In Volkersheim geht der Latzmann um
Kinder und Jugendliche pflegen alten Brauch aus der Zeit nach dem 30-jährigen Krieg
● VOLKERSHEIM - Latzmann nennt sich ein an Pfingstmontag in einigen oberschwäbischen Dörfern gepflegter Volksbrauch. In Volkersheim machten sich Kinder und Jugendliche auf den Weg, um an allen Haustüren Eier, Mehl, Zucker und Geld zu fordern. Die kriegerische Aufmachung und martialische Sprüche verfehlten ihre Wirkung nicht.
Weitere für den Latzmann bekannte Orte sind Untermarchtal, Hundersingen, Grundsheim und Altbierlingen. Niemand scheint die Bezeichnung des Brauchs deuten zu können. Die Herleitung vom deutschen Wort Latz ergibt in diesem Zusammenhang keinen Sinn.
Was aber Sinn ergebemn würde, wären Überlegungen zu den Figuren, die da durchs Dorf ziehen, und ihren Aussagen. In Volkersheim sind es der mit Strohmatten völlig eingedeckte Latzmann, seine drei mit Säbeln bewaffneten und behelmten Führer, ein Schildträger, zwei Wagenzieher, einige Bäumleträger und nicht zuletzt die Soldaten. „Ich bin des Latzmanns Adjutant, sein treuester Führer auch genannt, höchster General, Kriegsminister, Feldmarschall“, beginnt einer der drei Führer seine Vorstellung vor den Haustüren. Die Geldforderung begründet ein anderer so: „Geld, Geld regiert die Welt, was den Latzmann auch erhält; so gibt uns reichlich Dukaten.“
Der Dukate ist eine Goldmünze, die in ganz Europa bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitet war. „Sit tibi Christe datus quem tu regis iste ducatus“(„Dir, Christus, sei dieses Herzogtum, welches du regierst, gegeben“), lautete die Umschrift auf der Rückseite der 1284 in Venedig erstmals geprägten und als Dukaten bezeichneten Münzen. In Deutschland wurde der Dukat 1559 zur Reichsmünze erklärt und damit zur Hauptgoldmünze, die den Goldgulden an den meisten Orten verdrängte. 1857 wurde er im Gebiet des Deutschen Zollvereins abgeschafft.
Die von der Dorfjugend in militärischer Kostümierung erhobene Forderung nach solch wertvollen Goldstücken und nach Lebensmitteln erschließt sich möglicherweise durch die Ableitung des Wortes Latz vom italienischen Begriff „Lazzo“mit seinen Bedeutungen Posse, Schwank, Witz, Schmäh und den Gedanken an nach dem dreißigjährigen Krieg auf dem Weg in die Heimat befindliche Soldaten aus dem italienischen Sprachbereich. Nach Aufbrauch des in wallensteinischen Diensten erworbenen kärglichen Solds blieb ihnen wohl nichts anderes übrig, als sich mit Betteln oder, was eben einträglicher war, mit einer Art Schaustellerei durchzuschlagen.
Ein Kaiser als Spaßfigur in Form eines Strohmanns und in seinem Gefolge säbelschwingend Generalissimus und Feldmarschall brachten Abwechslung ins ereignislose Dorfleben. Dem bewaffneten Imponiergehabe zu widerstehen, wäre kaum ratsam gewesen, zumal die hohen Herren ihre niedrigeren Dienstgrade zum Einsatz bringen konnten.
Möglicherweise hat das erpresserische Szenario die Dorfjugend einst zu spielerischer Nachahmung angeregt.
„Heil Latzmann“ist in Volkersheim auf dem der Truppe vorangetragenen Schild zu lesen. Sorge um das Fortbestehen des originellen alten Brauchs macht sich Elvira Schick, Wirtin des Erlebnisgasthofs Hasen. Dort bereiten sich die Teilnehmer alljährlich für den Umzug vor. „Es waren noch nie so wenige wie dieses Jahr“, sagt Elvira Schick und führt den Mangel darauf zurück, dass der örtliche Motorradclub gleichzeitig samt Kindern in Urlaub gefahren war.