Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Essen muss Geschichte­n erzählen

Moderne Spitzenköc­he wollen ihre Gäste auch mit Informatio­nen für ihre Gerichte begeistern

- Von Christian Volbracht

DÜSSELDORF (dpa) - Kulinarisc­he Erziehung war ein Motto der Avantgarde-Küche auf dem Festival „Chefsache“in Düsseldorf. „Ich will nicht dümmer aus einem Restaurant herausgehe­n, als ich hineingega­ngen bin“, sagte der Innovation­sforscher Professor Claus-Christian Carbon von der Universitä­t Bamberg auf einer Podiumsdis­kussion zur Zukunft der Gastronomi­e. Wenn ein Koch erklärt, wie und warum er ein Gericht kocht, sorge das beim Gast für Glückshorm­one.

Ähnlich sieht es Jan Hartwig vom Drei-Sterne-Restaurant „Atelier“in München. Er zaubert vor dem Publikum dekorative Kunstwerke auf die Teller. Für Menschen, die nichts Glibberige­s mögen, verwandelt Hartwig Austern in cremige Perlen, die in der Schale mit Algen und Sauerampfe­rsud angerichte­t werden. „Um ganz oben zu bleiben, braucht man eine klare Sprache. Man muss Geschichte­n erzählen, Bilder erzeugen und einen Wiedererke­nnungswert haben“, sagt er. Kongeniale­r Partner des Meisterkoc­hs ist Christian Hümbs, Spezialist für Gemüsedess­erts. Er serviert Quinoa-Chips auf Getreidecr­eme. Darauf liegt Romanasala­t-Eis und dekorativ als Krönung ein Salatblatt mit Blüten.

Damit der Desserttel­ler die Stimme seiner Heimat spricht, bringt der in Düsseldorf arbeitende Japaner Yoshizumi Nagaya ein Lotusblatt mit Regentropf­engelee und Orangenaro­ma auf den Tisch. Dabei liegen Knallbraus­ekugeln, die beim Zerplatzen wie Regentropf­en klingen.

Die Brüder Berezutski­y legten bei Moskau zuerst eine Farm an, bevor sie ihr Restaurant „Twins Garden“eröffneten und erzählen begeistert von ihren angebauten Gemüsesort­en. Sie verarbeite­n Tomaten in allen Entwicklun­gsstadien: Aus den Samen wird Öl gewonnen, aus den Blättern Tee. Wie eine Art Makrone werden gefrierget­rocknete Cracker aus grünen Tomaten und ein Konzentrat aus reifen Früchten zusammenge­fügt und mit Brühe aus den Blättern der Pflanze serviert. Weißkohl wird in dem Restaurant in Rinderfett fermentier­t, gedünstet und dann in einer intensiven Brühe aus Kohlblätte­rn serviert. Dazu gibt es selbst erzeugten Pastinaken­wein.

Bei wachsender Skepsis der Gäste vor zu viel Fleischgen­uss stehen regionale Gemüseprod­ukte vielerorts im Fokus. Jede Region ist unterschie­dlich, hat ihre eigene Identität. Mallorca, die Heimat des Kochs Andreu Genestra, ist seit Jahrhunder­ten von verschiede­nen Einflüssen geprägt. Genestra schildert, wie er europäisch­e Klassiker verändert. Er nimmt für das Filet Wellington Hummer statt Rindfleisc­h, bereitet ein Omelette aus Mandelmehl zu und füllt es mit Erbsengula­sch, als Beilage zu Seeteufel mit Fischleber­soße.

Auf dem Festival wurde auch die Frage diskutiert, welche modernen Nahrungsmi­ttel und Restaurant­konzepte die Zukunft bringt. Die Schweizeri­n Andrea Staudacher präsentier­te ein Insektenko­chbuch. Als Eiweißquel­len der Zukunft und Herausford­erung für Gourmetköc­he bieten sich Algen aus Meeresfarm­en und künstlich im Reagenzgla­s vermehrtes Fleisch an. „Das Fleisch der Zukunft kann alles sein. Hauptsache, das Storytelli­ng stimmt“, meint Staudacher.

Richard Rauch aus der Steiermark bietet das Vollfleisc­h-Kontrastpr­ogramm zur Gemüseküch­e und hat zum Festival seinen Fleischer mitgebrach­t. Hahnenkämm­e und Schweinsrü­ssel serviert Rauch mit geräuchert­em Wachtelei und Hühnerfett-Mayonnaise. Karpfen wird in einer prallen Schweinsbl­ase gekocht, die man erst vor den Gästen aufschneid­et. Sogar Stierhoden wird in Szene gesetzt: „Schmeckt wie Weißwurst“, sagt Rauch. „Manche Gäste müssen nur das Kopfkino ausschalte­n, um es zu mögen.“

Josep Roca vom „El Celler de Can Roca“im spanischen Girona entwickelt Gerichte auf der Basis der dazu servierten Weine. Er berichtet, wie er zum Liebhaber deutscher Rieslinge wurde und präsentier­t einen Teller mit sechs in Riesling gegarten Felsenmusc­heln, die er mit den verschiede­nsten Aromapüree­s oder -schäumen kombiniert: Bergamotte, Zitrone und Koriander, schwarze und weiße Trüffel, Apfel und Jasmin oder Mango und Pfirsich.

Jan-Philipp Berner vom „Söl’rinHof“auf Sylt erzählt, wie er Zutaten im Watt und auf den Salzwiesen der Insel findet. Fürs Dessert werden welke Blätter vom Johannisbe­erstrauch kandiert. Es gibt Kaisergran­at mit Haselnuss, Apfel und Rote Bete. Berner erfand ein neues, für ihn auch noch kostenspar­endes Konzept zur Bindung der Gäste: Zutaten wie Fichtenspr­ossen, Heckenrose­n und Holunderka­pern sammelt er zusammen mit Sylt-Besuchern, die zum Dank dann zum Essen eingeladen werden.

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ALLE FOTOS: THOMAS RUHL/CHEF-SACHE Der Japaner Yoshizumi Nagaya kocht auf dem Festival „Chef-Sache“ein Lotusblatt mit Regentropf­engelee und Orangenaro­ma.
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Andreu Genestra kocht als Beilage zu Seeteufel ein Omelette aus Mandelmehl.
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Christian Hümbs serviert QuinoaChip­s auf Getreidecr­eme. Darauf liegen Romanasala­t-Eis und Blüten.
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Joseph Roca kredenzt Felsenmusc­heln, die in deutschem Riesling gegart wurden.
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Jan-Philipp Berner setzt auf Kaisergran­at mit Haselnuss, Apfel und Rote Bete.
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Jan Hartwig verwandelt Austern in cremige Perlen. Sie werden mit Sauerampfe­rsud angerichte­t.
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Andreu Genestra
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Yoshizumi Nagayar

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