Mit dem Zwiebelrostbraten-Faktor zur ehrlichen Preisfindung
Als Opa sich zu Zeiten meiner Kindheit mal ein Essen im Wirtshaus gegönnt hat, da bewegte sich der Preis für das Hauptgericht – zum Beispiel ein schöner Zwiebelrostbraten mit reichlich Spätzle – im Rahmen von maximal zehn Mark. Das war etwa Anfang der 1980er-Jahre, ungefähr 35 Jahre ist das also her. Niemand wird abstreiten, dass sich in der Zwischenzeit das Einkommen sehr vieler Menschen dramatisch gesteigert hat. Trotzdem träumen manche heute noch von dieser magischen Zehn-Mark-Zwiebelrostbraten-Grenze – um dann zu klagen, dass alles so teuer geworden sei. Aber stimmt das auch?
Wenn wir derzeit allen Ernstes bereit sind, für ein Telefon eine vierstellige Summe zu bezahlen (das aktuelle iPhone X kostet 1149 Euro), sollte uns ein Zwiebelrostbraten doch wenigstens 25
Euro wert sein. Mit einem Fleischpreis, der auch den Bauern noch anständig dafür entlohnt, dass er sein Vieh unter ordentlichen Bedingungen hält und ihm Futter gibt, das nicht nur aus brasilianischen Sojabohnen besteht, sondern aus heimischem Getreide und grünem Gras von der Wiese hinterm Stall. Dürfte ein Zwiebelrostbraten auf dieser Grundlage nicht mindestens 25 Euro kosten? Tut er aber in den allermeisten Fällen nicht – und genau da liegt das Problem, unter dem die Gastronomie insgesamt zu leiden hat. Die Rede ist nicht von preislich von der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen entkoppelten SterneRestaurants, die vollkommen anders kalkulieren, weil ein Menü in solchen Häusern eher einem Opernbesuch entspricht. Es geht um ganz normale Gasthäuser, die den Anspruch haben, handwerklich einwandfreie Qualität mit anständigen Rohstoffen abzuliefern. Während wir uns auf Nachfrage mehr Tierwohl und auch Menschenwohl – bezogen auf Gastronomen und Landwirte – wünschen, trauern wir noch immer einer inzwischen vollkommen realitätsfernen Zehn-MarkGrenze nach.
Wenn wir einen Blick über den Bodensee hinweg wagen und in die Schweiz schauen, wird es vielen deutschen Gästen angst und bange, weil die Preise dort schon eher mit der Zeit gegangen sind: Ein Schnitzel mit Pommes für 35 Franken, also in etwa 31 Euro, ist bei den Eidgenossen völlig normal. Das liegt aber nicht nur daran, dass die Schweiz ein insgesamt höheres Lohn- und Preisniveau hat. Der Grund ist auch in der unseligen Billig-Esser-Mentalität in Deutschland zu finden.
Es ist paradox: Obwohl wir eines der reichsten Länder der Welt sind – und die meisten Menschen weiß Gott mehr als 69 Cent pro Liter Milch bezahlen könnten – knausern wir uns durch die Lebensmittelmärkte. Meckern, wenn das Schweinefilet mehr als zehn Euro kostet. Und fahren lieber in unserem 70 000 Euro teuren Geländewagen bei den Discountern vor, um das Geld für dieses Vehikel am Essen einzusparen. Für ein Auto, das auf unseren Straßen ungefähr so sinnvoll ist wie der Lockenstab auf dem Glatzkopf.
So wirkt der Deutschen Lebensmittelsparsamkeit bis in die Kochtöpfe der Gastronomen, die Angst haben müssen, dass niemand mehr kommt, wenn sie für vernünftige Rohstoffe einen angemessenen Preis verlangen. Nicht wenige sehen sich aus diesem Grund dazu gezwungen, genau an dem zu sparen, was gute Gastronomie eigentlich ausmacht: qualifiziertes Personal und anständige Nahrungsmittel, verarbeitet auf ehrliche und handwerkliche Weise. Ohne industriellen Fertigfraß. Das muss uns 25 Euro auf dem Zwiebelrostbraten-Index wert sein.
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