Abendmahl-Streit
Ravensburger Christen in der ökumenischen Offensive
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RAVENSBURG - So viel Ökumene war selbst 2017, im Jubiläumsjahr der Reformation, in dem mehr die Gemeinsamkeit der Kirchen als die Trennung zwischen Katholiken und Protestanten gefeiert wurde, zu viel: Als im Oktober 2017 rund 1500 Gläubige beider christlichen Konfessionen an einer 400 Meter langen Tafel zwischen der katholischen Liebfrauenkirche und der evangelischen Stadtkirche in Ravensburg Brot und Wein teilten, die Ökumene feierten und anschließend die „Ravensburger Erklärung“unterzeichneten, goss etwa zeitgleich in Rom der katholische Kurienkardinal Kurt Koch Wasser in den Wein: „Wir dürfen nicht so tun, als seien wir im Eucharistieverständnis bereits eins geworden und als hinge es nur noch von der Kirchenleitung ab, dass sie endlich die Erlaubnis zur eucharistischen Gemeinschaft gibt.“Das evangelische Amtsund Kirchenverständnis sei weiterhin anders als das katholische. Daher könnten Protestanten noch nicht zur katholischen Kommunion zugelassen werden.
Die „Ravensburger Erklärung“sah dagegen unter der Überschrift „Vom Trennen zum Teilen“vor, dass beide Konfessionen alle Christen gemeinsam zu Kommunion und Abendmahl einladen.
Ungewiss ist, ob die Ravensburger Christen beider Konfessionen das Koch-Interview, veröffentlicht in der „Herder Korrespondenz“, zum Zeitpunkt ihres gemeinsamen Abendmahls kannten. Gesichert ist, dass der katholische Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, noch im Herbst 2017 dem katholischen Stadtpfarrer von Ravensburg, Hermann Riedle, in einem Dienstgespräch die Rechtsgrundlage der katholischen Kirche darlegte, die eine Zulassung eines evangelischen Christen nur im Einzelfall vorsieht. Eine offene Einladung an alle sei noch nicht möglich. Fürst stellte sich damit hinter Koch, den Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und damit hinter den „Ökumeneminister“des Papstes.
Nicht nur das Reformationsjubiläum ging ohne eine Annäherung im theologischen Disput um ein gemeinsames Abendmahl zu Ende. Auch in Ravensburg schwelt seitdem ein Streit, der die Grenzen der Ökumene aufzeigt.
Als vor drei Wochen die Nachricht aus Rottenburg bekannt wurde, dass die katholische Kirche die „Ravensburger Erklärung“nicht mittragen kann, zogen in der oberschwäbischen Stadt mehr als 200 Christen beider Konfessionen in einem Schweigemarsch von der evangelischen Stadtkirche zur katholischen Liebfrauenkirche, um ein Zeichen für die Ökumene zu setzen. Beim Schweigen blieb es nicht.
OB Daniel Rapp (CDU), der die „Ravensburger Erklärung“ein Jahr zuvor ebenfalls unterzeichnet hatte, bezeichnet den Widerruf als „in hohem Maße ärgerlich“: „Die Menschen verstehen eine solche Haltung nicht mehr. Wenn das das Kirchenrecht vorgibt, dann muss man halt das Kirchenrecht ändern.“Rapp, dessen Vater Religionslehrer war, hat ein wachsendes Unverständnis bei vielen katholischen Gläubigen ausgemacht: „Auch wenn Frauen nicht Priester werden dürfen und wenn Priester nicht heiraten dürfen, dann ist das ganz weit weg von der Lebenswirklichkeit vieler Menschen. Die Leute reagieren darauf mit Desinteresse und sie wenden sich ab.“
Evangelische Geistliche aus Ravensburg werten die Mitteilung von Bischof Gebhard Fürst gar als „klares Verbot einer Gewährung gegenseitiger Gastfreundschaft“. Dekan Friedrich Langsam befürchtet einen herben Rückschlag in der Annäherung der Konfessionen – in der Stadt, aber auch über sie hinaus. Der evangelische Stadtpfarrer Martin HenzlerHermann leidet mit den „vielen engagierten Christen, die sich für den ökumenischen Prozess eingesetzt haben“. Bischof Fürst hat HenzlerHermann zum Streitgespräch nach Ravensburg eingeladen: „Er soll kommen und seine Haltung öffentlich erläutern und darüber diskutieren.“Einfach einen Priester nach Rottenburg zu zitieren, so ginge es nun wirklich nicht: „Mich ärgert das ganz persönlich, dass Bischof Fürst meint, er kann das innerkatholisch klären, indem er einen Pfarrer maßregelt.“
Die Ravensburger Christen haben zu diesem Zeitpunkt nicht nur einen zweijährigen Prozess unter dem Motto „vom Trennen zum Teilen“, sondern auch eine lange Geschichte der Ökumene hinter sich. In der ehemals paritätischen freien Reichsstadt übte man schon früh das Miteinander der Konfessionen. Die Stadtkirche diente bis 1806 katholischen und evangelischen Christen als Gotteshaus.
Auch das mag die entschiedenen und selbstbewussten Reaktionen auf die Mitteilung des Bischofs erklären. Unterschriftsaktionen und Leserbriefe reißen nicht ab. Von einer „Clique weltfremder, rechthaberischer und ignoranter Männer“ist da mit Blick auf die Amtskirche die Rede. Wie „DDR-Politiker der 1980erJahre“hätten sie den „Bezug zur Basis und zum Volk (Gottes) verloren“. Christen vor Ort würden „selbst entscheiden, wen sie einladen und bei wem sie zu Gast sein wollen“. Viele berufen sich auf Jesus und das, was er vermutlich zum Vorstoß aus Ravensburg gesagt hätte. Die Erklärung aus Rottenburg sei ein „Akt der Unbarmherzigkeit“, schreibt einer. Und Willy Müller, der rührige Vorsitzende der Seniorenunion, hat Bischof Gebhard Fürst öffentlich aufgefordert, in den Ruhestand zu gehen.
