Der teure Umbruch
Die Nationalmannschaft zahlt auch beim 2:2 gegen die Niederlande Lehrgeld
● GELSENKIRCHEN - Am Ende bewies Virgil van Dijk, der Kapitän der Holländer, wahre Größe. Erstens, weil er durch hohen Luftstand seiner Mannschaft mit dem Kopfball zum 2:2 in der Nachspielzeit das Remis und damit die Teilnahme am „Final Four“Turnier im kommenden Juni gerettet hatte. Zum zweiten, als er nach Abpfiff Schiedsrichter Ovidiu Hategan aus Rumänien, dessen Mutter Stunden zuvor verstorben war, umarmte. Eine große Geste.
Dies rückte den Ärger der DFB-Elf über den verschenkten Sieg im letzten Gruppenspiel der Nations League für einen Moment in den Hintergrund. Was sportlich blieb: Schneller, direkter Fußball, flotte Spielzüge und knackige Treffer – und dann doch wieder: hängende Köpfe und Ratlosigkeit. „Was am Ende passiert ist, bleibt hängen. Richtig bitter. Wir haben verpasst, den Deckel draufzumachen“, ärgerte sich Toni Kroos. Timo Werner, neben Leroy Sané Torschütze in der furiosen ersten Halbzeit, schimpfte: „Das Spiel dürfen wir niemals wieder hergeben.“Haben sie aber – in nur wenigen Minuten. Welch teures Vergnügen, ständig Lehrgeld zu zahlen. Bundestrainer Joachim Löw lamentierte: „Es zieht sich ein bisschen durch das Jahr.“
2018 war das schlechteste Jahr der deutschen Länderspielgeschichte (sechs Niederlagen), mit dem SuperGau des Ausscheidens in der WMVorrunde. Nun der erneute Rückschlag. „Das ist der Preis, den eine junge Mannschaft bezahlen muss. Es sind Erfahrungswerte, die man macht. Daraus muss man lernen“, so Löws Vorgabe für die Zukunft.
Magisches Dreieck lässt hoffen
Das Offensiv-Trio Werner, Sané und Bayern-Profi Serge Gnabry bestach durch Tempo, Spielwitz und Abschlussstärke wie schon beim 3:0 im Test gegen Russland letzte Woche. Teammanager Oliver Bierhoff pries deren – offensichtliche – Schnelligkeit und forderte: „Sie müssen aber noch Konstanz bekommen.“Das magische Dreieck, dessen Geburtsstunde das 1:2 in Frankreich im Oktober war, lässt für die nächsten Jahre hoffen. Für den Umbruch, zu dem sich Löw endlich durchringen konnte. Im September noch zögerlich, weil allzu treu zu seinen alten Helden der WM 2014 (Boateng, Hummels, Müller) öffnete ihm das 0:3 in Amsterdam die Augen.
Lediglich Kapitän und Torwart Manuel Neuer sowie Spielmacher Toni Kroos und mit Abstrichen Mats Hummels sind gesetzt.
Zu den frischen Gesichtern gehören neben dem Angriffstrio vor allem Julian Brandt (22), Thilo Kehrer (22) und Kai Havertz (19). „Mein Gefühl sagt mir, dass wir gut aufgestellt sind mit diesen Spielern“, meinte Löw. Er versprach für 2019: „Wir werden wieder eine gute Mannschaft auf den Platz schicken, die guten Fußball spielen lässt. Wir haben viel Potenzial.“Er gehe „mit einem guten Gefühl“in die Winterpause. Die Qualifikationsspiele zur EM 2020 beginnen erst im März. Dieser Herbst mache ihm – den Abstieg in die Liga B der Nations League mal beiseitegeschoben – „viel, viel Mut fürs nächste Jahr.“
In der Zeit bis zur EM 2020 will Löw Erfahrung und Jugend bestmöglich kombinieren. „Es braucht in einem Kader drei, vier Spieler, die Erfahrung mitbringen“, sagte der Bundestrainer, „nur junge oder nur alte Spieler werden nicht zum Erfolg führen – die richtige Mischung macht's.“Der Umbruch benötige noch Zeit, das gehe „nicht so einfach von heute auf morgen“.
Im Herbst 2018 spielte diese reformierte Nationalelf irgendwo zwischen gestern und morgen, strauchelte dabei im kniffligen Heute.
Werner gab die Losung für das DFB-Team aus. „2018 abhaken, 2019 in die EM-Quali starten und dann alles besser machen.“Gegen Ende der Partie übrigens zerriss Löw auf der Bank wütend einen Zettel. Den Matchplan?
Noch so ein Sinnbild: Weg mit den Notizen, fort mit dem Jahr 2018. Endlich vorüber und vorbei.