Streit um Gemeinschaftsschule geht weiter
Mehr Kinder an weiterführenden Schulen – Ministerin lobt Werkreal- und Realschulen
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STUTTGART - Zum kommenden Schuljahr haben die Gymnasien im Südwesten wie in den Vorjahren die größte Anziehungskraft. Das erklärte Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) am Freitag anhand der vorläufigen Übergangszahlen, die insgesamt gestiegen sind. „Die bereits seit einigen Jahren steigenden Schülerzahlen kommen nun in den weiterführenden Schulen an.“Derweil regt sich Protest gegen einen Vorstoß des Wangener CDU-Landtagsabgeordneten Raimund Haser zur Weiterentwicklung der Gemeinschaftsschule. Der ehemalige Friedrichshafener SPD-Abgeordnete Norbert Zeller lädt Haser zu einem öffentlichen Streitgespräch ein.
84 637 Schülern wechseln zum Schuljahr 2018/2019 von der Grundauf eine weiterführende allgemeinbildende Schule – ein Plus von mehr als 1000 Schülern (1,2 Prozent) im Vorjahresvergleich. Höher war die Übergangszahl zuletzt zum Schuljahr 2015/2016. Mit 43 Prozent der Anmeldungen bleibt das Gymnasium zwar die attraktivste Schulart. Trotz der steigenden Schülerzahlen haben sich aber 400 Schüler weniger als im Vorjahr für das Gymnasium entschieden.
Viele Standorte ohne Fünftklässler
36 Prozent der Schüler und damit ein Prozent mehr als zuletzt meldeten sich bei Realschulen an. Bei den Haupt- und Werkrealschulen sank der Prozentsatz leicht auf sechs Prozent. Dass sich nur 70 Schüler weniger als im Vorjahr für diese Schulart entschieden, wertet die Kultusministerin als Zeichen des Vertrauens. Schließlich seien allein in den vergangenen drei Jahren mehr als 160 Schulen geschlossen worden. An mehr als der Hälfte der aktuell 583 Standorte gebe es derzeit keine fünfte Klasse. 21 Werkrealschulen hatten in den vergangenen beiden Jahren so wenige Anmeldungen, dass ihre Schließungen drohen.
Gymnasium Aulendorf unter Druck
Einen Warnschuss haben 22 weitere Werkrealschulen bekommen. Sie hatten im aktuellen Schuljahr weniger als 16 Anmeldungen für die fünfte Klasse. Passiert das nochmal, droht auch ihnen das Aus. Betroffen von diesem Hinweisverfahren, das 2014 im Südwesten eingeführt wurde, sind erstmals auch eine Gemeinschaftsschule, die in Bad Urach, sowie ein Gymnasium. Wie eine Sprecherin des Kultusministeriums sagt, handelt es sich dabei um das in Aulendorf im Landkreis Ravensburg. Beide Schulen haben für das kommende Schuljahr aber wohl wieder deutlich mehr Anmeldungen als nötig.
Die Ministeriumssprecherin begründet den Druck auf Aulendorf mit der Dichte an Gymnasien im Umfeld und nennt die Standorte Bad Buchau und Bad Schussenried. Lange schon gibt es in Aulendorf zudem Diskussionen um die Konkurrenz zwischen dem städtischen Gymnasium und dem Studienkolleg St. Johann im Ortsteil Blönried.
Die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Doro Moritz freut sich über die lobenden Worte der Kultusministerin für die Haupt- und Werkrealschulen sowie für die Realschulen. Aber: „Auffällig ist, dass Eisenmann die positive Entwicklung an den Gemeinschaftsschulen verschweigt.“Manche Gemeinschaftsschulen könnten gar nicht alle Aufnahmewünsche bedienen.
Der Wangener CDU-Landtagsabgeordnete Raimund Haser hatte jüngst eine andere Sicht geschildert. Er plädierte jüngst in der „Schwäbischen Zeitung“für zwei Änderungen: Lehrer sollten die Möglichkeit bekommen, Kindern Noten zu geben, was bisher nur auf Wunsch der Eltern passiert. Zudem spricht er sich für Sitzenbleiben als Druckmittel aus.
Die Grünen halten nichts von seinem Vorstoß. Auch Eisenmann, seine Parteifreundin, erteilte ihm eine Absage: „Das Kultusministerium arbeitet nicht an einer Änderungen des Schulgesetzes.“Schärfere Kritik erntet Haser von Matthias Wagner-Uhl, dem Vorsitzenden des Vereins für Gemeinschaftsschule. „Er ist ein glänzender Populist und holt die Leute an den Stammtischen ab“, sagt er über Haser. Seit den 1970er-Jahren bestätigten Studien, dass Noten, Druck und Sitzenbleiben keine positiven Auswirkungen auf die Leistungen der Schüler haben.
Haser will mit Zeller debattieren
Für den ehemaligen Friedrichshafener SPD-Abgeordneten Norbert Zeller ist klar: „Herr Haser hat das pädagogische Konzept der Gemeinschaftsschule nicht kapiert.“Zeller leitete die Stabsstelle im Kultusministerium, die die Gemeinschaftsschule entwickelt hat. In einem Brief, den er diese Woche an Haser geschickt hat, schreibt er: „Ihre Vorschläge sind für die Gemeinschaftsschule keine Weiterentwicklung, sondern bedeuten einen Rückschritt.“Zeller fordert ihn zu einem öffentlichen Streitgespräch heraus.
„Ich werde gerne auf den Brief im Rahmen eines öffentlichen Streitgesprächs eingehen“, sagt Haser am Freitag nach Lektüre des Schreibens. „Seine oberlehrerhafte Einlassung, erklären zu wollen, wie die Gemeinschaftsschule funktioniert, kann er sich sparen“, wehrt sich Haser und verweist auf die Eltern, die ihre Kinder an der Schulart nicht anmeldeten. Die täten dies gerade, weil sie die Schulart verstanden hätten.