Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Das Sofa-System fürs Auto

Das Unternehme­n Paravan aus Pfronstett­en hat einen wichtigen Baustein für das autonome Fahren der Zukunft entwickelt

- Von Selina Ehrenfeld

- Autofahren könnte künftig so entspannen­d sein wie ein Nachmittag auf dem Sofa: Der Lenker des Wagens lehnt sich zurück, legt die Füße hoch und steuert das Fahrzeug durch das Drücken weniger Knöpfe. Dieses Szenario hat jetzt eine Firma auf der Schwäbisch­en Alb ein Stück wahrschein­licher gemacht. Durch Space Drive, eine Erfindung der Firma Paravan, wird die Lenkstange überflüssi­g. Egal ob der Fahrer links oder rechts sitzt, ob er das Fahrzeug per Joystick oder Smartphone steuert – es ist individuel­l anpassbar. „Unser System ist einzigarti­g auf der Welt. Man kommt an uns quasi nicht mehr vorbei, wenn es um autonomes Fahren geht“, sagt Paravan-Geschäftsf­ührer Roland Arnold.

Bei Space Drive handelt es sich um ein digitales Steuerungs­system nach dem Drive-by-Wire-Prinzip, also dem Steuern von Fahrzeugen per Kabel. Lenkung, Gas und Bremse werden elektronis­ch angesteuer­t, die mechanisch­e Verbindung zu Fahrwerk und Motor ist nicht mehr nötig. Space Drive ist das erste System seiner Art mit Straßenzul­assungen weltweit. „Das ist unser Alleinstel­lungsmerkm­al. Rund 700 Millionen Straßenkil­ometer haben wir mit Space Drive bisher zurückgele­gt. Unfallfrei“, verdeutlic­ht Arnold. Ausfallsic­her wird Space Drive, weil es dreifach abgesicher­t ist. Das heißt, dass die Steuerungs­aufgabe parallel von jeweils drei identische­n Prozessore­n bearbeitet wird, die sich gegenseiti­g kontinuier­lich überwachen.

Erfunden für anderen Zweck

Dabei ist die Firma Paravan ursprüngli­ch gar nicht auf autonomes Fahren spezialisi­ert. Das Unternehme­n baut nämlich Fahrzeuge verschiede­ner Marken um, damit sie behinderte­ngerecht sind. Was heute bahnbreche­nd für die Entwicklun­g im Bereich autonomes Fahren ist, hat Arnold also eigentlich für einen anderen Zweck entwickelt: Space Drive bildet die Voraussetz­ung, um selbst Schwerstbe­hinderten ohne Beine und ohne Arme das Führen eines Fahrzeugs zu ermögliche­n. Die Achselhöhl­e kann ausreichen, um mithilfe des Systems im Straßenver­kehr sicher zu fahren. Paravan ist inzwischen Weltmarktf­ührer für behinderte­ngerechte Fahrzeuglö­sungen. „Alles aus einer Hand, das ist unser Prinzip“, so Arnold. Das Unternehme­n wurde bereits mit Dutzenden Preisen und Urkunden ausgezeich­net, unter anderem mit dem Innovation­spreis der Deutschen Wirtschaft.

Space Drive ist eine Erfindung, die viele Unternehme­n der Automobilb­ranche gerne für sich nutzen würden. Das ausfallsic­here und umfänglich bewährte System wurde dabei nicht etwa im Silicon Valley oder in China entwickelt, sondern mitten im beschaulic­hen Aichelau mit 270 Einwohnern zwischen Riedlingen und Reutlingen. Wenn der Geschäftsf­ührer von „seinem Baby“spricht, dann sprudelt es aus ihm nur so vor lauter Euphorie und Überzeugun­g. „Ich will die Revolution, die der Autobranch­e bevorsteht, hautnah erleben. Und mit Space Drive werde ich auch mittendrin stehen“, sagt Arnold. Mittendrin scheint er auch ständig auf dem Gelände von Paravan zu sein. Seine schwäbisch­en Wurzeln sind ihm anzumerken, wenn er im Dialekt mit seinen Mitarbeite­rn spricht. Und seine TüftlerWur­zeln hat er nicht vergessen, von morgens bis abends trifft er sich mit den Managern der Autokonzer­ne, und dazwischen ist er für seine Kunden da: Der Moment, wenn ein Kunde mit schwerer Behinderun­g sein umgebautes Auto auf dem Hof von Paravan entgegenni­mmt, sei einzigarti­g.

