Ein Leben für Gott, die Gemeinschaft und die Menschen
Der Alltag der Franziskanerinnen im Kloster Reute bei Bad Waldsee ist vom Miteinander bestimmt
REUTE
- Schwester Elisa Kreutzer sitzt an einem Tisch in der Bibliothek des Klosters Reute. An den Wänden stehen zimmerhohe Bücherregale, in denen sich verschiedene Folianten aneinanderreihen. An einer Seite steht die Bibel in allen möglichen Ausgaben, an der anderen Wand reihen sich Schriftsammlungen von Heiligen. Der Raum riecht nach alten Büchern. Auf dem Tisch vor der Franziskanerin liegen aufgeschlagen die Schriften des Franziskus. Interessiert liest sie darin.
Die Bibliothek im Mutterhaus ist einer der verborgenen Orte im Kloster und der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Der sogenannte Klausurbereich gehört zu den privaten Räumen der Schwestern. Das gilt auch für die persönlichen Zimmer oder das Archiv des Klosters. Die Schwestern brauchen ihre Rückzugsorte. „Dies ist wichtig, da wir tagsüber für andere da sind, immer in Gemeinschaft sind“, sagt Schwester Elisa. Im Grunde aber sei das Kloster ein Ort, an dem alle Menschen willkommen seien. Bereits seit 30 Jahren gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, in einem Mitlebekonvent den Klosteralltag hautnah zu erleben.
Schwester Elisa ist eine von 170 Schwestern im Kloster Reute bei Bad Waldsee. Das Kloster gehört dem Orden der Franziskanerinnen. Die Geschichte der heutigen Gemeinschaft reicht bis ins 17. Jahrhundert zurück. Begonnen hat alles mit fünf jungen Frauen aus Ehingen an der Donau. Sie wollten ihr Leben Gott widmen und machten es sich zum Ziel, arme und kranke Mitmenschen zu pflegen. Eine mögliche Klostergründung und ein Leben als Nonnen konnten sich die frommen Frauen zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht vorstellen.
Ganz im Gegensatz zu Schwester Makrina Ziegler. Sie hatte sich schon sehr früh mit dem Gedanken an ein klösterliches Leben vertraut gemacht. Im Jahr 1953 erfüllte sie sich diesen Wunsch und trat schon im Alter von 18 Jahren den Schwestern im Kloster Reute bei. Eine Aufgabe für sie war schnell gefunden – sie wurde Krankenschwester im Kinderkrankenhaus St. Nikolaus in Ravensburg.
Leiterin der Frühchenstation
Ihre Berufung fand sie, als sie Mitte der 60er-Jahre zur Leiterin der Frühchenstation ernannt wurde. „Ich hatte immer schon einen Weitblick“, sagt Schwester Makrina. Am Aufbau der Station war sie maßgeblich beteiligt. Gemeinsam mit einem Professor aus Ulm sorgte sie dafür, dass die notwendigen Geräte angeschafft wurden, rief den Frühchenabholdienst mit einem Rettungswagen ins Leben und tat alles dafür, dass die Säuglinge überleben. „Wir haben damals viele Kinder verloren, da die Mittel für die entsprechenden Geräte nicht da waren“. Ihre Kraft zog sie aus dem Gebet.
An eine besondere Geschichte erinnert sich Schwester Makrina: Eine junge Mutter war in der 28. Schwangerschaftswoche, als es zu Komplikationen kam. Schwester Makrina hatte mit einem jungen Arzt Dienst, der noch sehr unerfahren war. Als das Kind auf die Welt kam, schrie es nicht. Das Baby lief blau an, doch der Arzt bekam den Tubus, der die Beatmung sichert, nicht an die richtige Stelle. Beherzt griff Schwester Makrina ein und rettete so dem kleinen Jungen das Leben. Inzwischen ist er 32 Jahre alt und seiner Lebensretterin immer noch sehr dankbar. Über solche Geschichten spricht die Franziskanerin aber nicht gerne. Sie lebt die konkrete Hingabe für die Menschen, erzählt nur ungern von ihren Rettungsaktionen. Das gehöre zum Leben als Klosterschwester einfach dazu, erklärt Schwester Elisa.
