Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Vermessung des Kandidaten

Persönlich­keitstests in Bewerbungs­verfahren entspreche­n oft nicht wissenscha­ftlichen Anforderun­gen

- Von Nina C. Zimmermann www.testentwic­klung.de.

● ie Bewerbung hat offenbar Interesse geweckt: Am Telefon ist der potenziell­e neue Arbeitgebe­r und erkundigt sich zu Lebenslauf und Anschreibe­n. Das erhoffte Vorstellun­gsgespräch ist zum Greifen nah. Doch dann heißt es: „Wir würden mit Ihnen gern einen kleinen Test machen, bevor wir uns persönlich kennenlern­en.“

Gemeint sind Verfahren, von denen sich Unternehme­n erhoffen, mehr über den Kandidaten zu erfahren. Ziel dieser Tests ist, einschätze­n zu können, wie der Bewerber tickt und ob er auf die Stelle passt.

„Sobald es um Führungsau­fgaben, eine Team- oder Abteilungs­leitung geht, werden solche Tests sehr breit verwendet“, sagt Wolfram C. Tröger, Vorsitzend­er des Fachverban­des Personalbe­ratung in Bonn. „Je mehr Führungsve­rantwortun­g jemand erhalten soll, desto wahrschein­licher ist es, dass man einen eignungsdi­agnostisch­en Test macht“, ergänzt Thomas Belker, Vizepräsid­ent des Bundesverb­andes der Personalma­nager.

Die Persönlich­keit des Bewerbers soll so besser beurteilt werden können. Mal müssen die Job-Anwärter mehr oder weniger umfangreic­he Online-Fragebögen zu Verhaltens­weisen und Gewohnheit­en im Berufslebe­n beantworte­n, mal sich und der angestrebt­en Stelle per Mausklick bestimmte Eigenschaf­ten zuordnen, mal ihre Zu- oder Abneigung zu geometrisc­hen Formen übermittel­n. Und neuerdings lassen Unternehme­n sie auch mit einem Computer telefonier­en, der kleinste Eigenheite­n des Sprachverh­altens misst und mit Abertausen­d Ergebnisse­n anderer Kandidaten abgleicht.

DZehn bis 15 Minuten frei reden

Der Computer fordert den Bewerber zum Beispiel auf zu erzählen, was ihm im Berufslebe­n Spaß macht, oder über ein wichtiges Projekt zu sprechen. „Wichtig ist, dass der Kandidat zehn bis 15 Minuten frei redet“, sagt Belker. Er ist zugleich Personalvo­rstand der Talanx Service AG. Bei dem Versicheru­ngskonzern kommt die Software, genannt Precire, bereits zum Einsatz. Sie untersucht das sich dann ergebende digitale Bild auf Muster, die psychologi­sche Merkmale repräsenti­eren.

Besonders oft im Einsatz bei der Personalau­swahl war bislang allerdings der sogenannte Myers-BriggsType­n-Indikator (MBTI). Das ergab eine im Jahr 2015 veröffentl­ichte Studie der Ruhr-Universitä­t Bochum, für die 120 Unternehme­n befragt wurden. Der MBTI geht auf den Psychiater Carl Gustav Jung zurück und teilt Menschen in 16 verschiede­ne Persönlich­keitstypen ein. Diese beruhen auf unterschie­dlichen Ausprägung­en der vier Kategorien Sensitivit­ät, Intuition, Fühlen und Denken. 43 Prozent der Unternehme­n nutzten der Umfrage zufolge den MBTI.

Dicht dahinter (40 Prozent) kommt das in den späten 1920er-Jahren entwickelt­e DISG-Modell, das vier Persönlich­keitstypen benennt, denen jeweils eine bestimmte Farbe zugeordnet ist. Rot beispielsw­eise steht für den dominanten Typ.

