Protest rund um Uhrmacherhäusl hält an
Der Abriss eines denkmalgeschützten Hauses in München erregt die Gemüter bis heute
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MÜNCHEN - Als vor einem Jahr ein denkmalgeschütztes Haus in München illegal abgerissen wurde, machte das deutschlandweit Schlagzeilen. Die Aktion galt als Sinnbild der Gentrifizierung und des ruchlosen Investorentums. Bis heute halten die Anwohner Mahnwachen ab.
Mitten hinein in die Klangwolke aus Dutzenden plaudernden Menschen ertönt plötzlich ein Geräusch von Metall, das auf Stein trifft. Nach einigen Sekunden ist allen Umstehenden klar: Es ist ein Abrissbagger, der sich an einer Hauswand zu schaffen macht. Dieses Geräusch aus dem Lautsprecher ist an selber Stelle vor genau einem Jahr ertönt.
Damals machte ein Bagger in nur neun Minuten das Haus in der Oberen Grasstraße im Münchner Stadtteil Giesing dem Erdboden gleich – ohne Erlaubnis, mithin also illegal. Die Aktion schlug Wellen der Empörung, weit über die Grasstraße, ja sogar weit über München hinaus. Denn das um 1850 erbaute sogenannte Uhrmacherhäusl stand unter Denkmalschutz und hätte nicht abgerissen werden dürfen. Doch darüber setzte sich der Eigentümer kurzerhand hinweg und schaffte Tatsachen mit dem Bagger – aus Profitgier, davon sind die Anwohner überzeugt.
Sie gründeten damals die Bürgerinitiative „Heimat Giesing“, die seither regelmäßige Mahnwachen vor dem Grundstück abhält – so auch an diesem Samstag, dem Jahrestag des Abrisses. Nachdem die Baggergeräusche verklungen sind, ergreift Angelika Luible das Mikrofon. Ein Unternehmer aus Neuried habe ein „abgekartetes Spiel gespielt, das war kriminell, keine Frage“, sagt Luible. Sie habe damals miterlebt, wie es schon am Vortag einen ersten Abbruchversuch gab, der nur durch das Einschreiten eines Nachbarn verhindert wurde. Wie es im zweiten Anlauf dann so schnell ging, dass kein Eingreifen mehr möglich war. Wie die zwei Männer mit dem Mietbagger anrückten, „und ein Dritter vorne an der Straße Schmiere stand“, so Luible. Wie das Uhrmacherhäusl binnen Minuten plattgemacht wurde, und die Männer wie Bankräuber türmten; erst drei Tage später holte die Verleihfirma den Bagger ab.
„Das war alles geplant“, sagt Luible. „Ich habe mich informiert und erfahren, dass man für 50 000 Euro jemanden anheuern kann, der ohne Nachfrage jedes Haus abreißt. Und die Firma gibt‘s dann hinterher nicht mehr.“Tatsächlich ist auch das Bauunternehmen, das hier am Werke war, inzwischen nicht mehr existent. Wen es freilich noch gibt, ist der Inhaber, der dem Vernehmen nach behauptet, es habe sich nur um ein großes Versehen gehandelt. Vonseiten der Stadt hatte er eine Genehmigung für die Sanierung des Hauses, nicht aber für dessen Abriss. Der wiederum sorgte vor einem Jahr deutschlandweit für Schlagzeilen. „Wenn der Inhaber damit durchkommt, dann kann er hier ein vier- oder fünfstöckiges Wohnhaus bauen“, sagt Luible. „Da kommt er auf einen Mehrgewinn von rund drei Millionen Euro.“
Stadt verspricht Gegenwehr
Genau das will auch die Stadt München. Von einem „Skandal“sprach Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) nach dem Abriss. Und er betonte: „Wir werden mit aller Härte gegen die Verantwortlichen vorgehen.“Im April hat seine Kommune den Inhaber aufgefordert, das Uhrmacherhäusl in seiner ursprünglichen Form und unter Erhalt der noch vorhandenen Materialien wieder aufzubauen.
Gegen diesen Bescheid hat der Unternehmer aus Neuried Klage eingereicht. Eine Verhandlung sei in diesem Jahr aber „nicht mehr zu erwarten“, sagt ein Sprecher des Verwaltungsgerichts. Derweil beschäftigt sich auch die Staatsanwaltschaft München mit dem Fall. Wobei noch unklar ist, ob überhaupt jemand zur Rechenschaft gezogen wird – und wenn ja, wer: der Baggerfahrer, die Baufirma oder der Inhaber? „Die Ermittlungen laufen noch“, teilt die Staatsanwaltschaft mit.
Ob sie selbst daran glaube, dass das Uhrmacherhäusl wieder aufgebaut wird? „Puh“, sagt Angelika Luible und schnauft tief durch. „Es wird wohl ein jahrelanger Prozess werden, bei dem die Stadt dranbleiben muss.“Auf jeden Fall dranbleiben werde aber die Initiative „Heimat Giesing“, betont Luible. „Aufgeben ist für uns keine Alternative.“