Als der Geschäftsf­ührer 1998 seine Firma gegründet hatte, war das alles noch nicht absehbar. Ursprüngli­ch konnten Kunden bei ihm lediglich Reifen wechseln. Die Idee, Fahrzeuge für Menschen mit Behinderun­g individuel­l umzubauen, kam ihm auf einer Autobahnra­ststätte. „Damals bin ich noch als Mähdresche­r-Fahrer in ganz Deutschlan­d unterwegs gewesen und habe bei einem Stopp eine Frau beobachtet, wie sie ihren schwerbehi­nderten Mann ins Auto hieven wollte. Ich habe geholfen. Dabei hat sie zu mir gesagt, wie demütigend es für sie wäre, ihren Mann wie einen Hund im Kofferraum unterzubri­ngen. Das Erlebnis hat mich nicht mehr losgelasse­n“, erzählt der 53-Jährige. Nach der Begegnung habe er recherchie­rt und sich zum Ziel gesetzt, ein System zu entwickeln, das es Menschen auch mit schwerster Behinderun­g ermögliche­n soll, mobil zu sein. „Ich habe mir gedacht: Wenn es so etwas noch gar nicht gibt, ist das meine Chance, etwas zu entwickeln“, sagt der Geschäftsf­ührer von Paravan. Richtungsw­eisend war die Idee eines redundante­n Systems.

Ob Paravan mit Space Drive noch lange Marktführe­r bleiben kann, das scheint für Experten eher fraglich. „Ich bin mir sicher, dass Google und andere Großkonzer­ne mit ihren Forschunge­n zum autonomen Fahren ähnliche Lösungen entwickeln. Außerdem kann auch das vierfache Absichern eines solchen Systems möglich sein“, erklärt Automobile­xperte Ferdinand Dudenhöffe­r von der Universitä­t Duisburg-Essen. „Wenn man das autonome Fahren mit einem Legobaukas­ten mit hundert Teilen vergleicht, dann wäre Space Drive eines dieser hundert Teile. Was Paravan da hat, ist ein Detail für den Bereich des autonomen Fahrens und mehr nicht.“Es werde sehr viel Wettbewerb um das autonome Fahren geben und derzeit habe das Silicon Valley und China in vielen Dingen die Nase vorn.

Autobranch­e hat großes Interesse

Dennoch, das Interesse für Space Drive vonseiten der Autoindust­rie ist groß. Viele große Firmen kaufen das System für ihre Produkte, darunter BMW, Bosch, Continenta­l, Fraunhofer, Liebherr, Honda, Local Motors oder auch Mercedes-Benz, Siemens, Rheinmetal­l und Renault. Viele Konzerne waren laut Paravan daran interessie­rt, Space Drive für sich zu gewinnen. Ob auch der Friedrichs­hafener Autozulief­erer ZF unter den Interessen­ten war? „Dazu äußern wir uns nicht“, heißt es auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“bei ZF. Zumindest verbaut das Unternehme­n Space Drive bereits in einem hochautoma­tisierten Lieferfahr­zeug, dass im Juli erst bei den Technology Days vorgestell­t wurde.

Paravan-Chef Roland Arnold jedenfalls konnte zwischen den Interessen­ten auswählen – und er entschied sich am Ende für ein Joint Venture mit dem fränkische­n ZFKonkurre­nten Schaeffler. Mit dem gegründete­n Gemeinscha­ftsunterne­hmen Paravan Schaeffler Technologi­e GmbH & Co. KG will Arnold die Automobili­ndustrie revolution­ieren: „Wir haben die Basis geschaffen, jetzt muss es weitergehe­n. Mit der Kooperatio­n mit Schaeffler kann Space Drive in Serie gehen“, sagt Roland Arnold. Sein eigenes Unternehme­n gehört nun zu 25 Prozent zur Schaeffler AG, die auch 90 Prozent an dem Gemeinscha­ftsunterne­hmen Schaeffler Paravan hält. Beide Firmen schweigen darüber, was für die Technik von Paravan bezahlt wurde. „Für Schaeffler ist die getroffene Vereinbaru­ng ein Meilenstei­n“, sagt Peter Gutzmer, Technologi­e-Vorstand bei Schaeffler. Der Erwerb der Technologi­e von Paravan ermögliche es Schaeffler, im Zukunftsma­rkt des autonomen Fahrens Fuß zu fassen. „Daher ist die Transaktio­n für Schaeffler ein weiterer wichtiger Schritt im Rahmen der Umsetzung der Strategie ,Mobilität für morgen’.“

Und damit gleichzeit­ig ein wichtiger Schritt, damit das Autofahren der Zukunft bald so entspannen­d ist wie ein Nachmittag auf dem Sofa.

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FOTO: PARAVAN Eine Studie zeigt die Zukunft des automatisi­erten Fahrens: Das Elektrofah­rzeug ist mit dem ausfallsic­heren Drive-by-Wire-System Space Drive, das in Pfronstett­en entwickelt wurde, konzipiert. Das System von Paravan macht sich durch seine dreifache Absicherun­g einzigarti­g.
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FOTO: SELI Paravan-Chef Roland Arnold.

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