Wie wild ist der Landkreis Neu-Ulm?
In den Jagdrevieren sind Rehe und Wildschweine die wichtigsten Bewohner - Jäger erblicken Neuankömmlinge
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LANDKREIS NEU-ULM - Natürlich macht sich Wild auf dem Teller gut – egal ob als klassisches Gulasch oder als Burger. Für den Genuss von Wildbret haben in der Wildwoche im Landkreis Jäger und Gastronomen geworben. Waidmann oder Waidfrau mögen Reh & Co. allerdings noch lieber in freier Wildbahn, wie Christian Liebsch, Vorsitzender der Kreisjägerschaft, schwärmt: „Wenn man sieht, wie Frischlinge an der Bache säugen, das ist schon ein tolles Erlebnis.“Was den Jäger glücklich macht, ist für viele andere eine fremde Welt, selbst für die, die nicht den „Bambi“Fehler machen und den Hirsch für den Mann vom Reh halten – das ist der Bock. Aber welches Wild tummelt sich nun in den Wäldern? Und wie steht es um die Vielfalt?
Tatsächlich gibt es den (Rot) hirsch im Landkreis Neu-Ulm in freier Wildbahn nicht. Wie Anneliese Maisch von der Unteren Jagdbehörde im Landratsamt erklärt, sind Rehwild und Schwarzwild, also Wildschweine, die prägenden Tiere in Wald und Flur. Wie viel Wild in der Region lebt, lässt sich kaum schätzen, dafür lässt sich genau sagen, wie viel erlegt wird – das müssen die Jäger nämlich mit sogenannten Streckenlisten melden. Im Falle der Rehe existieren Abschusspläne: Innerhalb von drei Jahren sollen Maisch zufolge insgesamt 6070 Stück geschossen werden. Im vergangenen Jagdjahr, das jeweils am 31. Mai endet, wurde die Vorgabe mit 2073 erfüllt. Aus Sicht der Waidleute sind die Pläne okay, wie Oberjäger Liebsch sagt. „Die Zahlen sollten beibehalten werden.“
Was man dabei wissen sollte: Es sind meistens nicht die Jäger, die auf mehr Abschüsse dringen, sondern eher die Waldbesitzer, die den Schaden an den Bäumen durch Verbiss fürchten. Die Jäger, so Liebsch, sind dabei so etwas wie Manager der Tierbestände: „Wer eine Jagd pachtet, übernimmt die Verantwortung für das Wildgefüge.“Es geht dabei nicht nur ums Gleichgewicht zwischen Wald und Wild (Stichwort Verbiss), sondern auch um das zwischen den einzelnen Arten.
Kaum noch Feldhasen in Wald und Flur
Ein gutes Beispiel ist da der Fuchs, wie Verwaltungsfrau Maisch erklärt: „Es ist notwendig, eine gewisse Anzahl zu erlegen, damit Rebhuhn, Fasan oder Feldhase eine Chance haben, ihren Bestand zu erhalten.“Natürliche Feinde hat der rotbefellte Räuber nämlich nicht. Die genannten Beutetiere haben es ohnehin nicht leicht: Feldhasen gibt es nur noch so wenige, dass sie kaum bejagt werden (2017/18 waren es nur 263 Abschüsse), Fasan und Rebhuhn sucht man in vielen Revieren vergebens. Nennenswerte Populationen der Vögel existieren Maisch zufolge im Obenhauser Ried und bei Nersingen.
An Wildschweinen, für die es keine Abschussquoten gibt, herrscht kein Mangel. 2017/18 wurden laut Statistik 732 der Borstentiere erlegt – Rekord. „So eine hohe Zahl hatten wir seit Beginn unserer Aufzeichnungen noch nie“, sagt die Fachfrau im Landratsamt. Einen Trend will Maisch daraus aber nicht ableiten, schon weil das Schwarzwild oft nicht ortsfest ist, sondern ständig auf der Durchreise. Und dabei oft hohe Schäden verursacht, für die am Ende der Jagdpächter geradestehen muss. Statistiken darüber liegen im Landratsamt nicht vor, aber dass eine Rotte ein Maisfeld verwüstet, kommt öfter vor. Für das laufende Jagdjahr rechnet der Kreisjägerschafts-Vorsitzende Liebsch aufgrund der bisherigen Beobachtungen mit weniger Schwarzkitteln, dafür könnte das folgende wieder eine Sauen-Sause werden: 2018 war im Wald ein Mastjahr, die Bäume haben viele Früchte, also etwa Eicheln und Bucheckern produziert. Dadurch haben die Tiere viel zu fressen – und pflanzen sich im Frühjahr voraussichtlich besonders eifrig fort.
Mag es auch speziell bei Landwirten eher unbeliebt sein: Das Wildschwein gehört fest zur heimischen Fauna. Andere Arten sind zuletzt zugewandert. So kam laut Jäger Liebsch zuletzt Damwild, also tatsächlich eine Hirschart, von Osten her über die Landkreisgrenze, was zumindest Liebsch freut: „Jede Tierart gehört in den Naturkreislauf, man sollte ihr eine Chance geben“, sagt er – wobei die Kollegen vom Staatsforst wegen der Verbissgefahr „keinen Wert auf eine weitere Schalenwild-Art“legten. Auch in der Luft gibt es Neulinge, vor allem die Nil- und Rostgänse, wobei letztere noch nicht bejagt werden.
Weniger gern gesehen sind zwei zugewanderte Räuber: Waschbären, von denen im vergangenen Jagdjahr im Landkreis immerhin fünf erlegt wurden, und Marderhunde. Von letzterer, ursprünglich aus Ostasien stammender Art, gab es laut Liebsch im Kreis bisher nur „vermutete Sichtungen“.
Ein derzeit auf dem Vormarsch befindliches Tier will der Jäger selbst, der sein Revier im Bereich Hittistetten/Witzighausen hat, lieber nicht im Landkreis haben: den Wolf. Wobei er befürchtet, dass sich dessen Zuwanderung nicht vermeiden lässt. Dann würde sich „die Jagd komplett verändern“, befürchtet er. Manche Tiere könnten dann komplett verschwinden, andere sich zu großen Rudeln zusammenschließen. So wie in Teilen Ostdeutschlands.
Menschen sollten mehr Rücksicht nehmen
Doch auch ohne Isegrim hat es das Wild nicht leicht – durch den Menschen. Liebsch wünscht sich, dass Nicht-Waidmänner mehr Rücksicht auf den Lebensraum der Tiere nehmen und nicht in der Dämmerung (oder nachts) im oder am Wald joggen, reiten oder fahrradfahren. Und Hunde draußen immer an die Leine nehmen. Sonst werde das Wild nicht nur beunruhigt, sondern noch tiefer in den Wald gedrängt – und noch mehr zur reinen Nachtaktivität gezwungen. Dann würde der Nicht-Jäger, so Liebsch, bald gar kein Reh mehr bei Tageslicht zu Gesicht bekommen. Oder nur noch auf dem Teller.