Schwarz küsst Weiß
Die Enterprise-Helden Kirk und Uhura schrieben vor 50 Jahren TV-Geschichte – Pioniertat für Schwarzenrechte
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BONN (KNA) - Eine Schwarze küsst einen Weißen? Im prüden US-Fernsehen? Ein Skandal! Auch wenn der Plot einige Jahrhunderte in die Zukunft verlegt war: Von wegen Science Fiction – die Aufregung war echt. Am 22. November 1968, vor 50 Jahren, wurde eine Folge der TVSerie Star Trek (deutsch „Raumschiff Enterprise“) ausgestrahlt, die eine Fernsehnation aufwühlte.
Es war die heiße Zeit der Rassenunruhen. Martin Luther King und Robert Kennedy waren einige Monate zuvor erschossen worden. Die steigende Popularität der Bürgerrechtsbewegung rang mit der des rassistisch-protestantischen KuKlux-Klan.
Mit der Multikulti-Crew des Raumschiffs Enterprise vertrat „Star Trek“-Schöpfer Gene Roddenberry die Vision einer Überwindung von Krieg und Rassismus. Im Jahr 2200, zu einer Zeit, in der die Menschheit den Dritten Weltkrieg überlebt hat und sich friedlich mit außerirdischen Lebensformen zur „Vereinigten Föderation der Planeten“zusammengeschlossen hat, sendet die Raumflotte die Enterprise aus, fremde Planeten und Galaxien zu erkunden und unbekannte Lebensformen kennenzulernen.
Sexy und Respektsperson
Führungsoffiziere waren Captain James Tiberius Kirk, der Erste Offizier ein Halb-Vulkanier namens Mr. Spock, der japanische Steuermann Sulu, der russische Navigator Pavel Chekov – und sogar eine Frau, eine Schwarze noch dazu. Kommunikationsoffizierin Nyota Uhura, gespielt von Nichelle Nichols, war sexy mit ihrem roten Minirock. Aber sie war zugleich Respektsperson. Rief sie ihr ernstes „Captain!“, mit einer Hand am Kopfhörer, war Zuschauern und Besatzung klar: Es ist wichtig!
„Viele Lichtjahre von der Erde entfernt dringt die Enterprise in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat“, so lautete das Versprechen in den weltraumbeflissenen 1960er-Jahren. Tatsächlich sind die „fernen Welten“doch immer ein ziemlich glasklares Spiegelbild terrestrischer Gesellschaftsentwürfe.
So waren etwa Frauenrechte und Matriarchat im Unterbewusstsein von Star-Trek-Vater Roddenberry fest verankert. In gleich mehreren Folgen der Serie haben auf Planeten Frauen das Kommando – und/oder betören sirenenhaft die Sinne der kontrollgewohnten Männer der Enterprise. Liebe, Erotik oder Sex haben an Bord nur wenig konkreten Raum. Auf den besuchten Planeten und in deren Gesellschaften kann die Mannschaft allerdings mitunter ihr blaues Wunder erleben.
Computerlogbuch der Enterprise, Sternzeit 5784,2. In der Folge „Platons Stiefkinder“(orig. „Plato’s Stepchildren“) geht es vordergründig um geistigen Zwang. Die Bewohner des Planeten Platonius leben wie im Alten Griechenland. Ihr Anführer ist nach einer Verletzung dringend auf die Hilfe von Enterprise-Arzt Dr. „Pille“McCoy angewiesen. Um dessen Widerstand zu brechen – und zum sadistischen Zeitvertreib – zwingt er den Führungsoffizieren der Enterprise mit Psychokinese seinen Willen auf, lässt sie lachen, weinen und klassische oder alberne Texte und Lieder deklamieren. Schließlich zwingt er Lieutenant Uhura und Captain Kirk, sich zu küssen. Uhura liegt auf einer Sänfte, Kirk über sie gebeugt. Beide kämpfen mit aller Kraft gegen die Fremdbestimmung an; schließlich empfinden sie höchsten Respekt, ja Freundschaft füreinander. Uhura wiederholt mehrfach gepresst: „I am not afraid!“(Ich habe keine Angst) – dann passiert es.
In den Südstaaten wurde der Kuss herausgeschnitten; in England wurde die ganze Folge erst 1993 gezeigt. Über Entstehung und Intention der Szene gibt es viele Gerüchte und Variationen; unter anderem, es habe von Beginn an zwei Versionen gegeben, mit und ohne Kuss. Auch heißt es, ursprünglich sei dafür Leonard
Nimoy alias Mr. Spock vorgesehen gewesen; doch am Ende bekam Captain Kirk den Vorzug. Filmhistoriker rätseln, ob sich womöglich Hauptdarsteller William Shatner, sich der Bedeutung der Szene allzu bewusst, selbst in den Vordergrund drängte – oder ob den Machern ein Kuss zwischen einer Schwarzen und einem Außerirdischen am Ende doch zu krass war. Uhura-Darstellerin Nichols schweigt darüber bis heute.
Uhuras Rollenbild für die Schwarzenbewegung ist kaum zu hoch einzuschätzen: eine Projektionsfläche für ein besseres und gerechteres Amerika. Dabei wollte Darstellerin Nichols schon nach der ersten Staffel ausgestiegen sein – wegen schauspielerischer Unterforderung. Sie träumte vom Broadway. Bis ihr bei einer Gala ein Bewunderer vorgestellt wurde: Martin Luther King. Der Bürgerrechtler outete sich – wie ein halbes Jahrhundert später auch US-Präsident Barack Obama – als Anhänger der Serie. King verbot Nichols regelrecht den Ausstieg. Sie blieb – und küsste den Captain.