Ein Leben für die Schättere
Leidenschaft für alte Loks - Die Härtsfeldbahn auf der Ostalb verlangt ihren Liebhabern viel ab
Werner Kuhn reibt sich die Hände, die voller Schmiere sind, an den Arbeitsklamotten ab. „Das ist schon klar: Die Härtsfeldbahn kostet meine ganze Freizeit – und dies seit fast 35 Jahren“, sagt er. Der quirlige, mittelgroße Mann steht am Eingang eines Lokschuppens in Neresheim, einer ruhigen Kleinstadt auf der östlichen Schwäbischen Alb. Oberhalb des Ortes thront die gleichnamige barocke Benediktinerabtei, die über die Region hinaus bekannt ist.
In Neresheim liegt aber auch das Herz eines nicht ganz so bekannten Kleinods: die ehemalige „Centralstation“der besagten Härtsfeldbahn, heutzutage eine Museumsanlage. Neben dem Bahnhof mit seiner Gaststätte existieren noch zwei angejahrte Lokschuppen und einige Gleise. Man könnte von einem Bahnbetriebswerk sprechen.
Hier ist Kuhn an einem verregneten Mittwochabend im Frühling zugange. Im Schuppen dringt ein öliger Werkstattgeruch in die Nase. Hinter Kuhn hängen riesige Schraubenschlüssel an einer Holzwand. Von irgendwoher ertönt das schrille Sirren einer Schleifmaschine. Noch eine Handvoll anderer Leute arbeiten auf dem Gelände. Sie schrauben an Loks und Waggons herum, bessern Gleise aus. Arbeitsdienst wie jeden Mittwochabend – und dazu noch jeden Samstag.
Aufwendiges Hobby
Der Trupp gehört zum Verein der Härtsfeld-Museumsbahn. Kuhn ist ihr erster Vorsitzender. „Die Bahn ist mein Leben“, sagt er. Beruflich arbeitet der gelernte Elektriker als Gebäudemanager für eine größere Firma, privat ist Kuhn Single. „Mit Familie wäre es sicher schwer, so viel Zeit in die Bahn zu investieren.“
280 Mitglieder hat der Verein. Etwa 20 von ihnen legen Hand an. Anders als bei Junggeselle Kuhn ist die Regel aber, dass die meisten alles auf die Reihe bekommen müssen: Partner, Kinder, Job und Hobby. Wobei Kuhn von Anfang an eine Schlüsselfigur der Museumsbahn ist. Diese hat wiederum eine Art Alleinstellungsmerkmal in der Szene.
Um dies zu verstehen, braucht es einen Blick über die von Wacholderweiden durchzogene Region hinaus. Schon länger gut beachtete Linien wie die kurven- und tunnelreiche Sauschwänzle-Bahn am Südrand des Schwarzwaldes oder das oberschwäbische Öchsle fahren auf ihren alten Gleisen und nutzen bestehende Infrastruktur. Die Härtsfeldbahn hingegen wächst wieder. Längst Verschwundenes kommt zurück. In diesem Fall sind es Schienen und Bahndamm.
In Betrieb gegangen war die Schmalspurbahn vor über 100 Jahren, genauer gesagt 1901. Sie verband auf 55,5 Kilometern Aalen mit Dillingen an der Donau. Ziel war es, die damals ärmliche Gegend dazwischen zu erschließen: eben das Härtsfeld, das harte Feld. Im Volksmund bekam der Zug rasch einen Spitznamen: Schättere. Gemeint war damit wohl das Schättern – das markante Geräusch – des Zugs. 1972 hatte es sich jedoch ausgelärmt. Der Verkehr wurde eingestellt, die Strecke abgebaut. Übrig blieben nur Bahnhöfe und Schuppen. Die zwei Dampfloks der Schättere kamen auf Denkmalsockel in Heidenheim und Neresheim. Dieseltriebwagen sowie diverse Waggons verschwanden sonst wohin. Aus und vorbei, wie es schien. Die Härtsfeldbahn hatte jedoch Liebhaber, Eisenbahn-Nostalgiker wie Kuhn: „Schon als Bub war ich in sie vernarrt.“1984 trieb er einen der Dieseltriebwagen auf einer Nebenbahn in Amstetten bei der Geislinger Steige auf. Ein Jahr später wurde der Verein gegründet.
Drei Kilometer Strecke
Gewonnen war damit noch nicht viel: Es gab keine Schienen, kein funktionierendes rollendes Material. Es folgten 17 Jahre Arbeit, bis die Schättere wieder fuhr. Die rasch wachsende Mannschaft rekonstruierte von Neresheim nach Süden durchs Egautal drei Kilometer Strecke. Sie holte die Dampfloks vom Denkmalpodest, um sie wieder fahrbereit zu machen. Waggons wurden gerichtet. Originales Zugmaterial kehrte zurück aufs Härtsfeld.
