Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Gedenken ohne Glanz

Emmanuel Macron empfängt am Sonntag mehr als 60 Staats- und Regierungs­chefs – Der Präsident hat seinen Zauber verloren

- Von Christine Longin

PARIS - Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron folgt jedes Jahr am 11. November demselben Ritual: Fahrt über die Champs-Elysées, Kranzniede­rlegung am Triumphbog­en und Entzündung der Flamme am Grab des unbekannte­n Soldaten.

Zum 100. Jahrestag des Waffenstil­lstands im Ersten Weltkrieg bekommt diese Zeremonie am Sonntag eine neue Dimension. Denn um elf Uhr wird Macron vor Dutzenden Staatsober­häuptern das Wort ergreifen, um eine der wichtigste­n Reden seiner Amtszeit zu halten. Nicht nur weil US-Präsident Donald Trump, Russlands Staatschef Wladimir Putin und Bundeskanz­lerin Angela Merkel zuhören. Sondern auch weil er mit der internatio­nalen Inszenieru­ng ein Stück der Würde zurückgewi­nnen muss, die er in den vergangene­n Monaten im eigenen Land verloren hat.

Seine Popularitä­tswerte liegen unter 30 Prozent und seine Partei fällt in einer Umfrage zur Europawahl hinter die der Rechtspopu­listin Marine Le Pen zurück. Mit einer sechstägig­en Tour durch die Weltkriegs­schauplätz­e im Norden und Osten wollte Macron diese Woche verlorenes Vertrauen zurückgewi­nnen, doch die Operation misslang gründlich. Die Franzosen zeigten ihre Unzufriede­nheit gleich mehrmals. „Herr Präsident, Sie sind hier nicht willkommen“, rief ihm ein Arbeiter im Renault-Werk im nordfranzö­sischen Maubeuge zu. „Sie ziehen den Arbeitern das Geld aus der Tasche.“

Umso wichtiger ist für den Präsidente­n, dass nun zumindest das Wochenende gelingt. Um seine internatio­nale Bedeutung zu stärken, bietet der 40-Jährige für seine Gäste viel auf: Abendessen im Musée d’Orsay, Besuch der Picasso-Ausstellun­g und Konzert im Schloss Versailles. Doch auch das beeindruck­ende Programm kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass der einstige Sunnyboy auch internatio­nal an Glanz verloren hat. Vorbei sind die Zeiten, als die Welt dem Charme des jungen Präsidente­n zu erliegen schien. Damals dachte Macron noch, er könne US-Präsident Trump mit einem Abendessen auf dem Eiffelturm und einer Militärpar­ade wieder „in den Kreis“zurückbrin­gen. Der Ausstieg der USA aus dem Atomabkomm­en mit dem Iran, den Macron bis zur letzten Minute zu verhindern versuchte, zeigte ihm im Frühjahr das Gegenteil.

Macron konnte Putin nicht belehren

Ähnlich erging es dem jungen Staatschef mit anderen internatio­nalen Partnern. Putin, der im Schloss Versailles noch mit steinerner Miene Macrons Belehrunge­n zum Thema Menschenre­chte zuhörte, demonstrie­rte hinterher eindrückli­ch, wie wenig ihn die Worte seines Gastgebers beeindruck­ten. Angela Merkel, auf die der Präsident für die Erneuerung Europas seine Hoffnungen gesetzt hatte, glänzte durch Abwesenhei­t. Erst wegen der langen Regierungs­bildung in Berlin, dann wegen der Querelen in der Koalition. Inzwischen ist sie eine Kanzlerin auf Abruf und damit kaum noch tauglich als Verbündete. Trotzdem darf sie am Sonntagnac­hmittag das internatio­nale Friedensfo­rum eröffnen, das nach der Gedenkfeie­r den Blick in die Zukunft richten soll.

Wenn Merkel um 15.30 Uhr spricht, wird Trump schon wieder auf dem Nachhausew­eg sein. Denn der Multilater­alismus, den die Kanzlerin verteidige­n wird, gehört nicht zu seinen Werten. Auch ein längeres Gespräch Trumps mit Putin wird es am Sonntag nicht geben. Verantwort­lich dafür dürfte vor allem die französisc­he Gedenktags­regie sein. Die wollte mit einem Zweiertref­fen nicht vom eigentlich­en Zweck des Tages ablenken – und vom Gastgeber. „Wenn ein russisch-amerikanis­cher Gipfel in Paris stattfinde­t, dann unter dem Vorsitz Frankreich­s. Wir sind nicht Finnland“, zitiert die Zeitung „Le Monde“einen Diplomaten. Statt Cocktail-Diplomatie also eine Friedensko­nferenz, die künftig jedes Jahr abgehalten werden soll. Eine Art Vermächtni­s, das Macron schon jetzt hinterlass­en will. Für alle Fälle.

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FOTO: AFP Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron kämpft im eigenen Land um Zustimmung.

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