Hitlers Geburtshaus
Braunau tut sich schwer mit dem ungeliebten Erbe
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BRAUNAU AM INN - Es ist fast schon vorbildlich, wie hier auf historische Bauten verwiesen wird. Schilder mit ausführlichen Texten erklären die beeindruckende spätgotische Pfarrkirche St. Stephan oder den Stadttorturm der oberösterreichischen 17 000-Seelen-Stadt. Sie bietet viel Idylle. Ihr Marktplatz mit der Barockbebauung lädt bei warmen Wetter zum Verweilen in Straßenrestaurants ein. Aber das ist nicht der Grund für Braunaus überregionale Prominenz: Der Bekanntheitsgrad ist Resultat einer simplen geschichtlichen Laune. Die nächste Erklärtafel am Marktplatz drückt dies aus: „... für die Aufarbeitung des schweren historischen Erbes, das der Stadt gewissermaßen durch einen historischen Zufall schicksalhaft erwachsen ist ...“Nämlich durch die Geburt Adolf Hitlers am 20. April 1889.
Dass ausgerechnet der größte Menschheitsverbrecher ein Sohn der Stadt ist, zählt definitiv nicht zu den Besonderheiten, die man sich wünscht. Der andauernde Streit um Hitlers Geburtshaus ist höchst ärgerlich für Bürger und Verwaltung. Weg mit dem Gemäuer im Straßenzug Salzburger Vorstadt? Ein Museum zur Dokumentation von NS-Verbrechen daraus machen? Mögliche andere Nutzungen? Aktuell scheint es einen groben Plan zu geben: „Die künftige Nachnutzung des Objekts ist durch die Lebenshilfe Oberösterreich, deren Schwerpunkt die Arbeit mit beeinträchtigten Mitmenschen ist, vorgesehen“, sagt Bürgermeister Johannes Waidbacher von der konservativen ÖVP.
Ob es wirklich so kommt, ob noch eine Gedenkstätte hinzugefügt wird, ist noch unklar. Fakt ist im Moment: Das wegen seiner historischen Bausubstanz denkmalgeschützte Haus steht seit acht Jahren leer. Mehr noch: Es vergammelt. Die
Scheiben sind blind. An der Außenwand verblasst der gelbliche Anstrich. Schimmelartige, schwärzliche Schlieren am Gemäuer lassen auf Feuchtigkeitsschäden schließen.
„Sollen sie doch ein Café reinmachen – mit dem Namen Zum kleinen Braunen, versucht sich zur Mittagszeit ein Bier trinkender Herr an einem geschmacklosen Wortspiel zwischen der österreichischen Kaffeespezialität und der Parteifarbe der Nazis. Er sitzt schräg im verqualmten Vorstadtimbiss, der wiederum schräg gegenüber dem Hitlerhaus
liegt. Wenigstens kapiert der Zecher rasch seinen Fehltritt und korrigiert sich: „Naja, ein Museum über die Nazis wäre schon gut.“Eine neben ihm am Tresen stehende Frau verlangt „endlich eine Entscheidung“. Andere in der Kneipe bringen zum Ausdruck, dass sie die ewige Diskussion nicht mehr hören können. „Eigentlich interessiert das doch nur noch Auswärtige“, glaubt man dort.
Auch anderswo in Braunau zeigen sich Einheimische bei Fragen nach dem Geburtshaus ziemlich genervt – weshalb auch keiner seinen Namen in der Zeitung sehen will. Oft hört man den Hinweis, Hitler habe gerade mal drei Jahre hier gelebt. Das ist richtig. Sein Vater war Zollbeamter der österreichisch-ungarischen Monarchie. Eine Versetzung hatte ihn an die InnGrenze zu Bayern verschlagen. Als Unterkunft der Familie diente anfangs eine Mietwohnung in besagtem Gebäude, seinerzeit ein Wirtshaus. Bereits drei Jahre nach der Geburt des späteren Diktators wurde der Vater erneut versetzt. Es folgte ein Umzug ins rund 60 Kilometer weiter nördlich gelegene Passau. „Dann war er weg. Wir wollen nicht immer auf diesen Menschen reduziert werden“, heißt es immer wieder auf den Straßen.
Allerdings ist es offenbar schon so, dass Touristen meist nur wegen Hitler nach Braunau kommen, wie
„Wir wollen nicht immer auf diesen Menschen reduziert werden.“Vielgeäußerter Wunsch in der Bevölkerung Braunaus
etwa in der Redaktion der örtlichen Zeitung bestätigt wird. Gäste mit brauner Gesinnung seien dies jedoch üblicherweise nicht. Das ist auch Bürgermeister Waidbacher wichtig: „Einen Nazi-Tourismus gibt es in der Stadt nicht.“Einschlägige Schmierereien sind jedenfalls nirgends zu sehen – nicht einmal im Umfeld des Geburtshauses.
Unliebsame Besucher am 20. April
Es war aber auch schon mal anders. Ältere Bürger erinnern sich an das Auftauchen brauner Kameraden bis in die 1980er-Jahre hinein – speziell zum 20. April, Hitlers Geburtstag. Selbst Straßenschlachten mit linken Protestlern soll es gegeben haben. Heutige Hitlerhaus-Interessenten werden hingegen eher als eine Art Gruseltouristen beschrieben – wie sie auch vom Nürnberger Reichsparteitagsgelände oder Hitlers Gelände auf dem Berchtesgadener Obersalzberg bekannt sind. Motto: Einmal mit dem Bösen in Berührung kommen. Die Betreiberin einer Eisdiele neben dem Geburtshaus berichtet, die Leute würden eher verschämt vor das Gebäude schleichen. In der Tat: Während sie dies sagt, ist durch die Schaufensterscheibe ein beleibter Herr zu sehen, der rasch fotografiert, sich kurz umsieht und dann möglichst unauffällig entschwindet.
