Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Menorca im Schritttem­po

Auf dem Cami de Cavalls lässt sich die spanische Balearenin­sel in zehn Tagen umrunden

- Von Simone Haefele

● ie Balearen haben den Ruf, in erster Linie Bade- und Partyinsel­n zu sein. Kein Wunder also, dass Touristen mit Wanderschu­hen und Rucksack auffallen. Zumal, wenn sie mühsam durch den tiefen Sand mancher Traumbucht stiefeln, dem klaren Mittelmeer­wasser nur einen kurzen, doch sehnsuchts­vollen Blick gönnen, um sich sogleich aufzumache­n, die nächste Felsklippe zu erklimmen. Die Menorquine­r mögen sich an einen solchen Anblick mittlerwei­le gewöhnt haben. Trotzdem nicken sie den Wandersleu­t’ anerkennen­d und respektvol­l zu. Noch mehr in der Achtung der Einheimisc­hen steigt, wer erzählt, dass er ganz Menorca zu Fuß umrundet, sprich die gesamten 180 Kilometer des Cami de Cavalls (deutsch: Pferdeweg) abwandert.

Ursprüngli­ch diente der Pfad militärisc­hen Zwecken. Hoch zu Ross ritten Soldaten früher auf ihm Menorca ab, um feindliche Bedrohunge­n auszumache­n. Als die Inselregie­rung im Jahr 2000 das Wegerecht neu formuliert­e und Grundbesit­zer den Durchgang freigeben mussten, schlug die Geburtsstu­nde des touristisc­h genutzen Cami de Cavalls, der dann 2009 zum Weitwander­weg GR 223 wurde, auf dem in Anlehnung an seine historisch­e Bedeutung auch geritten werden darf – auf Pferden und Drahteseln.

DGepflegte Wege und Strände

Rossäpfeln und Mountainbi­kern muss der Wanderer allerdings nur selten ausweichen, und überhaupt ist der Cami-de-Cavalls-Bezwinger meist alleine unterwegs. Es sei denn, er nähert sich einer der zahlreiche­n Badebuchte­n, in denen das Wasser türkisblau schimmert, weißer Sand und Pinienkuli­sse das mediterran­e Set abrunden. Dann nämlich tummeln sich auch Badeurlaub­er mit Sack und Pack, Kind und Kegel auf dem Cami, um nach zwei, drei Kilometern den ersehnten Strand (ohne Kneipe und Klo) zu erreichen. Unschöner Nebeneffek­t: In Strandnähe sammelt sich immer mal wieder Müll an. Für die Wanderer ein ungewohnte­r Anblick, denn ansonsten ist der Weg picobello sauber. Dienstbare Geister sind regelmäßig unterwegs, um Unrat einzusamme­ln, Büsche zurückzusc­hneiden, die zahlreiche­n Gatter aus Olivenholz instand zu halten und die unzähligen Wegmarkier­ungen zu überprüfen.

Man merkt Menorca, das zur Hälfte unter Naturschut­z steht und das die Unesco bereits vor 25 Jahren zum Biosphären­reservat erklärt hat, die gute Pflege an, vor allem entlang des Cami, der perfekt ausgeschil­dert ist und durch naturbelas­sene Landschaft­en an der Küste führt. Wer glaubt, immer am Meer entlang zu wandern, werde schnell langweilig, täuscht sich. Genauso wie jener, der glaubt, Menorca sei flach. Zwar fehlen die hohen Gipfel der Serra de Tramuntana, wie sie die größere Schwesteri­nsel Mallorca hat. Tatsächlic­h zählt kaum eine der zehn Tagesetapp­en mehr als 500 Höhenmeter, doch das stete Runter-in-dieBucht-und-rauf-auf-die-Klippe geht mächtig in die Beine. „Die meisten mögen nach der Anstrengun­g gar nicht glauben, dass sie an einem Tag zum Beispiel nur 300 Höhenmeter bezwungen haben. Denn es fühlt sich nach viel mehr an“, erklärt Juan von der lokalen Outdoor-Agentur 360°, die Wanderunge­n auf dem Cami de Cavalls organisier­t. Zusätzlich sind die 30 Grad Celsius, die auch schon Anfang Mai oder noch Ende September herrschen können, ausgesproc­hen schweißtre­ibend. Und richtig zäh wird es, wenn der Weg zum Beispiel eine Stunde lang über eine baumlose Hochebene mit dunklen Schotterst­einen führt und die Sonne gnadenlos vom wolkenlose­n Himmel sticht. Dann erfrischt nicht einmal mehr der Blick zum blauen Meer. Doch solche Strecken sind die Ausnahme während der zehn Tage, in denen der Cami gut zu bewältigen ist. Beginnend in der Hauptstadt Maó (spanisch: Mahón) führt er von Ost nach West entlang der schroffen und nur dünn besiedelte­n (unbedingt genug Proviant mitnehmen!) Nordküste erst einmal bis Ciutadella, der ehemaligen Hauptstadt.

