Özil-Debatte erreicht die Region
Schadet das Verhalten der DFB-Spitzenfunktionäre die Integrationsarbeit der Basis? Die SZ hat Betroffene gefragt
RAVENSBURG (fil/tk/coko/aw/dpa) Die eigenwillige Aufarbeitung des historischen Scheiterns der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-WM in Russland, und die Fokussierung der Spitzenfunktionäre des DFB auf Mesut Özil und seine vor der WM getätigten PR-Fotos für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, bewegt auch Fußballer in der Region. Die „Schwäbische Zeitung“hat mit Spielern, Trainern und Funktionären gesprochen, die selbst einen Migrationshintergrund haben und in ihrer täglichen Arbeit Integration fördern. „Mit Özil stellen sie jetzt einen einzelnen Spieler an den Pranger und machen ihn für das sportliche Versagen der ganzen Mannschaft bei der WM verantwortlich“, sagt etwa Nuri Saltik, der Bezirksvorsitzende Bodensee des Württembergischen Fußballverbands.
Özil als Sündenbock?
Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff und DFB-Präsident Reinhard Grindel hatten zuletzt den Druck auf Özil erhöht. Bierhoff hatte Ende letzter Woche in der „Welt“die Frage aufgeworfen, ob man Özil wömöglich lieber nicht zur WM hätte mitnehmen sollen und war danach ausdauernd mit dem Zurückrudern von dieser Aussage beschäftigt. Grindel hatte in einem am Sonntag vorab veröffentlichten „kicker“-Interview den Blick wieder weg von Bierhoff geleitet und eine öffentliche Erklärung Özils zu den Erdoganfotos gefordert.
Nicht nur Saltik fürchtet, dass Özil somit zum Sündenbock für das WM-Desaster gemacht werden soll. „Die Reaktionen auf das Bild sind schlimmer als das Bild selbst“, sagt etwa Rahman Soyudogru, Stürmer beim Oberligisten FV Ravensburg und einst als Junioren-Nationalspieler des DFB etwa auch Teamkollege von Ilkay Gündogan, der sich ebenfalls mit Erdogan ablichten ließ, sich aber vor der WM dazu erklärte.
„Der DFB hat Özil jahrelang vertraut und auf ihn gebaut, ihn jetzt so fallen zu lassen, finde ich nicht richtig“, sagt Argirios Giannikis, der in Nürnberg geborene griechischstämmige Trainer des Drittligisten VfR Aalen der „Schwäbischen Zeitung“.
Es gibt jedoch auch andere Meinungen. Fatih Ergüven, der türkischstämmige Vorstand des Kreisligisten SK Weingarten, der in den letzten Jahren zahlreiche Flüchtlinge aufgenommen hat, versteht Grindels Forderung. „Ich erwarte, dass sich Özil öffentlich äußert. Er vertritt mit seinem Spiel das deutsche Volk, da darf das Volk dann schon auch eine Reaktion von ihm erwarten“, sagt er. Allerdings befürchtet Ergüven auch, dass die Vereine „sich in Sachen Integration durch diese Debatte schwerer“tun könnten. Auch Mohsen Younis, der aus Ägypten stammende Trainer der TSG Ehingen, findet, dass Özil mit den Erdoganfotos vor der WM einen Fehler gemacht habe. „Dass aber immer noch darüber geredet wird und manche Öl ins Feuer gießen, ist übertrieben. Das bringt nur Unruhe, auch in die kleinen Vereine und das brauchen wir nicht“, sagt er.
Ins gleiche Horn bläst Dagmar Freitag (SPD), die Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag. Sie fürchtet wegen des verfehlten Krisenmanagements der DFB-Spitze um die gesellschaftspolitische Bedeutung der Nationalmannschaft. „Der Umgang mit der Causa Özil/Gündogan hat das Potenzial zu gefährden, was diese Nationalmannschaft in den letzten Jahren zu Recht auch verkörpert hat: Integration kann gelingen. Auch oder vor allem im Sport“, sagte Freitag dem „Sportinformationsdiensts SID“. Die Angelegenheit sei laut Freitag „dermaßen verfahren, dass es nur noch Verlierer geben kann: Özil, Verband und die Gesellschaft“.
Heftige Kritik am DFB übte NRWMinisterpräsident Armin Laschet. „Auf die Idee, dass ein Foto mit Erdogan an der Niederlage gegen den Fußball-Giganten Südkorea Schuld sein soll, können auch nur DFBFunktionäre nach drei Wochen Nachdenken kommen“, so Laschet auf Twitter.
Auch Fecht-Europameister und Athletenvertreter Max Hartung verurteilte das Verhalten der DFB-Spitze und das Nachtreten gegen Özil. „Lieber @DFB, lieber Herr @DFB_Praesident, ich finde das nicht okay. Als Mannschaft gewinnt man zusammen und man verliert auch zusammen“, twitterte er.