Deutschland kann auch Hollywood
Das Seriengroßprojekt „Babylon Berlin“ist allein wegen seiner Bildgewalt sehenswert
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BERLIN - Es ist das teuerste deutsche Serienprojekt aller Zeiten: „Babylon Berlin“. Nach der Erstausstrahlung auf dem Bezahlsender Sky vor einem Jahr ist die Serie in der ARD jetzt auch frei empfangbar. Allein wegen der bislang in Deutschland unerreichten technischen Qualität und optischer Opulenz sind die 16 Folgen unbedingt zu empfehlen. Auch wenn die Charaktere vor diesem bildgewaltigen Hintergrund hin und wieder zu verschwinden drohen.
Die Umsetzung von „Babylon Berlin“ist ein Mammutprojekt, das es so in Deutschland noch nie gegeben hat. Das lässt sich gut an einigen Zahlen ablesen. Mit Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries brauchte es drei Regisseure und Buchautoren sowie vier Produktionsfirmen (ARD-Tochter Degeto Film, Sky Deutschland, Beta Film und X Film Creative Pool). Etwa 200 Sprechrollen und 5000 Komparsen drehten an 300 Orten. In den Filmstudios Babelsberg sind ganze Straßenzüge entstanden. Für jede der 16 Folgen lag das Budget bei etwa 2,5 Millionen Euro, die Serie verschlang insgesamt rund 40 Millionen Euro. Eine Investition, die sich sehen, und vor allem mit internationalen Produktionen messen lassen kann.
Pornos, Gangster und Nazis
Der Krimi spielt Ende der Zwanzigerjahre und in der Hauptstadt brodelt es: Die Demokratie bröckelt, der Nationalsozialismus keimt auf. In der Unterwelt agieren skrupellose Gangsterbosse, Pornoringe und korrupte Polizisten. Auf den Straßen toben Straßenschlachten zwischen Arbeitern und Polizisten.
Und parallel dazu ist ein mysteriöser Goldtransport auf dem Weg nach Berlin, auf den es sowohl konterrevolutionäre Russen als auch die geheime Schwarze Reichswehr abgesehen haben. Die Hauptfigur, Kommissar Gereon Rath (Volker Bruch), verstrickt sich unlösbar in alle Konflikte. Auch die kecke Stenotypistin Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) gerät schnell zwischen die Fronten.
Zwar ist die Szenerie meist düster, trotzdem präsentiert sich „Babylon Berlin“als Hochglanz-Produktion. Selbst wenn die Figuren verschwitzt und blutverschmiert durch die Straßen wanken. Diese High-End-Serie hat damit nichts von den eher matt und verstaubt anmutenden deutschen Fernsehserien und Filmen.
Lange müssen die Zuschauer nicht darauf warten, bis „Babylon Berlin“zeigt, dass auch das deutsche Fernsehen zu hollywoodreifen Inszenierungen fähig ist. Das Finale der ersten Doppelfolge ist eine ausgelassene Feier-Szene im Nachtclub Moka-Efti. Das Publikum im großen Saal tanzt unter Glitzerregen zum Lied des Sängers Nikoros. Ein Ohrwurm der in mehreren Kritiken treffend als eine Mischung aus Marianne Rosenberg und Rammstein beschrieben wird.
Die Handlung ist fesselnd und temporeich erzählt, sodass „Babylon Berlin“absolutes Binge-WatchingPotenzial hat. Will meinen: Einmal angefangen möchte man am liebsten alle Folgen hintereinander anschauen. Die Inszenierung ist allerdings so imposant, dass einzelne Figuren davon überschattet werden. Es sei denn, die Darsteller spielen sich nach vorne wie beispielsweise Lars Eidinger als labiles Aristokratensöhnchen und Severija Janusauskaite als mysteriöse Gräfin Sorokina.
Während einige Figuren auch in ihrer Eindimensionalität verblassen, hat Schauspieler Volker Bruch mit Gereon Rath ein ganz anderes Problem. Denn die Drehbuchautoren Tykwer, Handloegten und Borries haben aus der ohnehin schon finsteren Romanvorlage eine noch abgründigere Serie gemacht. Die Exzesse werden wilder, die Handlung temporeicher und die kaputten Charaktere noch kaputter.
Da laden die Autoren dem HardBoiled-Detective mit den Vaterkomplexen in der Serie zusätzlich noch Drogenprobleme, Traumata, Schuldgefühle und Angstzustände auf. Diese Zerrissenheit jenseits jeder Reparatur verkörpert Volker Bruch zwar hervorragend, dennoch braucht es ein gehöriges Maß an Empathie, um sich mit dem Hauptcharakter zu identifizieren. Liv Lisa Fries’ Charlotte Ritter macht dem Publikum das Mitfiebern als freches Berliner Gör aus der Unterschicht deutlich leichter.
600 000 Zuschauer auf Sky
Wie die Serie beim ARD-Publikum ankommt, wird sich zeigen. Die Zahlen von Sky sprechen allerdings schon für sich. Denn auf dem linearen Sender Sky und auch auf der Video-on-demand-Plattform Sky Ticket ist „Babylon Berlin“bereits seit einem Jahr zu sehen.
Laut Sky hatte jede Folge rund 600 000 Zuschauer. Mehr Zuschauer lockt der Anbieter nur mit der jüngsten Staffel der US-Serie „Game of Thrones“.
Mittlerweile ist die Serie in mehr als 90 Länder verkauft worden und macht auch jenseits des Atlantiks von sich reden. „‚Babylon Berlin‘ wird deutsche Fernsehgeschichte schreiben und einen neuen Standard für Fernsehserien ‚Made in Germany‘ setzen“, heißt es beispielsweise von der „Financial Times“in den USA. Damit haben die Regisseure auch für sich selbst die Erwartungen nach oben geschraubt. Denn es geht weiter mit „Babylon Berlin“. Die dritte Staffel wird bereits produziert.
Die ARD zeigt die ersten drei Folgen von „Babylon Berlin“ab Sonntag, 30. September, ab 20.15 Uhr. Die weiteren Folgen der ersten beiden Staffeln werden von 4. Oktober an jeweils donnerstags um 20.15 Uhr ausgestrahlt. Zunächst in Dreier- dann als Doppelfolgen. Zusätzlich erscheint die erste Staffel am 5. Oktober, die zweite Staffel am 19. Oktober auch auf DVD und Blu-Ray.