Aras: Antisemitismus in der Gesellschaft zurückweisen
Landtagspräsidentin mahnt Gedenkkultur an - Feierstunde zum Holocaust-Gedenktag
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ULM - Landtagspräsidentin Muhterem Aras hat am Freitag dazu aufgerufen, Judenfeindlichkeit in der Gesellschaft entgegenzutreten. „Wer heute Antisemiten Räume überlässt, schafft morgen neue Opfer und kann übermorgen selbst zum Opfer werden“, sagte die grüne Politikerin zum „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“in Ulm. „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in all ihren Ausprägungen richtet sich gegen die Grundwerte unseres demokratischen Gemeinwesens.“
Der Landtag von Baden-Württemberg erinnert jedes Jahr mit einer zentralen Gedenkfeier an die Opfer des Nationalsozialismus. Abwechselnd findet die Feier in Stuttgart oder in einer Stadt im Land statt: Nach Fichtenau und Ludwigsburg hatte der Landtag in diesem Jahr nach Ulm eingeladen.
Oberbürgermeister Gunter Czisch nennt Ulm einen passenden Ort für den Gedenktag „Weil die jüdische Geschichte in Ulm bis 1945 so typisch ist für viele deutsche Städte“– und weil Ulm ein gutes Beispiel für einen erfolgreichen Neuanfang sei. 2012 ist die neue Synagoge in der Stadt erbaut worden, im vergangenen Dezember wurde dort die dritte Torarolle feierlich eingebracht.
Die Feier beginnt auf dem Weinhof: In unmittelbarer Nähe zur neuen Synagoge treffen sich die Politiker und Besucher zum stillen Gedenken am Mahnmal für die ermordeten Juden der Stadt Ulm.
Anschließend, im Stadthaus, schlägt die Landtagspräsidentin den Bogen vom Antisemitismus in den 20er- und 30er-Jahren, der im Holocaust endete, zu aktuellen Ereignissen: Wer glaube, der Hass auf Juden sei ein überwundenes Phänomen, der sollte angesichts verstörender Bilder einer Berliner Demonstration im Dezember nachdenklich geworden sein, sagt Aras. Anlass der Proteste sei die Entscheidung des USPräsidenten Donald Trump gewesen, die Botschaft des Landes nach Jerusalem zu verlegen. „Die Freiheit, gegen jede Regierung dieser Welt zu demonstrieren, ist ein hohes Gut – und wir stellen sie nicht in Frage.“
Erschrecken über den tiefen Hass gegen Juden
Der tiefe Hass gegen Juden habe aber erschreckt. „Nicht weit vom Holocaust-Mahnmal hat er sich in gewaltverherrlichenden Sprechchören geäußert. Das Verbrennen einer Flagge mit jüdischen Symbolen hat sicher nicht nur bei mir Beklemmung und Sorge ausgelöst.“Den Hass auf Juden dürfe man aber nicht ausschließlich oder vorrangig bei Zuwanderern und Muslimen verorten, sagt Aras. Das verstelle den Blick darauf, wie tief er in der Gesellschaft noch verankert sei.
Applaus bekommt die Politikerin für eine klare Forderung: „Antisemitismus, Verschwörungsmythen und Gewaltbereitschaft wollen und werden wir hier nicht dulden.“Sie sage dies bewusst als „Deutsche mit Migrationsgeschichte“, betont Aras: In der Türkei geboren, kam sie 1978 mit ihren Eltern und Geschwistern nach Deutschland. Es seien eben nicht nur diejenigen zur Auseinandersetzung mit der unheilvollen Geschichte aufgerufen, deren Vorfahren zur NSZeit hier lebten: „Ich sage ganz bewusst: Wer in Deutschland leben, wer Deutscher oder Deutsche sein will, darf sich nicht vor der Geschichte und Verantwortung hier wegducken!“
Doch die Feierstunde blickt nicht ausschließlich auf den Holocaust zurück oder auf aktuelle Entwicklungen. Jehoschua Ahrens wird in seinem Vortrag ebenfalls deutlich. Der Darmstädter Rabbiner spricht aus, von wem die Spaltung aus seiner Sicht ausgeht. Es prangert den Rechtspopulismus an und nennt namentlich den baden-württembergischen AfD-Abgeordneten Wolfgang Gedeon. Dieser war wegen antisemitischer Schriften in die Kritik geraten.
„Sie wollen Deutschland nicht retten, sie wollen Deutschland abschaffen und die deutschen Werte weghaben“, sagt Ahrens. Er spricht über das jüdische Leben in Deutschland nach 1945 und hebt Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und die Würde des Menschen hervor. „Das ist ein Deutschland, bei dem ich aus vollem Herzen sagen kann, dass ich darauf stolz bin“, ruft er. Gleichzeitig hebt er das große Vertrauen hervor, dass seit den 60er Jahren zwischen den deutschen Juden und dem Staat gewachsen sei. Und er äußert eine Hoffnung: Dass er mit Kippa auf die Straße gehen könne, ohne deshalb angestarrt zu werden.
Junge Leute wollen ihr Judentum leben
Auch Samuel Traub will jüdisches Leben leben: Er ist 18, ein Teil seiner Familie ist zur Zeit des NS-Regimes deportiert worden. Nicht alle überlebten. An diesem Freitag steht der schlanke junge Mann auf dem Rednerpult des Ulmer Stadthauses, unten sitzen vor allem Schüler und Politiker. „Ich finde es eine wichtige Sache, die wir als Jugendliche sagen müssen: Dass das Judentum nicht gestorben ist.“
Doch ganz ohne Schatten ist das jüdische Leben im Südwesten nicht, wie Samuel Traub berichtet. Er betreut Jugendliche im jüdischen Jugendzentrum HaLev (bedeutet: Das Herz) in Stuttgart. „Viele Kinder trauen sich nicht, in der Schule zum Judentum zu stehen“, sagt der 18-jährige und appelliert, dem Antisemitismus entgegenzutreten – „als Juden und Deutsche“.
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