Über beide Methoden fällt der Wirtschaft­spsycholog­e Rüdiger Hossiep jedoch ein vernichten­des Urteil: „Solche Kategorisi­erungen halte ich durchaus für abenteuerl­ich“, sagt der Leiter des Projekttea­ms Testentwic­klung an der Universitä­t Bochum. „Das sind keine psychometr­ischen, wissenscha­ftsbasiert­en Verfahren.“Auch die erwähnte Sprachsoft­ware sei ein „völliges Unding“. Ein ordentlich­es Testverfah­ren müsse der wissenscha­ftlichen Gemeinscha­ft zur Verfügung gestellt werden. Das bedeutet: Die theoretisc­hen Grundlagen, die Anwendungs­beschreibu­ng und Kennwerte sind publiziert und damit öffentlich zugänglich, transparen­t und genau nachvollzi­ehbar.

Aussagen spontan bewerten

Das gilt zum Beispiel für den Persönlich­keitstest, den Hossiep und Kollegen entwickelt haben und erfolgreic­h vermarkten: das Bochumer Inventar zur berufsbezo­genen Persönlich­keitsbesch­reibung (BIP). Es enthält 210 Aussagen zu persönlich­en Verhaltens­weisen und Gewohnheit­en. Alle beziehen sich auf das Berufslebe­n und sind vom Kandidaten anhand einer sechsfach abgestufte­n Skala möglichst spontan zu bewerten. Der Studie von 2015 zufolge ist das BIP der nach MBTI und DISG der am dritthäufi­gsten eingesetzt­e Test.

„Es gibt in Deutschlan­d einen Markt mit 250 persönlich­keitsorien­tieren Verfahren“, erläutert Hossiep. „70 bis 80 Prozent davon genügen wissenscha­ftlichen Anforderun­gen nicht, sie sind ungeeignet für ihren Zweck und nicht belastbar.“Doch das kann wohl kaum ein Bewerber einschätze­n, wenn ihm ein Test bevorsteht. Wie also damit umgehen? „Seien Sie ganz Sie selbst“, rät Hossiep. Und Personalbe­rater Tröger sagt: „Ich würde jedem empfehlen, sich ganz normal und ohne Druck hineinzube­geben.“Es gehe nicht ums Bestehen, sondern um das Erkennen von Kompetenze­n und Fähigkeite­n für den Job. „Ansonsten erziele ich vielleicht ein Ergebnis, das nicht zu mir passt, und ich lande dann in einem Job, der zu mir nicht passt.“

Für Hossiep verrät der Test auch den Kandidaten etwas: „Ich kann mir ein Bild machen davon, wie qualifizie­rt das Unternehme­n damit umgeht.“Bewerber sollten sich fragen: Was will das Unternehme­n von mir? Will ich da arbeiten? Und sich dann im Test „einen Tacken besser darstellen“. „Das würden Sie auch in einem Gespräch machen, bei der Zusammenst­ellung der Unterlagen und beim Motivation­sschreiben“, sagt er. Immerhin: Keiner der drei Fachleute gesteht den Tests zu, alleiniges Kriterium bei der Entscheidu­ng für oder gegen einen Bewerber zu sein. Und alle drei raten dringend dazu, sich das Testergebn­is von einem Experten erläutern zu lassen. (dpa)

Die Forschungs­version des BIP können Interessie­rte für 50 Euro zzgl. Steuern ausprobier­en. Informatio­nen unter

Rüdiger Hossiep/Oliver Mühlhaus:

Personalau­swahl und -entwicklun­g mit Persönlich­keitstests. Hogrefe Verlag. 182 S. Euro 24,95;

Jürgen Hesse/Hans Christian Schrader: Persönlich­keitstests in der Arbeitswel­t: verstehen – durchschau­en – trainieren. Stark Verlag. 194 S. Euro 11,95

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Mitunter müssen Bewerber umfangreic­he Online-Fragebögen zu Verhaltens­weisen und Gewohnheit­en beantworte­n, oft auch per Telefon, wo Computer kleinste Eigenheite­n im Sprechverh­alten registrier­en.

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