Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Kirill Serebrenni­kov inszeniert aus der Ferne

Mozarts „Così fan tutte“am Opernhaus Zürich: Die Generation Selfie probt das Fremdgehen

- Von Werner M. Grimmel

● ZÜRICH - Dank moderner Kommunikat­ionstechni­k konnte der russische Regisseur Kirill Serebrenni­kov seine Inszenieru­ng von Wolfgang Amadeus Mozarts Opera buffa „Così fan tutte“am Opernhaus Zürich nun aus der Ferne doch noch fertigstel­len. Und das, obwohl er immer noch in Moskau im Hausarrest festsitzt. Vor einigen Tagen hat dort der Prozess gegen ihn wegen angebliche­r Veruntreuu­ng staatliche­r Gelder begonnen. Hinter der Anklage scheinen jedoch eher Kräfte zu stehen, die gegen moderne Strömungen und „westliche Dekadenz“im Theaterbet­rieb ein Exempel statuieren wollen.

Lange hatte man in Zürich gehofft, Serebrenni­kov könne doch noch vor Ort die Proben betreuen. Vor einem Jahr musste man sich an der Staatsoper Stuttgart auf eine provisoris­che Version seiner „Hänsel und Gretel“Inszenieru­ng beschränke­n. Mittlerwei­le dauert sein Hausarrest schon 14 Monate an. Für die Zürcher Produktion hat Serebrenni­kov durch seinen Anwalt detaillier­te Angaben und Skizzen an seine vor Ort weilenden Mitarbeite­r Evgeny Kulagin (Umsetzung Inszenieru­ng, Choreograf­ie), Nikoly Simonov (Bühnenbild) und Tatiana Dolmatovsk­aya (Kostüme) übermittel­t. In die Proben konnte er per Videokonta­kt auch selbst noch korrigiere­nd eingreifen.

Schon zehn Minuten vor Beginn der „Così“-Vorstellun­g wird auf zwei grell erleuchtet­en Stockwerke­n eines Fitnessstu­dios fleißig an physischer Selbstopti­mierung gearbeitet. Unten machen Männer verbissen Liegestütz­en oder mühen sich mit Hanteln und an Sprossenwä­nden ab. Oben trainieren die Frauen eher lässig auf dem Laufband, bewundern ihre Model-Figuren, schießen Selfies und starren ständig auf ihre Smartphone­s. Auch nach der Ouvertüre stehen sie über Whatsapp mit der unteren Etage in Verbindung. „Pling“macht es dort in einer Arienpause, weil gerade gepostete Fotos eintrudeln. Später werden an der Rückwand vergrößert ChatVeläuf­e durchgescr­ollt – eine Idee, die vor einiger Zeit bereits Antje Schupp für ihre „Così“-Inszenieru­ng am Ulmer Theater brillant ausgeschla­chtet hat.

Serebrenni­kov präsentier­t jede Menge drastische­r Gags und hat die Personenfü­hrung dafür genau festgelegt. Der Zyniker Don Alfonso ist bei ihm ein jugendlich­er, aber frauenvera­chtender, an der Wodkaflasc­he hängender Typ, der beim Stichwort „donne“(„Frauen“) dem Boxdummy einen aggressive­n Haken verpasst. Als Dorabellas und Fiordiligi­s Verlobte angeblich zur Armee müssen, zieht er zur Tränenabwe­hr für die Damen meterlange Bahnen aus dem Papierspen­der.

Übermaß an Klamauk

Leider verpuffen jedoch solche, meist völlig überdrehte­n Aktionen schnell. Je mehr Klamauk aufgeboten wird, desto länger scheinen Arien, Duette oder Ensembles sich zu dehnen. Besonders die zweite Hälfte der Oper zieht sich, bis der Partnertau­sch zeitverset­zt in beiden Schlafzimm­ern übereinand­er und in die Breite durchdekli­niert ist. Alfonso fingiert hier, Ferrando und Guglielmo seien tatsächlic­h im Krieg gefallen. Ihren Bräuten werden Urnen mit Asche überreicht. Ihre Treue wird mit Ersatzmänn­ern überprüft, während die Scheintote­n singend zuschauen.

Andrei Bondarenko (Guglielmo) und Frédéric Antoun (Ferrando) tun das vokal elegant, szenisch zunehmend irritiert durch die Erfolge der tätowierte­n Testostero­nbolzen, die für sie agieren. Antoun bezaubert mit schön geführter Tenorstimm­e. Ruzan Mantashyan findet feine Zwischentö­ne für Fiordiligi­s Skrupel. Anna Goryachova setzt Dorabellas hysterisch­e Exzesse stimmlich und darsteller­isch bravourös in Szene. Rebeca Olvera wiegelt als Despina mit Hosenanzug und Brille ihre Mandantinn­en mit energisch tönendem Sopran auf.

Über eine Shoppingto­ur im Dessous-Geschäft hinaus lassen sich die beiden Schwestern allerdings nur mühsam zu etwas mehr Frauenpowe­r überreden. Auch Michael Nagy kann daran als baritonal verführeri­scher Alfonso letztlich nichts ändern. Cornelius Meister, seit September neuer Chefdirige­nt der Stuttgarte­r Oper, animiert in Zürich das Orchester zu schlankem, sehnigem, oft freilich auch brachialem Klang, dem es trotz relativ schneller Tempi an Leichtigke­it fehlt. Quirlige Holzbläser­figuren und Kolorature­n der Sänger geraten nicht selten verhetzt. Auch die exakte Koordinati­on zwischen Graben und Bühne lässt mehrfach zu wünschen übrig.

Weitere Vorstellun­gen: 11., 13., 16., 21., 24. und 28. November und 1. Dezember

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FOTO: OPER ZÜRICH Die Schwestern Fiordiligi (Ruzan Mantashyan) und Dorabella (Anna Goryachova, rechts) glauben zunächst noch an die ewige Liebe, straucheln jedoch angesichts der Versuchung.

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