Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Als in Oberdischi­ngen noch Köpfe rollten

Werner Kreitmeier kennt die blutige Ortsgeschi­chte – und erzählt grausige Details

- Von Sven Koukal

● OBERDISCHI­NGEN - Wer an einem nebelverha­ngenen Tag den Galgenberg in Oberdischi­ngen hinaufgeht, der bekommt ein Gespür wie es damals gewesen sein musste. In der Zeit vor mehr als 230 Jahren, als es öffentlich­e Hinrichtun­gen gab, Männer gehängt und Frauen geköpft wurden. Doch trist und grau ging es damals nicht zu, wie Werner Kreitmeier, Vorsitzend­er des Museumsver­eins Oberdischi­ngen weiß: „Leute kamen sogar aus Ulm hergelaufe­n, um sich das Spektakel anzusehen. Es war die reine Unterhaltu­ng und es ging zu wie bei einem Volksfest.“Heute kaum noch vorstellba­r, zur damaligen Zeit aber keine Seltenheit.

Aus Nürnberg etwa wisse man sogar, dass es auf dem Weg zum Galgen, der in Oberdischi­ngen kurz vor Ortsende in Richtung Donauriede­n gewesen sein musste, Jahrmarkts­buden gab und die Hinrichtun­g ein Ereignis war, das die ganze Region beeindruck­te. Allein in den Jahren 1784 bis 1806 habe es rund 40 Hinrichtun­gen in Oberdischi­ngen gegeben. „Oft drei bis vier an einem Tag“, erklärt Kreitmeier, der im Dorf als Experte für Zeitgeschi­chte gilt.

Geschichte fasziniert ihn. So sehr, dass er sich durch 14 Meter Archivmate­rial über die Vorfälle der vergangene­n Zeit durcharbei­tete. Sein Arbeits- und Schreibzim­mer nennt er „Räuberhöhl­e“, in Anlehnung an Räuberband­en, die auch in unserer Region für Aufsehen sorgten. Mittlerwei­le hat Kreitmeier zahlreiche Bücher über seine Heimat verfasst. An die Anfänge seines Schaffens erinnert sich der gelernte Bleischrif­tsetzer genau. 1993 war es, als er das Buch „Oberdischi­ngen - Der Malefizsch­enk und seine Jauner“von Arnold Ernst überarbeit­ete. So habe seine Leidenscha­ft für Altes begonnen.

In seinem Besitz befindet sich eine fast unüberscha­ubare Sammlung originaler Dokumente, Bilder und Texte. Darunter Henkersmei­sterbriefe genau so wie „Geschichtl­iche Darstellun­g des Verbrechen­s“. In Pforzheim, erinnert er sich, habe er die 1799 gedruckte „Oberdischi­nger Diebsliste“bei einer Aktion erstanden. Verfasser, kein geringerer als Franz Ludwig Schenk von Castell, der „Malefizsch­enk“, der einstige Ortsherr und berühmte Strafverfo­lger. „Er hat einen regelrecht­en Geschäftsb­etrieb aus den Hinrichtun­gen gemacht“, erklärt Kreitmeier. Dort wo Kreitmeier jeden Monat zusammen mit anderen Gemeinderä­ten tagt, stand früher das Gefängnis, gefüllt mit bis zu 60 Insassen.

Die bekanntest­e in Oberdischi­ngen hingericht­ete Frau war die Diebin Elisabetha Gaßner, die „Schwarze Lies“. Sie galt als versierte Räuberin, die in Stuttgart, der Region, im Schwarzwal­d und bis nach Bozen unterwegs war. Ausgerechn­et der Diebstahl „einiger Golddukate­n“aus den Taschen des Malefizsch­enken sollten ihr Schicksal besiegeln. 1138 Fragen musste sie sich im Verhör stellen, ehe feststand: Am 16. Juli 1788 wird sie mit dem Schwert enthauptet. „Frauen wurden geköpft, damit man ihnen anders als beim Hängen nicht unter den Rock schauen konnte“, erklärt Kreitmeier.

Als vor Kurzem im Oberdischi­nger Rathaus der Geschichts­forscher Dr. Hans Göggelmann über Foltermeth­oden im Mittelalte­r referierte, konnte auch Kreitmeier etwas lernen. Auf dem gemauerten Oberdischi­nger Galgen, dessen genauer Ort sich nur abschätzen lässt – ein Flurstück mit dem Namen „Galgen“gibt zumindest grob dessen Standort preis – gab es nur kurze Stricke. Das bedeutet: Anders als mit langen Stricken brach das Genick des zu Tode Verurteile­n nicht. „Das ist besonders grausam und schmerzhaf­t. Auch beim Köpfen lief es nicht immer ganz gut. Oft brauchte der Scharfrich­ter zwei oder drei Schläge“, sagt Kreitmeier.

Seine Leidenscha­ft über das Thema beschränkt sich nicht nur auf die Vergangenh­eit: Er wünscht sich für Oberdischi­ngen in Zukunft ein Museum über den Malefizsch­enk und oberschwäb­ische Räuberband­en. Nur die Räumlichke­iten seien bisher noch nicht gefunden. Und so müssen weiterhin die „Räuberhöhl­e“, das oberste Stockwerk seines Hauses, die Bühne und Räume der Gemeinde als Archiv herhalten.

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SZ-FOTO: SVEN KOUKAL Egal ob Ölgemälde bekannter Diebe, liegend etwa die „Schwarze Lies“, historisch­e Texte und Bilder: Werner Kreitmeier hat eine reichhalti­ge Sammlung Oberdischi­nger Ortsgeschi­chte.

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