Eine schrecklich nette Familie
Yael Ronen inszeniert „#Genesis“an den Münchner Kammerspiele mit Humor
MÜNCHEN - Es geht um Väter, die Mütter sind in Yael Ronens neuer Theaterarbeit an den Münchner Kammerspielen „#Genesis – A Starting Point“problematisch abwesend. So wird der Abend über die Schöpfungsgeschichte auch zur Geschlechterdebatte.
Das alles ist nur passiert, weil Mutti Vati verlassen hat. Aber was soll eine mesopotamische Fruchtbarkeitsgöttin auch mit so einem faden transzendenten Gott anfangen, der einfach nur ist? Das Sexuelle hat ihn nie wirklich interessiert, gesellig war er auch nicht. Mit dem Monotheismus hat er es gründlich übertrieben, die anderen Göttinnen und Götter in der Nachbarschaft wollte er nicht treffen. Stattdessen hat er sich mit den Kindern Adam und Eva im Paradies verbarrikadiert. Und Eva (Wiebke Puls) hatte eine echt schwierige Pubertät, weil Vati von Körpern nichts wissen wollte.
Der Typ alleinerziehender Gott war er nicht, analysiert die Schlange (Daniel Lommatzsch). Sie muss es wissen, sie war von Anfang an dabei und beantwortet die lange schwelenden Fragen der Kinder. Sie kennt auch Lilith, die Krawallgöre (Zeynep Bozbay), die Gott verstoßen und stattdessen Töchterlein Eva gemacht hat. Und das alles nur für Adam (Damian Rebgetz), der ewig mäkelt. Vati Gott wollte doch nur, dass sie’s mal besser haben. Und was wollen sie? Den freien Willen. Können sie haben. Fast könnte Gott einem leidtun, so hilflos überfordert hebt Samouil Stoyanov als Schöpfer des Vollkommenen die Hände.
Kurvenreiche Diskussionen
Doch zurück zum Anfang. Da schleichen sich die sechs Schauspieler durch die Proszeniumsloge vor den eisernen Vorhang. Damian Rebgetz hat uns was zu sagen. Wir sind auch fast die Ersten, die es erfahren. Er wird uns verlassen, hätte gern mehr Spaß mit uns gehabt. Dieser fulminante Prolog ist eine Abschiedsrede an eine spröde Geliebte und thematisiert unverkennbar und genauso ironisch wie vorwurfsvoll die (in zwei Jahren) zu Ende gehende Intendanz Lilienthal.
Wie aber nun überleiten auf das Thema Genesis? Daniel Lommatzsch als Therapeut vom Dienst vermutet die Ursache von Damians Verletztheit in einer gestörten Vater-SohnBeziehung. Wiebke Puls konstatiert, man müsste zurück zu dem Moment, als alles aus dem Ruder lief. Also alles auf Anfang. Nur wo ist der Anfang? Und so entspinnt sich eine kurvenreiche Diskussion um Gott und Vater und wer nicht mehr mit wem spricht und warum. Da hebt sich der eiserne Vorhang und gibt ein traumschönes wie aus Zeit und Raum gefallenes Bühnenbild (Wolfgang Menardi) frei. Eine Halbkugel, die auf dem Bühnenboden ruht, kreist und schaukelt. Und über ihr öffnet sich ein riesiger Spiegel, der wie ein Auge aus dem Weltraum auf die Erde oder ins Paradies schaut.
Auf der Halbkugel lässt es sich trefflich liegen und die darauf projizierten kunsthistorischen Schöpfungsbilder mit den eigenen Körpern nachlegen. Das Ensemble stellt Schöpfungsmythen nach, die alle wesentlich aufregender sind als die alte Baum-Apfel-Schlange-Sache. Trotzdem kommen sie auf die zurück und zur dysfunktionalen, weil mutterlosen, partriarchalisch geprägten Urfamilie, ist doch die Familie die Keimzelle von allem.
Hochkomische Szenen
Yael Ronens Themensammlung mäandert hochkomisch zwischen Schöpfungsmythen, Schauspielerbefindlichkeiten, Seelenzuständen und Genderdebatten. Mit Wiebke Puls, Zeynep Bozbay, Jeff Wilbusch, Damian Rebgetz, Samouil Stoyanov und Daniel Lommatzsch, die bei der Premiere stürmisch gefeiert werden, hat sie klug kreiselnde Argumentationsketten über Göttliches und Menschliches entwickelt, aber auch einfach nur albern-komische Szenen, die nach „Sketch History“aussehen.
Amit Epstein hat dafür zauberhafte Paradieskostüme mit Paillettenglitzer geschaffen und HippieMakramee-Albträume. Es wäre aber keine Yael-Ronen-Arbeit, wenn nicht die möglicherweise persönlichen Geschichten der Schauspieler mit hineinspielen würden. Und so endet der knapp zweistündige Abend in einem berührenden Kaleidoskop, wenn Wiebke Puls, Jeff Wilbusch und Damian Rebgetz ihre ganz eigenen Erfahrungen mit Religion und Kirche preisgeben.