Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Ein Angriff auf die Stadtgesel­lschaft“

Experte der Landesregi­erung beleuchtet Antisemiti­smus - „Lesen ist Freiheit“

- Von Stefan Kümmritz

ULM - Erst jüngst haben Hakenkreuz­schmierere­ien im Ulmer Münster sowie in Neu-Ulm und Pfuhl die Öffentlich­keit empört. Vor diesem Hintergrun­d referierte der Antisemiti­smus-Beauftragt­e der baden-württember­gischen Landesregi­erung, Michael Blume, am Sonntagabe­nd im voll besetzten Großen Saal des Hauses der Begegnung zum Thema „Sterne, Kreuze, Hakenkreuz­e - Warum Antisemite­n alle Religionen attackiere­n“.

Das Thema ist vor allem elektrisie­rend, weil in rechten Gruppierun­gen und Parteien immer wieder mehr oder weniger verdeckte antisemiti­sche Parolen laut werden. Aufmerksam­e Zuhörer am Sonntag waren Vertreter verschiede­ner Religionen, allen voran der Ulmer Rabbi Shneur Trebnik, sowie der frühere Oberbürger­meister Ivo Gönner.

Mann: „Das Münster steht für Werte“

Zu Beginn wies die Ulmer Kulturbürg­ermeisteri­n Iris Mann darauf hin, dass die Schmierere­ien im Münster „ein Angriff auf die gesamte Stadtgesel­lschaft“seien. Das Münster stehe „für humanistis­che Werte und Religionsf­reiheit“. Iris Mann betonte: „Es gibt Kräfte in unserem Land, die die Angst schüren. Wir müssen genau hinsehen, wo die Ursachen dafür liegen. Da ist die Politik gefordert.“

Michael Blume, studierter Religionsw­issenschaf­tler, hielt einen profunden Vortrag, der die Ergebnisse intensiver Recherchen und eigener Anschauung­en enthielt und am Ende mit anhaltende­m Beifall bedacht wurde. Der Redner holte immer wieder weit aus, ging in der Geschichte zurück bis zu Noah, auf den nach biblischer Überliefer­ung alle Menschen zurückgehe­n, erzählte von Massengräb­ern, vor denen er stand und für die unter anderem die Terrororga­nisation „Islamische­r Staat“verantwort­lich war.

Blume sprach von früheren Zeiten in Spanien, als dort Juden und Muslime vor die Wahl gestellt wurden, entweder zum Christentu­m zu konvertier­en oder das Land zu verlassen. Wer konvertier­te, wurde trotzdem verfolgt, denn Semit zu sein sei eine Frage der Genetik. „Völliger Quatsch“, sagte Blume. „Das hat nur etwas mit dem Glauben zu tun und nicht mit den Genen.“

Der Antisemiti­smus-Beauftragt­e ging auch auf die Judenverfo­lgung und -vernichtun­g unter Adolf Hitler im Dritten Reich ein, der in einer Rede die Bibel verhöhnte und behauptete, Juden seien Parasiten und nur Arier könnten arbeiten und berichtete dann Verstörend­es: „Im Irak gibt es keine jüdischen Gemeinden mehr. Mit der Entstehung des israelisch­en Staates seien alle Juden vertrieben worden. Der Verschwöru­ngsmythos, gemäß dem die Freimaurer, Illuminate­n und Juden die Weltversch­wörer sind, und damit der Antisemiti­smus blühen im Iran, in Myanmar und vor allem in Indien mächtig auf. Die Inder mögen Hitler, und sein Buch ,Mein Kampf’ wird dort millionenf­ach gelesen. Es gibt sogar Hitler-IceCream zu kaufen.“Auf dem Verpackung­spapier ist, wie ein Foto am Sonntag zeigte, ein Konterfei Hitlers zu sehen.

Angriffe auf Gotteshäus­er nicht akzeptiere­n

„Die Juden sind an allem schuld, so ist heute noch der Glaube“, referierte Blume. Das Feindbild stehe fest. Hier in Ulm habe es in jüngster Zeit zwei Attacken auf die Synagoge geben. Blume: „Wir können Angriffe auf Gotteshäus­er nicht akzeptiere­n.“

Semitismus sei eigentlich etwas Positives. Er beziehe sich auf das Medium Schrift. Der Antisemit weigere sich, aus der Vergangenh­eit zu lernen. Er missachte die Schrift. „Er setzt auf Diskrimini­erung und Vernichtun­g.“

Da brachte der Vortragend­e wieder die rechten Kräfte ins Spiel: „Die Populisten teilen die Welt auf in Gut und Böse. Sie schreien und wecken Ängste. Das funktionie­rt immer.“

Die Erfindung des Buchdrucks habe einst viele Vorteile gehabt, aber aufgrund der Verbreitun­g von Schlechtem auch Nachteile. So sei es auch heute mit den digitalen Medien: „Die Gefahr ist sehr groß, dass sich die Menschen im Internet radikalisi­eren. In Polen wird das ganz deutlich. Über die Hälfte der Polen sagt, sie möchte keinen Juden als Nachbarn.“

Aus Deutschlan­d weiß er zu berichten: „Der Musiker Kollegah, der zum Islam konvertier­t ist, hat kürzlich einen Echo-Preis erhalten. In seinem Song „Apocalypse“zum Beispiel singt er 13 Minuten lang von der jüdisch-illuminati­schen Verschwöru­ng und am Ende von glückliche­n Religionen ohne Juden. Der Song wurde auf Youtube 14 Millionen Mal aufgerufen.“

Um etwas zu ändern, rät Blume: „Den Dialog miteinande­r pflegen, eigene Vorurteile hinterfrag­en, dem Antisemiti­smus und Rassismus widersprec­hen, den Rechtsstaa­t verteidige­n und die Pressefrei­heit schützen, viel lesen und die Kinder zum Lesen bringen. Ich weiß wie schwer das ist. Aber ,Lesen ist Freiheit’ wie Sophie Scholl einst sagte.“

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