Leben für die Alten und Kranken
Auch die Gründerinnen der Gemeinschaft haben ihr Leben den Alten und Kranken verschrieben. Sie entschieden sich schließlich für ein klösterliches Leben nach den Vorgaben des heiligen Franziskus. Die Zeiten damals waren sehr schwer, immer wieder mussten sich die Frauen eine neue Bleibe suchen. Diese Suche führte die Schwestern von Ehingen nach Schwäbisch Hall und nach Biberach an der Riß. Die Suche endete schließlich im oberschwäbischen Reute, wo sie 1869 die passende Klosteranlage vorfanden.
Schwester Elisa stieß im Jahr 2003 zur Klostergemeinschaft dazu. Sie kommt aus Langenau bei Ulm und studierte auf Lehramt in Freiburg. Dass sie neben Deutsch auch Theologie studierte, war anfangs allein der Tatsache geschuldet, dass sie ein Beifach benötigte. „Ich wurde weder besonders religiös erzogen, noch war ich auf eine besondere Art gläubig“, sagt Schwester Elisa. Nach einer Assisifahrt taten sich bei ihr aber doch Glaubensfragen auf, und letztlich entschied sie sich bewusst für ein klösterliches Leben als Franziskanerin von Reute. Eine andere Klostergemeinschaft sei für sie nicht in Frage gekommen. Nach ihrem Klostereintritt absolvierte Schwester Elisa Kreutzer ihr Referendariat. Heute ist sie in der Öffentlichkeits- und Jugendarbeit tätig.
Schwester Makrina hat nach 52 Jahren im Kinderkrankenhaus St. Nikolaus aufgehört – vor elf Jahren war das. Inzwischen hat sie eine Aufgabe am Mutterhaus übernommen. Sie arbeitet für etwa vier oder fünf Stunden am Tag an der Pforte des Gut-Betha-Hauses und lotst Besucher zu den Bewohnerinnen des Pflegeheims. Über einen kleinen Bildschirm können die Schwestern sehen, wer an der Türe klingelt und diese anschließend über ein Telefon öffnen.
Das klösterliche Pflegeheim für die Schwestern hat seinen Namen von der „Guten Beth“Elisabeth Achler. Mit ihr hat die Geschichte des Klosters Reute begonnen. Achler, die in Bad Waldsee geboren wurde, kommt aus einer Webersfamilie. Mit 15 Jahren brach sie mit ihrer Familie und wählte für sich ein Leben im Dritten Orden des heiligen Franziskus. 1403 wurde für Elisabeth und vier weitere Schwestern ein Kloster auf dem Hügel neben der Reuter Dorfkirche erbaut. Elisabeth Achler vertiefte sich dann nach und nach in das Leid, um das Leiden Jesus Christus nachzuempfinden. Immer wieder hatte sie Visionen und betete für die Menschen, für die Welt. Heute wird sie als Selige verehrt und von Pilgern immer wieder im Gebet um Hilfe gebeten.
Schwester Makrina und Schwester Elisa sitzen jetzt im Gebetsraum ihres Konvents. Vor ihnen ist ein Weg mit einem bunten Kreuz und einer Sonne aufgebaut. Die Stühle stehen im Halbkreis davor. Beide Frauen sitzen in aller Stille vor diesem Kreuz. Die Gebete gehören zu ihrem täglichen Ablauf dazu. Die beiden sind nicht nur durch die Schwesternschaft Reute miteinander verbunden, sie leben auch seit 2013 mit elf weiteren Schwestern im Mitlebekonvent St. Elisabeth. Dieser wurde vor vier Jahren neu gegründet, und die beiden haben Ja dazu gesagt, das Leben in dieser konkreten Hausgemeinschaft mitzugestalten.
Muße im Archiv
Neben der Recherche in der Klosterbibliothek verbringt Schwester Elisa auch immer wieder Zeit im hauseigenen Archiv. Zwischen alten Schriften, Büchern und Erinnerungen stöbert sie in den Regalen, um den „Geschichtsunterricht“für die angehenden Schwestern vorzubereiten. In einem Regal ist in mehreren Bänden die Klostergeschichte zusammengefasst. Ein anderes Büchlein verrät mehr über die Lebensform der Schwestern. Immer wieder entdeckt Schwester Elisa etwas Neues, schaut sich die vergilbten Seiten an und ist dabei völlig vertieft.