Grad der Selbstständigkeit ist bei Pflegebedürftigkeit entscheidend
Expertin spricht beim Gesundheitsforum über die Pflegereform und gibt konkrete Tipps
EHINGEN (sz) - Das Thema, das zuletzt beim Gesundheitsforum Ehingen im Mittelpunkt stand, hat einen Nerv getroffen. Viele Nachfragen von rund 60 Besucher hätten deutlich gemacht, dass das Thema Pflegegrade und die damit verbundene Frage nach möglichen Leistungen in vielen Familien eine wichtige Rolle spielen, teilt die ADK GmbH mit.
Nicole Deubert, Leiterin der Ambulanten Pflegeservice GmbH, stellte zunächst die drei Pflegestärkungsgesetze der vergangenen Jahre vor. Während das zum Jahresanfang 2015 in Kraft getretene erste Pflegestärkungsgesetz im ambulanten Bereich vor allem höhere Entlastungsbeträge und Mittel für Umbaumaßnahmen vorsah, kam die fundamentale Veränderung mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz zum Jahresanfang 2017. Seit diesem Zeitpunkt gilt ein neuer Pflegebedürftigkeits-Begriff, der den Grad der Selbstständigkeit in den Fokus stellt. Pflegebedürftig ist im Sinne des Sozialgesetzbuches XI eine Person, deren Selbstständigkeit beeinträchtigt ist und die daher auf Hilfe Dritter angewiesen ist, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen aufweist und die gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbstständig kompensieren kann. Zudem muss die Pflegebedürftigkeit auf Dauer angelegt sein und voraussichtlich mindestens sechs Monate bestehen. Neu ist bei dieser Definition, dass auch kognitive und psychische Beeinträchtigungen berücksichtigt werden – dadurch wurden viele demenzkranke Patienten erstmals in die Lage versetzt, Leistungen der Pflegeversicherung erhalten zu können.
Möchte man erstmals einen Pflegegrad oder einen höheren Pflegegrad beantragen, so muss man bei der Pflegekasse des Pflegebedürftigen einen schriftlichen Antrag stellen. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen vereinbart daraufhin einen Termin zur Begutachtung. Deubert riet ihren Zuhörern, diesen gut vorzubereiten. „Notieren Sie Situationen, in denen die Person, die Sie pflegen, auf Hilfe angewiesen ist. Dabei geht es nicht mehr wie früher um die Minuten, die für die tägliche Pflege benötigt werden, sondern um den Grad der Selbstständigkeit. Eine typische Frage könnte etwa sein, bei welchen alltäglichen Tätigkeiten eine Anleitung benötigt wird oder was teilweise oder auch vollständig übernommen werden muss. Hilfreich ist auch, über einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen ein Pflegetagebuch zu führen, um so den Alltag nachvollziehbar zu dokumentieren. Denn nicht selten strengen sich die Patienten im Beisein des Gutachters besonders an.“
Deubert ging auch auf die Unterschiede bei den Leistungen je nach Pflegegrad ein. Während erst ab Pflegegrad zwei ein Pflegegeld oder Pflegesachleistungen bezahlt werden, können auch bei Pflegegrad eins bereits der Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro im Monat und ein einmaliger Zuschuss zu Umbaumaßnahmen genutzt werden. In den Pflegegraden zwei bis fünf können die pflegenden Angehörigen dann entweder Pflegegeld in Anspruch nehmen, wenn sie die häusliche Pflege selbst übernehmen oder aus dem Budget der Pflegesachleistungen einen Pflegedienst mit den Leistungen beauftragen.
Sachleistungen und Pflegegeld
Was viele nicht wissen: Auch eine Kombination dieser beiden Leistungsarten sei möglich: So können, wenn nicht alle zur Verfügung stehenden Sachleistungen genutzt werden, noch Teilsummen des Pflegegeldes ausbezahlt werden. Zudem gebe es verschiedene Möglichkeiten, für eine Entlastung der pflegenden Angehörigen zu sorgen. Im richtigen Mix dieser Leistungen könne ein individuelles Paket geschnürt werden, dass die Pflege zuhause ermöglicht, der Pflegeperson aber noch Luft zum Atmen lässt.
Da ab dem Pflegegrad zwei beim Bezug von Pflegegeld ohnehin regelmäßige Pflegebesuche durch die Krankenkasse oder einen Pflegedienst verpflichtend sind, riet Deubert, diese auch zu nutzen, um nach Erleichterungen und Entlastungsmöglichkeiten zu suchen. Anhand von mehreren Abrechnungsbeispielen zeigte Deubert, dass der Eigenanteil in der häuslichen Pflege in der Regel deutlich unter dem in einer stationären Pflegeeinrichtung liegt und dass sich entlastende Angebote wie die Tagespflege an einzelnen Wochentagen durch die Kombination von verschiedenen Leistungen ganz ohne Extrakosten für die pflegenden Angehörigen realisieren lassen.
Im Anschluss an den Vortrag stellten viele der Zuhörer noch Fragen zu ihrer persönlichen Situation. Dabei wurde deutlich, dass der emotionale Druck durch die Pflege eines nahen Angehörigen sehr hoch werden kann und dass die aufopferungsvolle Pflege viel Kraft kostet.