„Ein Angriff auf die Stadtgesellschaft“
Experte der Landesregierung beleuchtet Antisemitismus - „Lesen ist Freiheit“
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ULM - Erst jüngst haben Hakenkreuzschmierereien im Ulmer Münster sowie in Neu-Ulm und Pfuhl die Öffentlichkeit empört. Vor diesem Hintergrund referierte der Antisemitismus-Beauftragte der baden-württembergischen Landesregierung, Michael Blume, am Sonntagabend im voll besetzten Großen Saal des Hauses der Begegnung zum Thema „Sterne, Kreuze, Hakenkreuze - Warum Antisemiten alle Religionen attackieren“.
Das Thema ist vor allem elektrisierend, weil in rechten Gruppierungen und Parteien immer wieder mehr oder weniger verdeckte antisemitische Parolen laut werden. Aufmerksame Zuhörer am Sonntag waren Vertreter verschiedener Religionen, allen voran der Ulmer Rabbi Shneur Trebnik, sowie der frühere Oberbürgermeister Ivo Gönner.
Mann: „Das Münster steht für Werte“
Zu Beginn wies die Ulmer Kulturbürgermeisterin Iris Mann darauf hin, dass die Schmierereien im Münster „ein Angriff auf die gesamte Stadtgesellschaft“seien. Das Münster stehe „für humanistische Werte und Religionsfreiheit“. Iris Mann betonte: „Es gibt Kräfte in unserem Land, die die Angst schüren. Wir müssen genau hinsehen, wo die Ursachen dafür liegen. Da ist die Politik gefordert.“
Michael Blume, studierter Religionswissenschaftler, hielt einen profunden Vortrag, der die Ergebnisse intensiver Recherchen und eigener Anschauungen enthielt und am Ende mit anhaltendem Beifall bedacht wurde. Der Redner holte immer wieder weit aus, ging in der Geschichte zurück bis zu Noah, auf den nach biblischer Überlieferung alle Menschen zurückgehen, erzählte von Massengräbern, vor denen er stand und für die unter anderem die Terrororganisation „Islamischer Staat“verantwortlich war.
Blume sprach von früheren Zeiten in Spanien, als dort Juden und Muslime vor die Wahl gestellt wurden, entweder zum Christentum zu konvertieren oder das Land zu verlassen. Wer konvertierte, wurde trotzdem verfolgt, denn Semit zu sein sei eine Frage der Genetik. „Völliger Quatsch“, sagte Blume. „Das hat nur etwas mit dem Glauben zu tun und nicht mit den Genen.“
Der Antisemitismus-Beauftragte ging auch auf die Judenverfolgung und -vernichtung unter Adolf Hitler im Dritten Reich ein, der in einer Rede die Bibel verhöhnte und behauptete, Juden seien Parasiten und nur Arier könnten arbeiten und berichtete dann Verstörendes: „Im Irak gibt es keine jüdischen Gemeinden mehr. Mit der Entstehung des israelischen Staates seien alle Juden vertrieben worden. Der Verschwörungsmythos, gemäß dem die Freimaurer, Illuminaten und Juden die Weltverschwörer sind, und damit der Antisemitismus blühen im Iran, in Myanmar und vor allem in Indien mächtig auf. Die Inder mögen Hitler, und sein Buch ,Mein Kampf’ wird dort millionenfach gelesen. Es gibt sogar Hitler-IceCream zu kaufen.“Auf dem Verpackungspapier ist, wie ein Foto am Sonntag zeigte, ein Konterfei Hitlers zu sehen.
Angriffe auf Gotteshäuser nicht akzeptieren
„Die Juden sind an allem schuld, so ist heute noch der Glaube“, referierte Blume. Das Feindbild stehe fest. Hier in Ulm habe es in jüngster Zeit zwei Attacken auf die Synagoge geben. Blume: „Wir können Angriffe auf Gotteshäuser nicht akzeptieren.“
Semitismus sei eigentlich etwas Positives. Er beziehe sich auf das Medium Schrift. Der Antisemit weigere sich, aus der Vergangenheit zu lernen. Er missachte die Schrift. „Er setzt auf Diskriminierung und Vernichtung.“
Da brachte der Vortragende wieder die rechten Kräfte ins Spiel: „Die Populisten teilen die Welt auf in Gut und Böse. Sie schreien und wecken Ängste. Das funktioniert immer.“
Die Erfindung des Buchdrucks habe einst viele Vorteile gehabt, aber aufgrund der Verbreitung von Schlechtem auch Nachteile. So sei es auch heute mit den digitalen Medien: „Die Gefahr ist sehr groß, dass sich die Menschen im Internet radikalisieren. In Polen wird das ganz deutlich. Über die Hälfte der Polen sagt, sie möchte keinen Juden als Nachbarn.“
Aus Deutschland weiß er zu berichten: „Der Musiker Kollegah, der zum Islam konvertiert ist, hat kürzlich einen Echo-Preis erhalten. In seinem Song „Apocalypse“zum Beispiel singt er 13 Minuten lang von der jüdisch-illuminatischen Verschwörung und am Ende von glücklichen Religionen ohne Juden. Der Song wurde auf Youtube 14 Millionen Mal aufgerufen.“
Um etwas zu ändern, rät Blume: „Den Dialog miteinander pflegen, eigene Vorurteile hinterfragen, dem Antisemitismus und Rassismus widersprechen, den Rechtsstaat verteidigen und die Pressefreiheit schützen, viel lesen und die Kinder zum Lesen bringen. Ich weiß wie schwer das ist. Aber ,Lesen ist Freiheit’ wie Sophie Scholl einst sagte.“