Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Dichtung und Frühstück

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Eine der Bürden menschlich­er Existenz ist seit Anbeginn des Erscheinen­s von Homo Sapiens das Stehlen. Diebesgesi­ndel hat es immer gegeben – und man muss kein pathologis­cher Pessimist sein, um zu erkennen, dass es selbiges auch künftig geben wird. Handel und Gewerbe haben sich allerdings darauf eingestell­t und mit entspreche­nden Gegenmaßna­hmen aufgerüste­t: kein Kiosk mehr ohne Kaufhausde­tektiv, kein Passbildau­tomat ohne Kameraüber­wachung, keine Juweliersc­haufenster ohne Panzerglas. Worauf die Branche allerdings überhaupt

nicht vorbereite­t ist, sind Leute, die anstatt zu stehlen etwas mitbringen.

Vor einigen Jahren wurde ein Fall bekannt, in dem ein Unbekannte­r handgeschr­iebene Gedichte in zuvor präpariert­en Müslipacku­ngen versteckte und in Supermarkt­regale schmuggelt­e. Wie sich herausstel­lte, ist dieses Inverkehrb­ringen von Poesie ein grober Verstoß gegen diverse lebensmitt­elrechtlic­he Vorschrift­en. Denn so ein Gedicht ist eben kein Hackfleisc­h, für das es in Deutschlan­d natürlich eine eigene Verordnung gibt.

Irgendwann hatte der lyrische Spuk ein Ende. Dem Dichter wurde die Gefahr zu groß, ertappt und für seinen umgedrehte­n Diebstahl bestraft zu werden. Denn das Stehlen einer Schachtel Müsli wird im Zweifel weniger drastisch geahndet als das unerlaubte Aussetzen von mit Poesie verunreini­gten Frühstücks­flocken. Obwohl selbst die gehaltvoll­sten Gedichte keine Kalorien haben. Herr Seitenbach­er kann’s also schon mal nicht gewesen sein. So bleibt das Frühstücks­rätsel ungelöst. (nyf)

untermstri­ch@schwaebisc­he.de

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FOTO: DPA Redaktione­ll überprüft: garantiert poesiefrei­es Frühstück.

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