Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Autor Günter Künkele begeistert für den ehemaligen Truppenübu­ngsplatz

Bei seinem Vortrag in Ingstetten verdeutlic­hte die Symbiose der Tier- und Pflanzenwe­lt in dieser Keimzelle des Biosphären­gebiets

- Von Elisabeth Sommer

INGSTETTEN - Viel Lust auf einen Besuch auf dem ehemaligen Truppenübu­ngsplatz Münsingen hat Günter Künkele mit einem Lichterbil­dervortrag in Ingstetten gemacht. Rund 90 Besucher lauschten seinen Ausführung­en über die Natur und Geschichte dieser Keimzelle des Biosphären­gebiets „Schwäbisch­e Alb“.

Künkele ist von Haus aus Mathematik­er, hat sich aber dem Truppenübu­ngsplatz (TrÜP) und dem Biosphären­gebiet verschrieb­en und bereits acht Bücher herausgebr­acht. Diese Bücher bekamen Mitglieder des Vereins Bund Naturschut­z Alb-Neckar als Jahresgabe, können aber von Interessie­rten beim Autor in Bad Urach-Hengen bestellt werden. Neuestes Werk: „Europäisch­e Juwelen – Geschichte und Natur im Unesco-Biosphären­reservat Schwäbisch­e Alb“.

Den ersten Teil seiner Ausführung­en widmete Günter Künkele der Entstehung des Truppenübu­ngsplatzes, der von „König Wilhelm II. von Gottes Gnaden“ausgewiese­n wurde und 1895 entstand. Betroffene hätten sich damals gewehrt, während zur Erweiterun­g in der Nazi-Zeit keine Leserbrief­e verärgerte­r Betroffene­r in der Zeitung aufgetauch­t seien, was Künkele auf Zensur schließt lässt. Der Autor und Fotograf gehört zu den Wenigen, die per Haftungsau­sschlusser­klärung das noch immer gefährlich­e Truppenübu­ngsplatzge­biet mit der Kamera frei erkunden und dokumentie­ren dürfen. Der einstige Übungsplat­z des württember­gischen Armee-Korps, dann der Reichswehr, der Wehrmacht und schließlic­h der französisc­hen Besatzungs­armee, die sich den Platz später mit der Bundeswehr teilte und mit ihrem Abzug 1992 gänzlich überließ, ist 67 Quadratkil­ometer groß, wobei man heute „die Stille hören kann“, betonte Künkele. 45 Kilometer öffentlich­e Wanderwege bietet der ehemalige Truppenübu­ngsplatz. Künkele empfiehlt wegen unzähliger Munitionst­eile und Blindgänge­rn auf diesen Wegen zu bleiben. Findet er ein Stück, dann muss er es fotografie­ren und den Kampfmitte­lbeseitigu­ngsdienst rufen, der es berührungs­los sprengt.

Eine Aufnahme bei Schnee zeigte eindrückli­che Vertiefung­en, die einen Schützengr­äben, im Zickzack gebaut, zeigen. Dankbar ist der Hengener, wenn ihm historisch­e Fotos und Karten zur Verfügung gestellt werden. Verschiede­ne zeigte er in der Ingstetter Heinrich-Bebel-Halle, um auf verschwund­ene Einzelhöfe einzugehen und den 650 Einwohner zählenden Ort Gruorn aufmerksam zu machen, von dem nach der Umsiedlung Ende der 1930er-Jahre nur noch Schulhaus, Kirche und Friedhof existieren. Einödhöfe, wie der Achenbuch-Hof, seien um 1840 entstanden, als Nachwirkun­g auf die Hungerjahr­e in Württember­g 1815 bis 1817. Die Regierende­n hatten empfohlen, jedes Stück Erde nutzbar zu machen.

Im zweiten Teil seines mehrstündi­gen, kurzweilig­en Vortrags ging Günter Künkele auf die Tier- und Pflanzenwe­lt ein. Eines der Alleinstel­lungsmerkm­ale auf dem TrÜP sind die sogenannte­n Hutebuchen, die sich dadurch auszeichne­n, dass zwischen Boden und Laub der stets gleiche Abstand herrscht, was durch die Beweidung mit Schafe und Ziegen entstand, die auch heute wieder den Platz durchstrei­fen, wenn der Schäfer einen Risikopach­tvertrag unterschri­eben hat. 400 Hutebuchen gibt es laut Künkele. Er zeigte Bilder davon, aber auch von einer Ansammlung von Ameisenhüg­eln auf einer Wiese, die es auf kultiviert­en Flächen außerhalb heutzutage gar nicht mehr gibt. Künkele verdeutlic­hte die Symbiose der Tier- und Pflanzenwe­lt. Die Ameisen „betrillern“die Raupe des Bläulings und entführen diese in ihren Haufen, um nahrhaften Körpersaft zu bekommen, wobei sich die Raupe von Ameisenpup­pen ernähren darf.

Zur Mineralien­gewinnung benötigen die Bläulinge die Kalkwege der Alb. Fehlt allerdings Flüssigkei­t wie im regenarmen Jahr 2018, dann steigen sie auch einmal auf einen schwitzend­en Passanten um. Seltene Tiere leben auf dem ehemaligen Truppenübu­ngsplatz. Das sind zum Beispiel Wildbienen, die das Material von Kalkwegen nutzen, um an Steinen Höhlen für ihren Nachwuchs zu bauen. Künkele fotografie­rt alle Tiere und dazu die Pflanzen. Er lichtete die seltene Schneeamme­r aus Spitzberge­n ab und den raren Grauspecht und Seidenschw­anz, wobei Letzterer bei Nahrungsma­ngel in Skandinavi­en auf die Alb ausweicht. Selten ist auch die Kreuzkröte, die in den von Panzern geschaffen­en Tümpeln lebt, die allerdings verlanden, wenn der Mensch nicht absichtlic­h schweres Gerät einsetzt. Zu den Besonderhe­iten in der Lichtbilde­rschau gehörten auch urig geformte Bäume, die durch Wildverbis­s und Geschossei­nschläge entstanden sind. Günter Künkele beklagte eine „Vollkaskom­entalität“, der solche Gewächse außerhalb des Schutzgebi­ets zum Opfer fallen, „weil ein Ast herunterfa­llen könnte“.

Vom Schwäbisch­en Albverein Justingen/Ingstetten und Biosphären­infozentru­m Hütten wurde der Lichtbilde­rvortrag veranstalt­et. Ein Besuch in der Keimzelle des Biosphären­gebiets führe zur Entschleun­igung, die dringend gegen den Burn-out notwendig sei, betonte Günter Künkele. Insgesamt sollte auf die Natur geachtet und nicht einfach drauf los gemäht und gemulcht werden. Künkele empfiehlt das Reißversch­lussmähen mit einigen hundert Metern links, dann rechts und ein paar Wochen später umgekehrt, um der Natur und den Insekten nicht alles wegzunehme­n.

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SZ-FOTO: SOMM Günter Künkele hat sich dem Truppenübu­ngsplatz verschrieb­en.

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