Grüne stellen beliebteste Spitzenpolitiker
Habeck vor Merkel, Kretschmann vor Strobl – Südwest-CDU liegt vier Prozentpunkte zurück
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STUTTGART - Der Aufschwung der Grünen hält an: Im Bund überholte Parteichef Robert Habeck Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als beliebtester Politiker, in BadenWürttemberg baut die Partei ihren Vorsprung auf den Regierungspartner CDU leicht aus. Das zeigen zwei Umfragen, die am Donnerstag veröffentlicht wurden: Habeck belegt im aktuellen ZDF-„Politbarometer“den ersten Platz auf der Liste der wichtigsten Politiker. Vor dem Festakt zu ihrem 40-jährigen Bestehen vermeldeten die Grünen zudem einen neuen Rekord: Laut „Rheinischer Post“zählt die Partei 77 777 Mitglieder, so viele wie nie zuvor.
Weiter politisch stärkste Kraft bleiben die Grünen in Baden-Württemberg. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage von Infratest dimap im Auftrag von SWR und „Stuttgarter Zeitung“hervor, für die 1000 Wahlberechtigte befragt wurden. Wenn am Sonntag Landtagswahlen wären, würden sich 32 Prozent der Wähler für die Grünen entscheiden, 28 Prozent für die CDU. Es folgen die SPD mit 12 Prozent, die AfD mit 11, die FDP mit 9 und die Linken mit 4 Prozent. Die Grünen gewinnen im Vergleich zur gleichen Umfrage im Herbst 2018 drei Punkte, die CDU stagniert. Die AfD verliert vier Prozentpunkte, Liberale und SPD gewinnen einen Punkt.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann bleibt ebenfalls populär. 72 Prozent der Befragten sind mit ihm zufrieden – so viel Zustimmung erhält kein anderer Ministerpräsident. 63 Prozent der Bürger würden ihn direkt wählen, 17 Prozent Innenminister Thomas Strobl (CDU). Mit der Arbeit der Grünen sind 54 Prozent zufrieden, mit jener von Koalitionspartner CDU 36 Prozent.
Dennoch äußerte sich Strobl zufrieden: „Die CDU steht absolut stabil.“Im Vergleich zur Landtagswahl 2016 habe man sich etwas verbessert. Damals landete die Union bei 27 Prozent. „Wir waren und sind in Schlagdistanz zu den Grünen – den Rest erledigen wir im Schlussspurt.“Die Parteichefs der Grünen sprachen von kräftigem Rückenwind: „Diesem Vertrauen wollen wir gerecht werden und weiter mit klarem Kompass die zentralen Zukunftsaufgaben anpacken.“
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STUTTGART - Das Wort „Koalitionskrise“hören weder Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) noch sein Stellvertreter Thomas Strobl (CDU) gerne. Dieser kontert Fragen mit Wettervergleichen von „reinigenden Gewittern“, Kretschmann spricht in Beziehungsmetaphern von normalen „Hochs und Tiefs“. Mag die Ehe auf Zeit zwischen Grünen und CDU noch nicht zerrüttet sein, so ist sie doch in einer Phase zermürbenden Streits. Woran das liegt und worum es geht.
Die Konfliktfelder
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Davon gibt es ziemlich viele. Der Streit um Dieselfahrverbote ist zwar auf Eis gelegt, bis im Sommer neue Messwerte kommen. Dafür debattieren Grüne und CDU derzeit heftig um die Klimaschutzziele (siehe Text unten). Außerdem diskutieren sie, wie weniger Pflanzenschutzmittel in die Natur gelangen. Besonders weit auseinander liegen die Parteien beim Polizeigesetz. Die CDU will der Polizei noch einmal mehr Befugnisse einräumen, die Grünen lehnen Gespräche darüber ab. In der Bildungspolitik geht es um die Bezahlung von Schulleitern und um Ganztagsschulen. Welche Vorschriften Bauherren einhalten müssen, diskutieren beide Seiten seit 2016. Arbeitszeiten entzweien, genau wie Lösungen für die Wohnungsnot.
