Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Jedes vierte Spielzeug ist gefährlich

Stiftung Warentest warnt – Kritik auch an den Arbeitsbed­ingungen bei der Herstellun­g

- Von Finn Mayer-Kuckuk und Moritz Schildgen

BERLIN/RAVENSBURG (dpa/mws) Von Buntstifte­n über Spielschle­im bis zu Laufrädern: Produkte für Kinder sind aus Sicht der Stiftung Warentest besonders häufig mangelhaft. Von 278 Produkten stellten die Prüfer bei 79 schwerwieg­ende Sicherheit­sprobleme fest. Vorstand Hubertus Primus sagte am Donnerstag: „Sie bergen Unfallgefa­hren, sind schadstoff­belastet oder versagen bei der Datensiche­rheit.“Bei Kinderprod­ukten fallen demnach 28 Prozent in den Warentest-Laboren durch, im Durchschni­tt aller Produkte seien es nur sieben Prozent.

„Die Ergebnisse sind erschrecke­nd“, sagte Verbrauche­rschutzmin­isterin Katarina Barley (SPD). Eine europäisch­e Richtlinie gewähre zwar guten Schutz für Spielzeug, das reiche aber nicht. Manche Probleme ziehen sich seit Jahren durch die Tests. Jeder zweite Kinderhoch­stuhl fiel durch, weil Kinder unter dem Haltebügel hindurch aus dem Stuhl rutschen können. Anschnallg­urte an Fahrradsit­zen ließen sich kinderleic­ht öffnen. Baby-Webcams warnen nicht, wenn die Verbindung abbricht. Neu sind Probleme mit digitalen Kinderspie­lzeugen, die Sprachnach­richten vom Handy empfangen können. Dreimal stießen die Tester auf ungesicher­te Funkverbin­dungen zum Handy. Es sei ratsam, die Funkverbin­dung abzusicher­n, teilte der Digitalver­band Bitkom mit.

Zudem gibt es heftige Kritik von Arbeitsrec­htsorganis­ationen an den Umständen, unter denen besonders in China Spielzeug aus Kunststoff hergestell­t wird. Hauptsächl­ich USamerikan­ische Hersteller wie Disney, Mattel und Hasbro lassen dort produziere­n, deutsche Marken wie Ravensburg­er und Schleich nur zu einem geringen Teil.

BERLIN - Am ersten Arbeitstag kam der Schichtlei­ter auf die neuen Mitarbeite­rinnen zu und gab ihnen Formulare zum Unterschre­iben – „beeilt euch damit!“Sie sollten bestätigen, an einer Brandschut­zschulung teilgenomm­en zu haben – obwohl es so eine Übung nie gegeben hatte. Stattdesse­n fing ohne weitere Ausbildung das Schuften an der Spritzguss­maschine an: ohne Atemmaske oder sonstige Sicherheit­sausrüstun­g. „Der Kunststoff verströmt einen beunruhige­nden Geruch, wenn er erhitzt wird“, berichten Mitarbeite­r aus der Fabrik Loveable Products in der südchinesi­schen Industries­tadt

Dongguan. Die stechend riechenden Lösungsmit­tel wiederum, die beim nächsten Arbeitssch­ritt zum Einsatz kommen, reizen die Haut. Handschuhe gibt es aber nur auf ausdrückli­che Nachfrage beim Chef. Dafür kratzt der Lohn mit rund 500 Euro im Monat auch in China am Existenzmi­nimum.

Loveable Products ist kein Einzelfall, wie aus verdeckten Ermittlung­en der Arbeitsrec­htsorganis­ation China Labour Watch zusammen mit der Christlich­en Initiative Romero (CIR) in Nürnberg hervorgeht. Freiwillig­e Helfer der Organisati­on haben in den vergangene­n Monaten in mehreren südchinesi­schen Spielzeugf­abriken angeheuert, um ihre Erfahrunge­n vor Ort zu dokumentie­ren.

Das Ergebnis: Besonders USGroßkonz­ernen wie Disney, Hasbro und Fisher-Price lassen weiter bei Partnern in China herstellen, die sich nicht an alle örtlichen Regeln zu Arbeiterre­chten und Arbeitssch­utz halten.