Ein Blick auf die theologische Diskussion in der katholischen Kirche zeigt aber, dass Fürst in einem Spannungsfeld zwischen Lebenswirklichkeit, Forderungen der Basis und Kirchendisziplin umsichtig reagiert. Als katholischer Bischof ist er der katholischen Lehre verpflichtet – und die ist allen mündlich vorgetragenen Beteuerungen zum Trotz eindeutig: „Ergebnis dieses Gesprächs (im November 2017, d. Red.) war, dass die Ravensburger Erklärung nicht unkommentiert so stehen bleiben kann. Dies hat zwei Gründe“, erklärt eine Sprecherin der Diözese RottenburgStuttgart: „Hier ist zum einen das weltweit gültige Kirchenrecht bindend. Das Kirchenrecht wiederum folgt der Glaubensüberzeugung der katholischen Kirche, es geht letztendlich in diesem Punkt um das kirchliche Lehramt und die Dogmatik: Eine Eucharistiegemeinschaft setzt eine Kirchengemeinschaft voraus! Dies gilt weltweit einheitlich für die katholische Kirche, eine Änderung kann nicht in Ravensburg und auch nicht in Rottenburg herbeigeführt werden.“
Denn der Vatikan sprach noch vor elf Jahren den Protestanten den Status der Kirche rundweg ab. Wie bereits in dem umstrittenen Schreiben „Dominus Iesus“von 2000 betonte die Glaubenskongregation 2007 die Einzigartigkeit und den Vorrang der katholischen Kirche. Die römische Kirche beanspruche die „apostolische Sukzession“, wonach sich Päpste und Bischöfe noch heute auf den 2000 Jahre alten Auftrag Jesu Christi an die Apostel zur Glaubensverbreitung berufen. „Deshalb sind sie (die Protestanten) nicht Kirchen im eigentlichen Sinn, sondern kirchliche Gemeinschaften“, heißt es in einem Kommentar der Kongregation.
Auf katholischer Seite folgten Rückzugsgefechte: Kardinal Walter Kasper, damals noch Präsident des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, räumte 2008 ein, das Papier der Glaubenskongregation habe für Irritationen gesorgt. Diese seien inzwischen jedoch weitgehend ausgeräumt. „Es macht keinen Sinn, jetzt trotzig in der Ecke stehen zu bleiben“, sagte Kasper. Die Erklärung des Vatikans habe die Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten deutlich benannt und damit den Stand der Ökumene angezeigt. „Die Annäherung ist da, aber der Durchbruch ist noch nicht gelungen“, sagte Kasper. Im Amtsverständnis gebe es nach wie vor unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten. Aus diesem Grund sei auch noch kein gemeinsames Abendmahl möglich. „Ein ständiges Drängen darauf ist kontraproduktiv.“
Selbst kleine Schritte in der Ökumene führen derzeit zu großen Verwerfungen: Nach jahrzehntelangem Zwist um ein gemeinsames Abendmahl von Katholiken und Protestanten rangen sich die deutschen katholischen Bischöfe im Frühjahr dieses Jahres zu einer Minireform durch. Bei ihrer Vollversammlung in Ingolstadt beschlossen sie, dass Ehepaare unterschiedlicher Konfessionen künftig im Einzelfall gemeinsam an Eucharistiefeiern teilnehmen dürfen. Die Entscheidung werde vor Ort in den Gemeinden getroffen.
Doch selbst diesen Kompromiss trugen sieben Oberhirten nicht mit und beschwerten sich in Rom. Jetzt ist eine Handreichung mit der Empfehlung, den Kompromiss anzuwenden, erschienen – jeder Bischof muss für seine Ortskirche entscheiden, ob er sie in Kraft setzt oder nicht.
Im Umfeld von Bischof Gebhard Fürst ist Unmut darüber zu spüren, dass das Bischöfliche Ordinariat die längst vorbereitete Reaktion auf die „Ravensburger Erklärung“erst jetzt verschickte: „Das Thema hätten wir viel früher abräumen müssen“, wird das eigene Haus kritisiert, „ausgerechnet zum Jahrestag der Erklärung musste der Eklat nicht sein und wirft ein falsches Licht auf unseren Bischof“, heißt es in Rottenburg. Denn Fürst hatte die Orientierungshilfe der Bischofskonferenz als einer der ersten deutschen Bischöfe in Kraft gesetzt. Im Reformationsjahr 2017 hatten er und der evangelische Landesbischof Otfried July in der Simultankirche in Biberach einen gemeinsamen Gottesdienst gefeiert. Fürst hatte zugesagt, sich für das Thema „Kommunionempfang für konfessionsverbindende Ehepartner“stark zu machen.
In der kommenden Woche, beim Ständigen Rat der katholischen Bischöfe, wird Fürst seine eigene Position verdeutlichen. „Sein Ziel ist es, das Trennende der beiden Kirchen zu überwinden“, sagt seine Sprecherin. In Ravensburg wird mit Spannung erwartet, ob Fürst die „Ravensburger Erklärung“, die schon heute verbindet, seinen bischöflichen Mitbrüdern als Vorbild gelebter Ökumene an der Basis vorlegt.
„Die Menschen verstehen eine solche Haltung nicht mehr.“Ravensburgs Oberbürgermeister Daniel Rapp
„Ein ständiges Drängen auf das gemeinsame Abendmahl ist kontraproduktiv.“Walter Kasper, emeritierter Kurienkardinal