Ein würdiger Abschied für die Chefin
Angela Merkel wird nach 18 Jahren an der Parteispitze als CDU-Vorsitzende verabschiedet
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HAMBURG - So viel Emotion gab es selten bei einem CDU-Parteitag. Angela Merkel spricht von „Fröhlichkeit im Herzen“, die sie ihrer Partei für die Zukunft wünscht. Die Augen einiger Delegierten schimmern feucht, als der Kameraschwenk sie trifft. Und Merkel selbst schluckt sichtbar, als der Applaus nach ihrer Rede auch nach mehreren Minuten nicht nachlassen will.
Die mehr als 1000 CDU-Mitglieder, die zum Parteitag nach Hamburg gekommen sind, haben gerade einen historischen Moment erlebt: die letzte Rede ihrer Vorsitzenden nach 18 Jahren an der Parteispitze. Und trotz aller Streitereien und Kursdebatten der vergangenen Wochen – der CDU und ihrer bisherigen Vorsitzenden glückte ein Abschied in Würde.
Ein Taktstock zum Abschied
„Es war mir eine große Freude, und es war mir eine große Ehre, CDUVorsitzende zu sein“, sagt Merkel zum Abschluss ihrer halbstündigen Rede – dann brandet Beifall auf. Die Delegierten springen von ihren Stühlen auf, „Danke, Chefin“-Schilder werden geschwenkt, der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier rühmt anschließend mit warmen Worten die Verdienste Merkels in ihrer Zeit als CDU-Vorsitzende und auch als Kanzlerin. „Die Bundesrepublik ist ein Hort der Stabilität, und das ist eine der besonderen Leistungen Angela Merkels“, sagt er. Als Geschenk für die Vorsitzende überreicht er ihr einen Taktstock des Dirigenten Kent Nagano, der in der Elbphilharmonie zum Einsatz kam, und zwar – ein kleiner Schönheitsfehler – während des eher als unfriedlich in Erinnerung gebliebenen G20-Gipfels. Fast scheint es, als würde die Partei den Rückzug ihrer Vorsitzenden auf den letzten Metern noch bedauern. Aber so ist es dann doch nicht.
Partei lechzt nach dem Neuanfang
Die Partei zolle Merkel Respekt, dass sie nach der Hessenwahl aus eigenen Stücken verkündet habe, nicht mehr als Vorsitzende kandidieren zu wollen, sagt ein Delegierter. Und wenn sie diesen Schritt nicht gemacht hätte? Dann wäre es schwierig für sie geworden, meint er. Die CDU lechzt nach einem Neuanfang – das sagen selbst diejenigen, die der bisherigen Parteichefin wohlgesonnen sind.
Merkel nutzt die Gunst der Abschiedsstunde, um – für ihre Verhältnisse nahezu emotional – Bilanz zu ziehen. Sie dankt „von ganzem, ganzem Herzen“ihren Mitarbeitern im Konrad-Adenauer-Haus, deren Arbeit und Fleiß sie „niemals vergessen“werde. Sie erinnert an ihre Anfänge in der CDU als junge Politikerin mit DDR-Hintergrund, an ihren Aufstieg an die Parteispitze als Folge der desaströsen Spendenaffäre, an 72 Wahlkämpfe im Bund, in Europa und auf Landesebene, an Krisen und Herausforderungen, die sie an der Spitze der Christdemokraten, meistens zugleich als Kanzlerin, zu bewältigen hatte. Und sie nennt die großen Reformprojekte der vergangenen 18 Jahre, die ihre Partei mitunter nur äußerst widerwillig mitgetragen hat: den Abschied von der Wehrpflicht, die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns, die Investitionen in Kitas, um Frauen Familie und Beruf zu ermöglichen. Auch das Jahr 2015 und ihre Flüchtlingspolitik verbucht Merkel auf der Habenseite. Deutschland habe die „große Herausforderung“bestanden, „in einer humanitären Notlage viele Menschen aufzunehmen“.