Das runtergekommene Geburtshaus ist recht einfach zu finden. Man braucht nur die Augen offen zu halten. Sie bleiben an einem großen Granitquader hängen. Er liegt auf dem Trottoir vor dem Haus und stammt aus dem KZ Mauthausen.
Auf der Vorderseite steht: „Für Frieden, Freiheit und Demokratie. Nie wieder Faschismus. Millionen Tote mahnen.“Die Stadt hat den Klotz schon 1989 dort platziert. Jährlich gibt es Anfang Mai an dieser Stelle eine Gedenkstunde für die Opfer von Krieg und NS-Diktatur. Dies soll auch ein Zeichen dafür sein, dass das unheimliche Erbe nicht verheimlicht wird – und dass sich Braunau gegen eine mögliche Vereinnahmung des Objektes durch Nazis stemmt. Eine Angst, die ständig präsent ist.
Als Braunau-Besucher drängt sich einem natürlich die Frage auf, warum nicht schon längst etwas gegen einen möglichen Missbrauch des Geburtshauses getan wurde. Ein weiteres schwieriges Thema. Bis 1938 blieb das Gebäude ein privates Wirtshaus. Nach dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich erwarb es die NSDAP. Sie machte ein braunes Kulturzentrum daraus – passend zum damaligen Zeitgeist in Braunau. Bis 1945 galt Hitler als großer Sohn der Stadt. Danach gab es kurzzeitig im Haus eine von der US-Besatzungsmacht initiierte Ausstellung über Konzentrationslager. 1952 erfolgte die Rückgabe an die Vorkriegsbesitzer.
Es folgten Nutzungen als Stadtbücherei, als Bank, als Schule und zuletzt bis 2011 als Niederlassung der Lebenshilfe Oberösterreich, jenem Sozialverein, der nun eventuell ins Haus zurückkehrt. Die ganzen Jahre über war das Gebäude aber in Privatbesitz. Die anderswo zurückgezogen lebende Eigentümerin Gerlinde Pommer verweigerte bauliche Veränderungen – auch solche, die das Haus behindertengerecht gemacht hätten. Dies war der Grund, weshalb die Lebenshilfe auszog. Einen Verkauf schloss die inzwischen im achten Lebensjahrzehnt stehende Pommer ebenso aus. Daraufhin wurde die österreichische Bundespolitik aktiv. Im Juni 2016 forderte der damalige Innenminister Wolfgang Sobotka von der ÖVP den Abriss des Gebäudes.
Damit den Worten Taten folgen konnten, bedurfte es aber einer Enteignung der Besitzerin. Dieser Prozess wurde vorangetrieben. Ende 2016 verabschiedete das österreichische Parlament extra ein Gesetz, um das Hitlerhaus in Bundesbesitz zu bekommen – sinnigerweise ein Vorgang, der ebensowenig abgeschlossen ist wie die Planungen für die Zukunft des Gebäudes. Zum einen läuft noch eine Beschwerde Pommers am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die Enteignung, zum anderen streitet sie um die Höhe der Entschädigung. Zuerst sollte die Frau vom Staat 310 000 Euro bekommen. In Anbetracht des örtlichen Immobilienbooms zu wenig, stellten Gutachter
„Irgendwo anders wieder aufbauen – am besten weit weg. Dann ist endlich Ruhe.“Frommer Wunsch einer Verkäuferin in einer Braunauer Bäckerei
fest. 1,5 Millionen Euro seien möglich – eine Summe, die Pommer nun einfordert. Sie klagt sich durch die Instanzen. Von Journalisten ist die Frau nicht zu erreichen. Stellvertretend sagt ihr Anwalt Gerhard Lebitsch zu den juristischen Scharmützeln: „Ein Schluss ist derzeit nicht absehbar.“
Architektenwettbewerb geplant
Dasselbe gilt für die bauliche Zukunft des Geburtshauses. Florian Kotanko, Obmann des örtlichen Vereins für Zeitgeschichte, meint: „Der Ball liegt bei der Politik.“Sie lasse sich aber nicht in die Karten schauen. Der Verein fordert indes „im oder vor dem Haus“Platz für eine historische Einordnung des Gebäudes. Dies scheint aber vorerst nur ein frommer Wunsch zu sein. Ein Architektenwettbewerb wird vorbereitet, in welche Richtung es gehen soll, ist zumindest öffentlich nicht bekannt. Ziehe die Lebenshilfe wieder in das Haus, erklärt Kotanko, müsse es behindertengerecht umgebaut werden. Des Weiteren gab es auch schon Überlegungen, die Bausubstanz gestalterisch komplett zu verändern. Das historische Bild des Gebäudes sollte so verwischt werden.
Wie lokalen Presseveröffentlichungen zu entnehmen ist, scheint gegenwärtig einzig ein kompletter Abriss vom Tisch zu sein. Im Bäckereiladen gegenüber des Hitlerschen Geburtshauses hat eine Verkäuferin ihre eigene Lösung: „Abbauen und irgendwo anders in einem Freilichtmuseum wieder aufbauen – am besten weit weg. Dann ist endlich Ruhe.“