Rock für Grübler und Außerirdische
Steven Wilson überwältigt in Ravensburg mit virtuosen Gitarrenklängen
●
RAVENSBURG - So tiefgründig kann Rock sein: Der britische Gitarrist und Sänger Steven Wilson hat am Dienstagabend in der Ravensburger Oberschwabenhalle ein umjubeltes Konzert gegeben. Rund 1200 Zuschauer erlebten fast drei Stunden lang anspruchsvollen Progressive Rock, der sich auch genrefremden Einflüssen nicht verschließt.
Stilgrenzen sind für Steven Wilson etwas, das eingerissen werden muss. Auf Progressive Rock, diese von vertrackten Rhythmen und instrumentalen Wahnsinnsabfahrten geprägte Stilrichtung, möchte sich Wilson nicht festlegen lassen. Porcupine Tree, 1987 von Wilson gegründet und derzeit pausierend, zählen zu den wichtigsten Vertretern dieser Musikrichtung. Kein Wunder, dass die Fans teilweise aus Stuttgart angereist sind, um Wilson live zu erleben.
Das Wort an sich – Prog – vermeidet der Musiker auch an diesem Abend konsequent. Er sei eben nicht nur von Pink Floyd geprägt, sondern auch vom 70er-Pop, wie ihn seine Mutter hörte, sagt der Mann mit dem jungenhaften Erscheinungsbild. Dann stimmt er den poppigen Song „Permanating“von der neuesten Soloplatte „To The Bone“an. Ein Kontrapunkt an einem ansonsten von Nachdenklichkeit und oft melancholischen Tönen geprägten Abend. Pop ist für Wilson kein Schimpfwort, außer es geht um Künstler wie Justin Bieber oder Miley Cyrus. „Moderne Popmusik ist Scheiße“, fällt ihm dazu ein. Auf Größen wie Beatles oder Abba lässt er hingegen nichts kommen. Dass Wilson keine musikalischen Berührungsängste kennt, zeigt sich auch, wenn er seiner Gitarre harte Riffs ebenso entlockt wie perlende Arpeggien oder jazzige Rhythmen. Wilson gehört zu den am härtesten arbeitenden Musikern der Welt: Seit 2011 hat der Multiinstrumentalist jedes Jahr neue Musik veröffentlicht. Die Live-Darbietung wirkt aber gar nicht wie harte Arbeit. Wilson schlendert barfuß über die Bühne und schüttelt sich bei Solostücken wie „The Same Asylum As Before“oder dem Porcupine-Tree-Stück „Lazarus“Gitarrenklänge aus dem Ärmel, bei denen das Publikum mit offenem Mund staunt.
Visuelles Gesamtkunstwerk
Oft wirkt Wilsons Musik wie der Soundtrack eines Aliens, das sich über all die seltsamen Dinge wundert, die Menschen tun. Auf einer riesigen Leinwand sind während der Songs Videoclips und Bildmontagen zu sehen. Sie passen gut zum grüblerischen Charakter der Songs, die oft den Zustand der Welt reflektieren. Ein transparenter Vorhang rückt Wilson und seine Mitstreiter an Bass, Schlagzeug, Gitarre und Keyboard bei einigen Nummern in eine vermeintliche Ferne. Der Auftritt ist ein visuelles Gesamtkunstwerk, das einem nachgeht. Am Ende des fast dreistündigen Konzerts steht der Titelsong des 2013er-Soloalbums „The Raven That Refused To Sing“. Das Licht geht an, und mancher harte Rock-Fan wischt sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.