbuam – Bluad is dicker wia Wossa“gedreht. Im Interview mit Florian Kinast sprechen die Brüder über Demut und das Glück, überhaupt noch am Leben zu sein, über ihre Konflikte und ihre verschiedenen Philosophien.
Thomas und Alexander Huber, Sie beide bewegen sich seit Jahrzehnten hart am Abgrund und stets am Limit, haben schwere Stürze und Unfälle hinter sich: Empfinden Sie Dankbarkeit, den gemeinsamen Hundertsten überhaupt erleben zu dürfen?
THOMAS: Ja. Dass ich hier sitzen darf, ist bei mir nicht so selbstverständlich, nach meinem Schädelbruch vor eineinhalb Jahren, als ich daheim am Brendlberg 16 Meter in die Tiefe gerauscht bin. Da ist schon sehr viel Demut und Dankbarkeit dabei. Bei mir hat sich dadurch vieles relativiert. Natürlich bin ich immer noch Kletterer und habe viele Träume. Aber ich spüre einfach auch Glück, dass ich gesund bin und noch gehen kann. ALEXANDER: Glück hatten wir beide oft, und dafür bin auch ich sehr dankbar. Ich bin mal im Yosemite Valley schwer abgestürzt, gar nicht mal beim Klettern, nur bei Dreharbeiten, als wir mit dem Filmteam Kameraeinstellungen proben wollten. Ziemlich weit runter ging es da aber auch. Ein Moment, wo mir die Kontrolle über den Ablauf der Dinge entglitten ist. So etwas ist immer fatal.
In dem aktuellen Film sagen Sie, Thomas: „Wenn die Zeit kommt, dass du von dieser Welt gehst, dann kommt sie.“
THOMAS: Das sehe ich auch so.
Klingt sehr fatalistisch. Warum lassen Sie es nicht einfach sein, das Schicksal permanent herauszufordern?
Dann würde ich aufhören zu leben. Ich habe nach vielen Stürzen gemerkt, dass das Leben so einzigartig und wertvoll ist und du achtsam sein musst. Aber auch mutig. Es obliegt ja alleine mir. Wenn die Gier größer ist, dass ich einen Gipfel unbedingt besteigen möchte, dann kann es schnell sein, dass ich nicht mehr zurückkomme.
Wie wägen Sie denn ab, welche Wand und welchen Berg Sie sich zumuten können? Ist das beim Klettern die große Kunst, die richtige Mischung zwischen Gefühl und Verstand zu finden?
Jeder von uns beiden funktioniert da anders, denkt anders. Ohne es werten zu wollen, ob das eine schlecht oder das andere gut ist, wir haben unterschiedliche Herangehensweisen. Bestes Beispiel: Die Nordwand des Latok I im Karakorum, den ich gemeinsam mit meinem Bruder besteigen wollte und der für mich immer noch ein großes Ziel ist. Aber der Alexander ist eben ein klarer, intellektueller Kopfmensch. Der wägt ab und sagt: ,Das ist wahrscheinlich nicht möglich und deswegen wird nicht gegangen.’ ALEXANDER: Das stimmt so nicht. Natürlich ist auch so eine Wand möglich. Aber mir war es einfach zu gefährlich, deswegen habe ich mich dagegen entschieden, weil ich es nicht verantworten kann.
Sagt das dann der Bauch oder der Kopf?
Erst schau ich mir die Informationen an, die mir der Berg gibt. Wie schaut die Wand aus, wo sind die Gefahren, was kann ich beeinflussen, was nicht. Basierend auf dieser rationalen Ebene treffe ich eine Entscheidung, die letztlich immer emotional ist. Es gibt beim Klettern ja keine Rechenformel, die mir das Ergebnis xy ausspuckt. THOMAS: Bei all den Diskussionen um den Latok habe ich endlich begriffen, wie unser Brudersein funktioniert. An diesem Berg hatten der Alexander und ich keine Schnittmenge mehr. Aber bei den Erwartungen, die wir beide gegenseitig voneinander haben, brauchst du so eine Schnittmenge. Ist sie vorhanden, sind wir stärker als alle anderen. Ist sie aber nicht mehr da, schwächen wir uns nur gegenseitig, sind verletzbar. Gerade weil wir Brüder sind. Das habe ich aus dem Latok gelernt. Dass wir uns gegenseitig ziehen lassen müssen. Dass ich sage: ,Geh du deinen Weg, ich geh meinen.’