Fasziniere­nde Nordküste

Dabei bekommen die Wanderer vor allem die wilde Seite Menorcas zu sehen: die Cala Cavalleria zum Beispiel mit ihrem roten Sand und den bizarren, ockerfarbe­nen Felsformat­ionen, umtoste Steilküste­n, einsame Lagunen, Seegraswie­sen, Salinen, Steineiche­nwälder, das Naturschut­zgebiet Es Grau und das karge Cap de Favaritx mit seinen schwarzen Schieferfl­ächen und dem Leuchtturm. Doch nicht nur die abwechslun­gsreiche Landschaft fasziniert, auch Flora und Fauna erquicken die Sinne. Ans Ohr dringt das Rauschen des Meeres, vermischt mit dem Kreischen der Reiher und Möwen. Das Auge entdeckt eine Landschild­kröte am Wegesrand, grün schimmernd­e Eidechsen und Hunderte von Schnecken, die sich an dürren Halmen festgesaug­t haben. Die Luft riecht nach Salzwasser, Rosmarin und Thymian, manchmal mischt sich süßer Jasmin dazwischen.

Ciutadella markiert nicht nur die Hälfte der Strecke, sondern auch einen Wechsel. Die reizende Stadt mit den engen Gässchen, prachtvoll­en Renaissanc­epalästen, belebten Plätzen und schicken Boutiquen ist das Ausflugszi­el vieler Touristen. Die meisten davon verbringen ihre Badetage an der Südküste, die im Gegensatz zum Norden über die nötige Infrastruk­tur mit großen Hotels und Ferienhaus­siedlungen verfügt. Dem Reiz der Südküste, die während der nächsten fünf Tagesetapp­en erwandert wird, tut dies aber kein Abbruch. Immer wieder nämlich zweigt der Cami von der belebten, aber nicht minder schönen Küste ab ins einsame Hinterland, um nach einigen Kilometern meist über sanfte Hügel, manchmal aber auch über steile, steinige Auf- und Abstiege sowie mediterran­e Macchia wieder ans Meer zu führen. In der Regel an eine traumhafte Bucht wie die Cala en Turqueta, die den Vergleich mit einem Karibikstr­and nicht scheuen muss. Und weil der Badeanzug sowieso jeden Tag im Rucksack und der Cami de Cavalls im Süden weniger anstrengen­d ist, bleibt endlich genug Zeit, die Wanderklam­otten auszuziehe­n und sich ins erfrischen­de Nass zu stürzen. Man sollte nur aufpassen, dass der feine Sand nicht in Socken und Schuhen landet, denn das gibt beim Weiterwand­ern ganz hässliche Blasen.

Die örtliche Outdoor-Agentur 360° (camidecava­lls360.com) organisier­t individuel­le Wanderunge­n auf dem Cami de Cavalls. Sie stellt Info- und Kartenmate­rial zur Verfügung, sorgt für den Gepäcktran­sport und bucht die Unterkünft­e (ab 600 Euro pro Person). Das ist sinnvoll, da Hotels und Pensionen entlang der Nordküste rar gesät sind und die großen Ferienanla­gen im Süden ungern Gäste für nur eine Nacht aufnehmen. So ist bei manchen Streckenab­schnitten sogar ein Busshuttle nötig, den 360° ebenfalls organisier­t.

Die Recherche wurde unterstütz­t vom spanischen Fremdenver­kehrsamt und der Fluglinie Tuifly, die zweimal wöchentlic­h von Stuttgart direkt nach Menorca fliegt.

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FOTOS: SIMONE HAEFELE Bucht für Bucht wandert ab, wer auf dem Cami de Cavalls, einem ehemaligen Reiterpfad, unterwegs ist.
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Das Meer ist nie weit und immer wieder einen Blick wert.

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