Die Probleme der CDU
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Bleiben die alten. Kultusministerin Susanne Eisenmann und Justizminister Guido Wolf erreichen viel in ihren Ressorts, Agrarminister Peter Hauk punktet bei den Bauern. Innenminister Strobl agiert oft ungeschickt, sinkende Kriminalitätsraten und eines der schärfsten Polizeigesetze Deutschland stehen auf der Habenseite. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut erntet sogar von Grünen Lob für ihr Engagement um Zukunftsbranchen. Aber: Es reicht eben nicht, um an den Grünen vorbeizuziehen. Laut Umfrage von SWR und „Stuttgarter Zeitung“würden ihn 17 statt zuletzt 13 Prozent der Befragten direkt wählen, den Ministerpräsidenten Kretschmann aber noch 63 Prozent (statt zuvor 67). Und: 59 Prozent der Wähler sind unzufrieden mit der Arbeit der CDU. In der Partei gilt Ministerin Eisenmann vielen als bessere Spitzenkandidatin als Strobl. Der Machtkampf dürfte nach den Europa- und Kommunalwahlen im Mai offen ausbrechen.
Die Probleme der Grünen
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Sind ganz andere. Sie stehen wie eine Eins hinter ihrem Spitzenmann Kretschmann. Doch ein Plan B für die Zeit ohne ihn fehlt. Da mögen die grünen Minister solide arbeiten, ein ähnlich überzeugender Nachfolger ist nicht in Sicht. Sollte der Ministerpräsident seinen Abgang verkünden, muss aber rasch Ersatz her. Dann stellt sich die Frage, ob bei den Wählern aus der grünen Regierungszeit mehr haften bleibt als das Vertrauen in Kretschmann. Vor allem linke Abgeordnete fürchten ums grüne Profil, weil sie CDU-Projekte mittragen müssen. Noch hält Kretschmann sie im Zaum. Er selbst wirkt immer häufiger angeschlagen.
Die emotionale Ebene
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Ist ganz wichtig. Die CDU schmerzt es noch, dass sie sich weiter hinter den Grünen einreihen müssen. Alte Wunden aus internen Grabenkämpfen heilen beim einen langsam, bei anderen gar nicht. Das und Strobls Schwäche führen dazu, dass die CDU nicht geschlossen agiert. Außerdem fühlen sich die Christdemokraten als Juniorpartner oft als ebensolcher behandelt. Vor allem Minister Winfried Hermann (Grüne) zeigt gerne, was er von CDU-Vorstößen hält: wenig. So etwas kränkt. Dazu kommt die Angst, im Schatten des grünen Landesvaters zu verzwergen. Das verleitet zu Attacken auf die Grünen, um die konservative Seele zu trösten. Die Grünen wiederum fühlen sich von allen angegriffen. Vor allem die SPD, aber auch AfD und FDP attackieren sie scharf – wie die Opposition es eben tut. Nun schießt auch der eigene Regierungspartner scharf. Gegen den würde sich mancher Grüne gerne wehren, darf es aber aus Regierungsräson nicht. In Sachen Fahrverbote wird nicht wie bei anderen Fragen mit, sondern gegen die Grünen demonstriert. Das ist ungewohnt für eine Partei, die sich auf der hellen Seite der Macht verortet.
Neue Partner
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Gibt es, aber der Wechsel ist schwierig. Die Wähler möchten weiter Grün-Schwarz, das belegt die jüngste Umfrage. Alternativen bieten nur Dreierbündnisse, anderes geben die Stimmverhältnisse nicht her. Derzeit würde es für CDU/SPD/FDP reichen. Dafür müsste die CDU den beliebten Ministerpräsidenten stürzen, um in eine Regierung mit sehr knapper Mehrheit zu ziehen. Das ist riskant. Die Grünen könnten sich mit SPD und FDP zur Ampel zusammenfinden. Dazu müsste die Koalition aber erst einmal zerbrechen. So weit ist es – noch – nicht.