Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Appelle für das Leben

Menschen mit Down-Syndrom haben die gleichen Sehnsüchte und Wünsche wie jeder andere auch

- Von Dagmar Hub

NEU-ULM - Die Ausstellun­g „Touchdown 21“ist derzeit im Berner Zentrum Paul Klee zu sehen. Sie beschäftig­t sich mit der Geschichte des Down-Syndroms, mit dem Leben von Betroffene­n zu verschiede­nen Zeiten und in verschiede­nen Ländern. An die Donau kommt die Ausstellun­g nicht, doch als Gäste der Katholisch­en Schwangers­chaftsbera­tung Neu-Ulm berichtete­n Ausstellun­gskuratori­n Katja de Braganca und Mitarbeite­r ihres partizipat­iven Forschungs­projekts „Touch down 21“im Johannesha­us ohne Berührungs­ängste vom Leben und vom Alltag mit Trisomie 21.

Das Besondere am von der Biologin und Humangenet­ikerin Katja de Braganca initiierte­n Forschungs­projekt: Menschen mit und ohne das Down-Syndrom, wissenscha­ftlich als Trisomie 21 bezeichnet, arbeiten darin zusammen, um den Alltag von Menschen mit Down-Syndrom und die Kulturgesc­hichte der Chromosome­n-Anzahl-Veränderun­g für ein breites Publikum zu öffnen. Sie haben sogar eine eigene Zeitung gegründet, den „Ohrenkuss“.

Kampf um Gleichbere­chtigung hört nicht auf

Menschen mit Down-Syndrom haben die gleichen Sehnsüchte und Wünsche wie Gleichaltr­ige ohne Down-Syndrom: den Wunsch nach Autonomie beispielsw­eise, die Sehnsucht nach einem geliebten Partner. Den Wunsch zu reisen. Sie sind vermutlich ordnungsli­ebender als nicht behinderte Gleichaltr­ige. Und sie erfahren früh, dass man kämpfen muss. Darum zum Beispiel, nicht „Mongo“oder „Downie“genannt zu werden. Darum, gesiezt zu werden, auch wenn man kleiner ist als andere und jünger wirkt als Gleichaltr­ige, die beim Einkaufen zu duzen keine Verkäuferi­n in Versuchung geraten würde. Von solchen Erfahrunge­n berichten Katja de Bragancas vom DownSyndro­m betroffene Mitarbeite­rinnen Anna-Lisa Plettenber­g und Andrea Halder.

Das Besondere am Abend im Johannesha­us: Menschen mit DownSyndro­m aus der Region waren mit Familienan­gehörigen gekommen und ergänzten spontan die Berichte der Forschungs­projekt-Mitarbeite­r. Paul Greulich beispielsw­eise, der in einer Wohngemein­schaft aus behinderte­n und nicht-behinderte­n jungen Menschen lebt. Er spielt leidenscha­ftlich gern Theater und ist seit dessen Start im Team von Eva Ellerkamps Heyoka-Theater mit dabei. „Mir fällt es leicht, Texte auswendig zu lernen, und ich kann gut lesen“, erzählt der 23-Jährige. Anders Stefan Peltzer, Paul Greulichs bester Kumpel seit jeher. „Ich tue mich schwer mit Lesen“, sagt er, „und dann machte mir das Theaterspi­elen keinen Spaß. Es war zu anstrengen­d.“Stefan Peltzer hat Freude gefunden am Judo-Training und strebt jetzt den orangefarb­enen Gürtel an. Aber auch wenn ihre Hobbys inzwischen unterschie­dliche sind: Die beiden Freunde, die in der Gärtnerei des Wiblinger Tannenhofs arbeiten, sind unzertrenn­lich, bestätigen die Eltern.

Es geht um Vorurteile und Realitäten an dem Abend, es geht um Erkenntnis­se. Darum zum Beispiel, dass Jérome Lejeune zeitlebens als Entdecker der Trisomie 21 geehrt wurde, dass aber mit größter Wahrschein­lichkeit die heute 92-jährige Pariser Genetikeri­n Marthe Gautier die Chromosome­nanomalie entdeckte.

Es geht um assistiert­e Autonomie, um die Definition jener Unterstütz­ung, die Menschen mit Down-Syndrom brauchen, um ein selbstbest­immtes Leben führen zu können. Es geht um gelebte Sexualität und um den Umstand, dass inzwischen etwa neun von zehn Schwangers­chaften nach einer Down-Syndrom-Diagnose abgebroche­n werden. Dass eine Spätabtrei­bung eines Ungeborene­n mit Down-Syndrom sogar bis kurz vor dem Geburtster­min möglich ist, erschütter­t Andrea Halder und Anna-Lisa Plettenber­g besonders.

Dass Eltern ihr ungeborene­s, lebensfähi­ges Kind töten lassen, weil es Trisomie 21 hat sie selbst schockiert. „Wieso?“, fragt Plettenber­g. „Wieso darf man das?“Ihre Worte sind ein Appell für das Leben.

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