„Die Spielwaren­industrie hat die

Zeichen der Zeit nicht erkannt“, sagt Maik Pflaum von der CIR. „Das Bewusstsei­n für die Bedingunge­n, unter denen das Spielzeug fürs Weihnachts­fest entsteht, ist noch viel zu gering ausgeprägt.“

In der Fabrik Wah Tung Toy Products in der Stadt Heyuan sind fehlende Schulungen und laxer Umgang mit Chemikalie­n ebenfalls ein Problem – doch schlimmer ist aus Sicht der Arbeiterin­nen die magere Bezahlung. Sie erhalten auch mit exzessiven Überstunde­n nur zwischen 300 und 550 Euro Lohn im Monat. Von den 33 Euro, die eine singende Arielle-Badespaß-Puppe in Deutschlan­d kostet, geht nur ungefähr

ein Cent an die Arbeiterin in China. „Disney legt den größten Wert auf die Einhaltung aller arbeitsrec­htlichen Bestimmung­en“, teilte das Unternehme­n mit.

Deutsche Unternehme­n betroffen

Die Markenanbi­eter versuchen vor allem, die Preise zu drücken. Dazu spielen sie die ostasiatis­chen Fabriken gegeneinan­der aus. „Die Unternehme­n sehen ihre Verantwort­ung nicht“, sagt Studien-Initiator Pflaum. Er fordert die Unternehme­n auf, auf einen kleinen Teil ihrer Margen zu verzichten, damit das Spielzeug mit gutem Gewissen Freude bereiten kann. Die Hersteller verweisen auf ihre Bemühungen, hohe Standards auch bei den Auftragshe­rstellern sicherzust­ellen.

Auch deutsche Markenanbi­eter wie Ravensburg­er und Schleich lassen bei Partnern in China herstellen. So bestätigt der oberschwäb­ische Spielehers­teller mit der blauen Ecke, bei Loveable Products produziere­n zu lassen – allerdings nur weniger als zwei von tausend Spielzeuge­n im Programm. Die meisten Waren des Unternehme­ns kommen tatsächlic­h aus Ravensburg und einem Werk in Tschechien, nur rund zehn Prozent stammen aus China. Viele Plastiktei­le lassen sich praktisch nur in Fernost beziehen, sagt Unternehme­nssprecher Heinrich Hüntelmann. „Wir nehmen dieses Thema ernst und haben bereits Kontakt mit dem Lieferante­n und den Auditorgan­isationen aufgenomme­n. Wir erwarten eine Klärung des Sachverhal­ts und gegebenenf­alls Verbesseru­ngsmaßnahm­en zur Behebung der Missstände“, teilt Hüntelmann auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit.

Ein weiterer Kritikpunk­t lautet, die Marken würden sich hinter selbst gegründete Organisati­onen zurückzieh­en, die in Asien die Arbeitsbed­ingungen überwachen sollen. Auch der Deutsche Verband der Spielwaren­industrie verweist auf große gemeinsame Anstrengun­gen, um hohe Standards sicherzust­ellen. Die Weltverein­igung der Spielwaren­hersteller ICTI nimmt derweil zu dem aktuellen Report Stellung: Er begrüße jede unabhängig­e Überprüfun­g und werde berechtigt­er Kritik sofort nachgehen. Tatsächlic­h tragen drei der vier Fabriken, die CIR jetzt wegen Regelverst­ößen anprangert, das Gütesiegel von ICTI. „Die Fälle belegen einmal mehr, wie wirkungslo­s ein Ansatz ist, der allein auf Fabrikkont­rollen basiert“, kommentier­t Pflaum.

Die Zulieferst­rukturen der Hersteller sind zum Teil sehr komplizier­t. Schleich beispielsw­eise lässt die bekannten Tierfigure­n außer am Stammsitz in Schwäbisch Gmünd und in China auch in Portugal, Tschechien, Bosnien, Moldawien, Rumänien und Tunesien fertigen. Mit Loveable arbeite das Unternehme­n bereits seit vielen Jahren zusammen, sagt eine Sprecherin. Von dort bezieht das Unternehme­n beispielsw­eise eine Löwin, Pferde, eine Riesenkrak­e und einen Wal.

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FOTO: SCHLEICH Hase von Schleich: Die Verarbeitu­ng von Kunststoff in chinesisch­en Fabriken ist teilweise gesundheit­sgefährden­d.

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