Der Zwischenapplaus im Saal bleibt in diesem Moment aus. Offensichtlich tut sich ein Teil der Delegierten nach wie vor schwer mit dem Kurs, den ihre Vorsitzende eingeschlagen hat. Diesen innerparteilichen Zwist hinterlässt Merkel der künftigen Vorsitzenden als Ballast. Umso eindringlicher appelliert sie an ihre Partei, geeint in die Zukunft zu gehen: Auch in Zeiten von Polarisierung und AfD könne die CDU gute Ergebnisse erringen, „wenn wir geschlossen und entschlossen kämpfen“, sagt sie. Und sie warnt: „Wohin uns nicht enden wollender Streit führt, dass haben CDU und CSU in den letzten Jahren bitter erfahren.“
„Gläserne Decke durchbrochen“
Doch wie weit die Ansichten innerhalb der Christdemokraten auseinandergehen, zeigt sich nur wenige Minuten nach Merkels Abschiedsrede. „Sie haben die CDU zusammengehalten und wieder stark gemacht“, sagt die Vorsitzende der Frauen-Union und Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz. Und nahezu euphorisch rühmt sie die Verdienste Merkels für Frauen in der Politik. Die CDU-Chefin habe das Rollenbild von Millionen Mädchen und Frauen geprägt. „Sie haben die gläserne Decke für Frauen in der Politik durchbrochen.“
Der baden-württembergische Fraktionschef Wolfgang Reinhart hält sich hingegen nur kurz mit einem Lob auf Merkel auf, um dann zu fordern: „Die CDU muss die Weichen stellen, um eine Volkspartei der Mitte zu bleiben mit breiten Flügeln in beide Richtungen.“Zudem fordert er die „Repräsentationslücke“, aus der die AfD entstanden sei, wieder zu verkleinern.
Pfiffe für „Landesverrat“-Vorwurf
Weitgehend allein bleibt hingegen Eugen Abler, Gemeinderat in Bodnegg im Kreis Ravensburg und erklärter Merkel-Kritiker, mit seinen Positionen. Seine Rede, in der er unter anderem den Migrationspakt als „Landesverrat“bezeichnet, wird mehrfach von Pfiffen unterbrochen.
In dieser Woche ist Angela Merkel zum achten Mal in Folge vom US-Magazin „Forbes“zur mächtigsten Frau der Welt gekürt worden, in ihrer Partei hat sie die Macht am Freitag in Hamburg abgegeben. Die Ära Merkel ist vorbei, die Zeit von Annegret Kramp-Karrenbauer an der Spitze der CDU angebrochen. Doch als Kanzlerin könnte es für Merkel in dieser Konstellation bis zum Ende der Legislatur weitergehen. Es bleibt ein Abschied auf Raten. Nein. Bei aller Übereinstimmung auf vielen Feldern ist Frau KrampKarrenbauer kein Abziehbild von Frau Merkel. Für die CDU hat es in den letzten Monaten einen atmosphärischen Höhenflug, einen Aufbruch in die neue Zeit gegeben. Auf dem Parteitag hat Frau KrampKarrenbauer die Seele der CDU besonders intensiv gestreichelt, was garantiert zu ihrem Sieg beigetragen hat. Sie hat eine Zukunftsbegeisterung in der Partei ausgelöst. Die Herausforderung bleibt jetzt, das auf dieser Ebene zu halten. Die Rede von Kramp-Karrenbauer war rhetorisch und inhaltlich ein Volltreffer. So hält man eine Rede, wenn man Delegiertenstimmen gewinnen will. Die Delegierten konnten sagen: Ja, das ist eine von uns. So fühlen wir doch auch. Sie kennt die Partei von innen. Sie hat die Partei auch von innen verkostet. Das spürt man. Dagegen war die Rhetorik von Merz viel schärfer und härter.
Wäre Merz mit seinem schärferen Profil erfolgreicher bei Wahlen gewesen?
Mit dieser ihrer Art hat Frau Kramp-Karrenbauer Wahlen gewonnen. Sie hat nachgewiesen, dass sie Wahlen gewinnen kann. Sie wird sich bemühen, dass ihre Gegenkandidaten die CDU in spürbarer Form mit vertreten. Das würde ich ihr auch raten, denn was man in Hamburg an Höhenflug erlebt hat, ist ja nicht das Werk einer einzelnen Person. Der Wettbewerb, die Art der Diskussion, die dabei vorgebrachten Ideen – man könnte fast sagen, das Trio AKK/ Merz/Spahn war eine Art Gesamtkunstwerk. Davon muss man auch in Zukunft etwas spüren.
Vielen in der CSU wäre Friedrich Merz als CDU-Chef lieber gewesen. Wie wird die Schwesterpartei mit Kramp-Karrenbauer in Zukunft zurechtkommen?