„Anfangs war das eigentlich gar nicht vorstellbar gewesen. Eine Herkulesaufgabe. Da konnte es einem schon schummrig zumute werden“, erinnert sich Ingo Adam. Der stämmige Älbler ist von Anfang an dabei und einer von vier Vereinsmitgliedern, die nebenbei den Führerschein für Dampfloks gemacht haben. In typisch schwarzen Klamotten hantiert er im Führerhaus des ebenso schwarzen Liesele. Auch Loks haben Spitznamen. „Sie sind wie Geliebte“, flachst Adam.
Im wirklichen Leben arbeitet er beim Oberkochener Optik-Riesen Zeiss als Mechaniker. Adam ist verheiratet. Was seine Frau sagt, wenn ihr Gatte ständig wegen der Härtsfeldbahn unterwegs ist? Immerhin addieren sich zu den Arbeitsdiensten mindestens 15 sonntägliche Betriebstage mit öffentlichen Bahnfahrten. Kuhn meint salopp: „Sie wusste bei der Heirat, auf was sie sich einlässt.“
Wie bei manchem im Verein hat seine Begeisterung für Züge in der Kindheit begonnen: „Mit der Spielzeugeisenbahn“, erzählt Adam. Er liegt in der Altersklasse der über 50Jährigen. Die Anfänge für seine Schättere-Begeisterung reichen also weit zurück. Hinzu kommt noch „eine Liebe zur Nostalgie, zur ländlichen Beschaulichkeit einer solchen Klein- und Nebenbahn“.
Die Härtsfeldbahn war schon in der vermeintlich guten alten Zeit weit weg von Expressstrecken. Neben dem Flüsschen Egau kurvt die Strecke gemütlich durch ein Wiesental, dessen Hänge mit Wald bestanden sind. Die gegenwärtige Endstation der Museumsstrecke heißt Sägmühle, ein Weiler jenseits aller DorfHochglanzsanierung. Dessen Tage als Schlusspunkt der Schättere sind jedoch gezählt. Der Schienenstrang zieht sich bereits weiter Richtung Härtsfeldsee. Das sind zusätzliche drei Kilometer Strecke. Seit 15 Jahren arbeitet der Verein daran: Bahndamm wieder aufbauen, Schottern, Schwellen und Schienen verlegen. Eine Knochenarbeit. 800 Meter Schienen und Schwellen fehlen noch. Sie liegen aber in Neresheim bereit. Das Material ist eine Spende aus dem Altbestand der Stuttgarter Straßenbahnen.
„In zwei Jahren wollen wir fertig sein“, meint Dietmar Fischer, während er im abendlichen Regen am Neresheimer Bahnhof bei einer Weiche die Schotterunterlage ausbessert. Er ist Konstrukteur bei Bosch in Waiblingen. Im Verein verantwortet Fischer die Infrastruktur der Bahn. Bei seinem Job geht es nicht nur um den Erhalt des Bestehenden oder den Streckenausbau. Fischer betont, „alles muss auch so perfekt sein, dass es vom Eisenbahnbundesamt abgenommen wird.“
Ein Traum von ihm und seinen Kameraden wäre, noch eine AusbauEtappe zu schaffen: „Die drei Kilometer vom Härtsfeldsee nach Dischingen“, sagt Fischer. Der dortige Bahnhof gehört dem Verein bereits. Illusorisch ist die Weiterführung nicht. Die Kommunen unterstützen das Projekt, um Gäste anzulocken. Schon bisher hat es Fördermittel des Landes und der EU gegeben, auch private Spender haben sich finden lassen. Wenn sich Vereinschef Kuhn Sorgen macht, liegen sie in einem anderen Bereich: „Für den aktiven Kreis wäre Nachwuchs hilfreich. Die meisten von uns sind damals in den 1980er-Jahren eingestiegen und eben mit dem Verein älter geworden.“
Rasch schiebt Kuhn die trüben Gedanken wieder beiseite. Neben ihm ruht im Lokschuppen ein roter Triebwagen – sein Triebwagen. Es ist jener, den er 1984 in Amstetten entdeckt hat, sein Privatbesitz. Für ihn hat Kuhn auch die Fahrerlaubnis. „Mein Kind“, murmelt der Vereinschef. Demnächst darf es wieder auf die Strecke. Am 1. Mai ist Saisonstart für die öffentlichen Fahrten.
Sie sind wie Geliebte.
Ingo Adam, Gründungsmitglied des Vereins der Museumsbahn, über die alten Loks