Özdemir kritisiert Umgang mit Osmanen
Kronzeuge verbotener Straßengang wird aus Türkei eingeflogen – und schweigt vor Gericht
STUTTGART (lsw) - Es war als Show-down im Stuttgarter Prozess gegen mutmaßliche Führer der verbotenen türkisch-nationalistischen Straßengang „Osmanen Germania BC“gedacht – doch am Dienstag hat ein extra mit freiem Geleit aus der Türkei eingeflogener Kronzeuge die Aussage dann doch verweigert. Das Stuttgarter Landgericht hatte den ehemaligen Stuttgarter OsmanenVizepräsidenten und in etlichen angeklagten Punkten Hauptbeschuldigten nach monatelangen Verhandlungen aus der Türkei geladen. Nun muss der seit März laufende Prozess doch ohne dessen Aussage weitergeführt werden. Dem Mann wurde zugesagt, dass er nicht verfolgt wird, wenn er innerhalb von 15 Tagen zurückfliegt.
„Missachtung des Rechtsstaats“
„Er hat uns allen eine lange Nase gemacht“, kommentierte Grünen-Politiker Cem Özdemir den kurzen Auftritt des Kronzeugen. Er war als Beobachter zum Prozess gekommen. „Mit jeder Faser“zeigten auch die Angeklagten die Missachtung des deutschen Rechtsstaats. „Sie halten uns für schwach.“
Die Bundesregierung sei gefordert, dieses Treiben nicht länger hinzunehmen. „Es ist Zeit, mal eine klare Ansage zu machen, dass das ab jetzt nicht mehr geduldet wird – und zwar in einer Sprache, die verstanden wird“, sagte Özdemir.
Berlin aber scheue sich, die politischen Verwicklungen der Osmanen nach Ankara und zum Umfeld des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu benennen. „Wir tun hier so, als seien das hier stinknormale Kriminelle. Dabei haben wir es aber mit politischer Kriminalität zu tun“, sagte Özdemir mit Blick auf den Stuttgarter Prozess. Angeklagt sind dort seit März noch sieben mutmaßliche Mitglieder der Straßengang – darunter drei, die zur höchsten Führungsebene gerechnet wurden. Den Männern werden unter anderem versuchter Mord, versuchter Totschlag, Erpressung, Zwangsprostitution und Zuhälterei vorgeworfen.
Vor allem geht es um die blutige Folter eines abtrünnigen Osmanen in Herrenberg bei Stuttgart. Daran soll auch der Kronzeuge beteiligt gewesen sein. Nach bisherigem Verlauf des Prozesses werden dafür wohl nicht der einstige „Weltpräsident“oder sein Vize, sondern vor allem der ehemalige Präsident der Stuttgarter Osmanen bestraft. Er hatte wohl auf entlastende Aussagen des schweigenden Kronzeugen gehofft und schimpfte ihm nach seinem schnellen Abgang auch hinterher.
Gewaltbereite Fanatiker
Özdemir zeigte sich empört: Der Kronzeuge lasse sich auf Staatskosten einfliegen, bekomme einen Rechtsbeistand, könne 15 Tage seine Familie besuchen und habe dann freies Geleit zurück. „Er hat uns den Mittelfinger gezeigt.“Das zeige die Gesinnung dieser Menschen. Der ehemalige Grünen-Bundeschef, der als scharfer Kritiker Erdogans gilt, nannte den türkischen Rechtsradikalismus „mit das Gefährlichste, was wir in der Republik haben, neben dem deutschen Rechtsradikalismus“. Er sprach von extrem gewaltbereiten Fanatikern. Deutschland müsse zeigen, „dass wir uns zu Recht wehrhafte Demokratie nennen.“
Özdemir warnte: Die Neuorganisation der Osmanen sei längst im Gange. „Das Verbot schafft die ja nicht aus der Welt.“Es brauche aber auch eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei in Deutschland, der Schweiz und Österreich.