Richard J. Roberts, Sprecher des Gentechnik-Fanclubs
Der Nobelpreisträger ist auf Werbetour für gentechnisch veränderte Lebensmittel – Er sagt: Wer sie blockiert, begehe ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“
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LINDAU - Könnten sich linksliberale Deutsche einen Wissenschaftler schnitzen, dann wäre er wohl fast wie Richard J. Roberts. Roberts gewann 1993 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Er hat Appelle Dutzender Nobelpreisträger organisiert – unter andem für Liu Xiaobo, den in China fast bis zu seinem Tod eingesperrten Schriftsteller. Roberts spricht sich aus für Gesundheitsversorgung für alle. Er verachtet wissenschaftsfeindliche Populisten wie USPräsident Donald Trump. Er hält wenig von Saatgut-Riesen wie Monsanto. Und jetzt, im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“bei der Nobelpreisträgertagung in Lindau, ledert er in sanft klingendem britischen Englisch gegen Pharmakonzerne. „Die sind ja nicht wirklich daran interessiert, irgendeine Krankheit zu heilen“, sagt er.
Doch dann spricht Roberts über Gentechnik – und sagt Worte, bei denen vielen Deutschen die Kinnlade herunterfallen dürfte. Denn Roberts, vor gut 74 Jahren im britischen Derby geboren, ist der Sprecher eines internationalen Gentechnik-Fanclubs.
Die Mitglieder dieses Clubs sind 133 Nobelpreisträger. Sie alle haben einen offenen Brief unterschrieben, der an die Umweltorganisation Greenpeace gerichtet ist, die Vereinten Nationen, an Regierungen auf der ganzen Welt – mit der eindringlichen Bitte, genetisch veränderte Organismen (GVO) zu unterstützen. Roberts hat diesen Brief angestoßen. Bei einem Vortrag in Lindau erzählt er in halbironischem Tonfall, dass er hier am Bodensee versuchen wird, die vier hier anwesenden Preisträger zu überzeugen, die noch nicht unterschrieben haben. 2016 hat Roberts den Brief veröffentlicht, seither ist er auf weltweiter Werbetour.
Meiste Deutsche sind dagegen
75 Prozent der Deutschen meinen laut einer 2016 veröffentlichten Umfrage im Auftrag des Bundesumweltministeriums, der Mensch habe kein Recht, Pflanzen und Tiere gezielt gentechnisch zu verändern. 73 Prozent erklären, sie würden keine gentechnisch veränderten Lebensmittel essen. Roberts sagt: Ihre Angst ist völlig unbegründet. Seine wichtigsten Argumente: Genetische Modifizierung sei ja seit Jahrtausenden üblich in der Landwirtschaft – durch Kreuzung verschiedener Pflanzen. Und durch Gentechnik könne man Pflanzen viel präziser verändern.
GVO seien eine entscheidende Zukunftstechnologie für eine umweltverträgliche Landwirtschaft, die alle auf der Welt satt macht. Und während Menschen in reichen Ländern sich ja entscheiden könnten, ob sie GVO essen oder nicht, gehe es für Menschen in ärmeren Ländern ums nackte Überleben. „Essen ist ihre Medizin“, sagt Roberts über die 815 Millionen Menschen auf der Welt, die an Unterernährung und Nährstoffmangel leiden. Als eklatantes Beispiel für den Nutzen von GVO sieht er „Goldenen Reis“: per Gentechnik mit Betacarotin angereicherte Reispflanzen, die in Südostasien den Vitamin-A-Mangel bekämpfen könnten – was Millionen Menschen, sagt Roberts, vor Fehlbildungen und Blindheit retten würde. Und wer den Einsatz von GVO blockiere, der begehe deshalb ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
Roberts spricht manchmal drastisch, fast immer direkt. Er will anders sein als die Wissenschaftler, die ihre Erkenntnisse nur in verschwurbeltem Fachchinesisch kommunizieren können. Seine Wortwahl nehmen ihm Gentechnikgegner übel. In einer Antwort auf den offenen Pro-GVO-Brief 2016 schreibt Greenpeace, seine Vorwürfe seien „irreführend und unaufrichtig“.
Fragt man Roberts, warum er die Werbung für GVO zu seiner Mission gemacht hat, dann erzählt er von einem Gentechnik-Symposium im Jahr 2014. Dutzende Pflanzenbiologen seien dort gewesen und hätten ihm von massiven Problemen bei ihrer Forschung erzählt, vor allem in Europa: Sie bekämen kein öffentliches Geld mehr, könnten ihre Ergebnisse nicht verbreiten – weil die „AntiGVO-Leute“, wie Roberts sagt, sie als Handlanger der Agro-Industrie verunglimpften.
Die „AntiGVO-Leute“, wie Roberts sie nennt, argumentieren mit den Risiken, die gentechnisch veränderte Lebensmittel mit sich brächten. Die Verbraucherzentrale Deutschland etwa schreibt auf ihrer Webseite von der Gefahr, dass Genpflanzen sich in der freien Natur ausbreiten, dass Schädlinge resistent werden gegen Unkrautvernichter – und dass Schäden für die menschliche Gesundheit zumindest nicht ausgeschlossen werden können.
Roberts antwortet: Es gebe keine wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnisse zu Schäden durch GVO. Er verweist auf zahlreiche Studien durch mehrere Wissenschaftler, die die Unschädlichkeit von GVO bewiesen. In Lindau sagt er: „Ich würde mir wünschen, dass Greenpeace zugibt: ,Wir haben einen Fehler gemacht.’“In seiner Gentechnikgegnerschaft sei Greenpeace ebenso wie jene Menschen, die den Klimawandel trotz niederschmetternder wissenschaftlicher Erkenntnisse leugnen. „Die Gentechnikgegner ignorieren die Wissenschaft“, sagt er.
Dabei hält er ansonsten vieles für lobenswert, was Greenpeace tut – Stichwort: Kampf gegen den Klimawandel. Das hat Roberts immer wieder in Interviews gesagt. Aber es gibt da eben diese Ausnahmen: Positionen, mit denen er sich momentan in Deutschland kaum Freunde macht. Glyphosat? Roberts sagt: „Das Koffein im Kaffee ist viel giftiger – und Sie trinken Kaffee, ohne sich Sorgen zu machen.“Und wie hält er es mit dem Ökolandbau? Roberts zuckt mit den Schultern. Dann sagt er: „Sie wollen eine Bakterieninfektion? Dann essen sie Ökolebensmittel.“
„Die Gentechnikgegner ignorieren die Wissenschaft.“Nobelpreisträger Richard J. Roberts