Ausgespielt
Englische Computerspielindustrie erwartet starke Einschränkungen bei einem ungeordneten Austritt
LONDON (AFP) - Ob „Grand Theft Auto“oder „Lara Croft“– viele Videospiel-Blockbuster haben ihren Erfolg auch dem Beitrag britischer Studios zu verdanken. London ist eine Hochburg für Entwickler und Computerexperten, die die technischen Grenzen der 3-D-Welten neu austesten. Doch der nahende Brexit wühlt die Branche auf. Einige Unternehmen fürchten gar, dass es bald „Game Over“für sie heißen könnte.
„Die Spieleindustrie ist sehr verletzlich gegenüber dem Brexit“, sagt Branchenveteran Nick ButtonBrown in seinem mit Bildschirmen gepflasterten Londoner Start-up Payload Studios. „Ich konnte die besten Leute aus der gesamten EU anheuern und sie für meine Teams hierher holen“, sagt er. „Heute kann ich das nicht mehr machen.“
Sorgen machen ihm vor allem die höheren Hürden, die ein harter Brexit für den Umzug von Programmiertalenten auf die Insel bedeuten würde. Denn die Branche, allein in Großbritannien immerhin rund drei Milliarden Pfund (3,4 Milliarden Euro) schwer, tickt international.
Rund 1350 der 2261 britischen Computerspielfirmen beschäftigen mindestens einen Mitarbeiter, der aus dem Ausland kommt, oft aus der EU. Darauf angewiesen sind vor allem kleinere Unternehmen. Denn größere Firmen können die Anwer- bungskosten für Talente aus dem außereuropäischen Ausland leichter stemmen. Diese summieren sich etwa durch Visa- und Umzugskosten schnell auf mehrere Tausend Pfund.
Vincent Scheurer ist mit seiner mit 26 Mitarbeitern eher kleinen Firma in London in hohem Maße von EU-Talenten abhängig, die derzeit von der Arbeitnehmerfreizügigkeit profitieren. Er sieht in der Gefahr, bei einem ungeregelten Brexit quasi über Nacht auf einen großen Teil seines Bewerberpools verzichten zu müssen, ein „existenzielles Risiko“.
„Wir rekrutieren international“, sagt er. „Momentan kann jeder aus der EU zu uns kommen und für uns arbeiten, aber als kleines Unternehmen ist es für uns sehr hart, außerhalb der EU anzuwerben.“
In der Games-Branche herrscht ein Wettbewerb um die besten Köpfe, die Beschäftigten sind meist jung und mobil. Ihre Programmierfähigkeiten und ihr Gespür dafür, was Teenager rund um die Welt am Bildschirm erleben wollen, macht sie heißbegehrt – vom US-Technologiezentrum im Silicon Valley bis hin zu Start-ups in Berlin.
„Unsere Industrie ist mit den Produkten, die wir herstellen, den Menschen dahinter und den Spielern, die wir zusammenbringen, kulturell global“, sagt Tim Heaton vom Studio Creative Assembly. Ein harter Brexit ohne Abkommen mit der EU wäre seiner Einschätzung nach ein großes Hemmnis für die britische Rolle in dieser Welt. Maßnahmen, mit denen britische Studios vor den Folgen geschützt werden könnten, seien bisher nicht zu erkennen. Dabei stehen dem Videospielmarkt im Moment ohnehin große Veränderungen bevor: Der neue Mobilfunkstandard 5G soll lebensechte Spielewelten künftig in Sekundenbruchteilen auch auf mobile Geräte bringen. Doch hier birgt der ungewisse Brexit ebenfalls noch zahlreiche Unklarheiten – etwa darüber, unter welchen Umständen bei einem Austritt ohne Abkommen britische Dienste in EU-Staaten verfügbar sein würden.
Zumindest kreative Früchte trägt das Schreckgespenst Brexit allerdings: Entwickler Tim Constant hat sich zur Schöpfung eines dystopischen Spiels mit dem Namen „Not Tonight“inspirieren lassen, das das Bild eines abgekapselten und desillusionierten Englands zeigt. „Das ist definitiv therapeutisch“, sagt er. „Was sonst konnte ich machen?“