Das klingt nach einer klaren Erkenntnis nach einem langen Reifeprozess.
Der Reifeprozess hat 50 Jahre gedauert. Wir haben uns oft zerhackelt und Streitigkeiten ausgehalten, weil wir das nicht begriffen hatten.
Spüren Sie Angst bei Ihren Familien, wenn Sie fortziehen?
ALEXANDER: Mit einer gewissen Angst ist das immer begleitet. War in der Geschichte doch schon immer so. Wenn jemand weggezogen ist, hat man sich immer auf den Tag gefreut, wenn er wiederkommt. Auch die Handelsreisenden früher, wenn die unterwegs waren, war auch das mit Gefahren verbunden.
THOMAS: Meine Frau sagt immer: Fahr’ hin, wo du willst. Hauptsache, du kommst wieder. Nochmal zurück zum Latok: Der Berg ist mein großes Ziel. Ich möchte es versuchen und selbst spüren, ob es geht oder nicht. Auch ich wäge da alles ab. Wenn mir die Natur sagt, es geht nicht, dann bin ich der erste, der umdreht. Da bin ich genauso ein Angsthase wie der Alexander. Ich weiß ja, was der Tod mit sich bringt. Da geht es nicht darum, dass ich sterbe, sondern dass sich meine drei Kinder und meine Frau die Augen ausheulen. Das möchte ich ihnen nicht zumuten. Irgendwann sterben wir alle, aber bis dahin habe ich den Drang, unbedingt leben zu wollen, den Kindern ein Vorbild zu sein und mit dem Partner eine unglaublich schöne Zeit zu verbringen.
Spüren Sie denn mit rund um 50 auch die eigene Endlichkeit, dass die Kräfte langsam schwinden, der Körper nachlässt und vieles nicht mehr geht wie früher?
ALEXANDER: Mitte der 1990er-Jahre hatten wir unser maximales Level erreicht. Heute haben wir diese Kraft und dieses Niveau wie damals nicht mehr. Es sind mehr die längeren Ausdauergeschichten, die wir in unserem Alter noch angehen. THOMAS: Ich bin mir sicher, wenn wir zwei ein Jahr intensiv trainieren würden, könnten wir nochmal den Speed-Rekord an der Nose am El Capitan brechen. Die Frage ist nur: Ist es das wert? Unser Papa ist 78 und klettert immer noch und hat noch einige Zettel, auf die er seine Ziele geschrieben hat, auch wenn er immer mehr Ziele einklammert, weil er merkt, es geht nicht mehr.
Und was haben Sie noch auf Ihren Zetteln stehen?
An die 100 Projekte, die ich gern mit dem Alexander machen würde und von denen wir vielleicht noch zehn schaffen. ALEXANDER: Auch wenn bei mir eben nicht mehr so riskante Sachen auf dem Zettel stehen. Schon anspruchsvolle Routen mit hohen Schwierigkeiten auf ausgesetzte Pfeiler etwa. Aber nicht mehr so den Gefahren ausgesetzt. Es ist ein Geschenk, dass es all die Jahre so gut gegangen ist bei uns. Da waren Ziele dabei, bei denen ich sage: Genial, dass ich sie gemacht habe. Aber ganz so scharf brauche ich sie nicht mehr. Ich möchte nichts Exorbitantes mehr riskieren. THOMAS: Bei mir ist da noch ein bisserl mehr Entdeckerdrang dabei. Ich möchte nicht sagen, dass ich gefährlichere Sachen angehen mag als du, da widerspreche ich dir. ALEXANDER: Das habe ich gar nicht gesagt.
THOMAS: Du hast schon gesagt, dass du nicht mehr so riskante Sachen wie den Latok angehen magst. Und ich sag, wenn du 100 Prozent auf mich vertrauen würdest, Alexander, ich würde dir versprechen, der Latok ist machbar und lösbar. ALEXANDER: Das wünsche ich dir auch. Nur ich mach halt da einfach nicht mit. Das bleibt auch so und macht ja auch nix. Ein Berg ist ja nichts Objektives. Das, was wir da sehen, ist nur unser Denken, das wir hineinprojizieren. Ein Berg ist einfach ein Riesending. Und für jeden anders. THOMAS: Was für uns beide gleich gilt, dass wir demütig sind und dankbar für die Zeit, die wir bisher leben durften. Und jetzt schauen wir mal, wie’s noch wird und was noch kommt.