Menorca im Schritttempo
Auf dem Cami de Cavalls lässt sich die spanische Baleareninsel in zehn Tagen umrunden
● ie Balearen haben den Ruf, in erster Linie Bade- und Partyinseln zu sein. Kein Wunder also, dass Touristen mit Wanderschuhen und Rucksack auffallen. Zumal, wenn sie mühsam durch den tiefen Sand mancher Traumbucht stiefeln, dem klaren Mittelmeerwasser nur einen kurzen, doch sehnsuchtsvollen Blick gönnen, um sich sogleich aufzumachen, die nächste Felsklippe zu erklimmen. Die Menorquiner mögen sich an einen solchen Anblick mittlerweile gewöhnt haben. Trotzdem nicken sie den Wandersleut’ anerkennend und respektvoll zu. Noch mehr in der Achtung der Einheimischen steigt, wer erzählt, dass er ganz Menorca zu Fuß umrundet, sprich die gesamten 180 Kilometer des Cami de Cavalls (deutsch: Pferdeweg) abwandert.
Ursprünglich diente der Pfad militärischen Zwecken. Hoch zu Ross ritten Soldaten früher auf ihm Menorca ab, um feindliche Bedrohungen auszumachen. Als die Inselregierung im Jahr 2000 das Wegerecht neu formulierte und Grundbesitzer den Durchgang freigeben mussten, schlug die Geburtsstunde des touristisch genutzen Cami de Cavalls, der dann 2009 zum Weitwanderweg GR 223 wurde, auf dem in Anlehnung an seine historische Bedeutung auch geritten werden darf – auf Pferden und Drahteseln.
DGepflegte Wege und Strände
Rossäpfeln und Mountainbikern muss der Wanderer allerdings nur selten ausweichen, und überhaupt ist der Cami-de-Cavalls-Bezwinger meist alleine unterwegs. Es sei denn, er nähert sich einer der zahlreichen Badebuchten, in denen das Wasser türkisblau schimmert, weißer Sand und Pinienkulisse das mediterrane Set abrunden. Dann nämlich tummeln sich auch Badeurlauber mit Sack und Pack, Kind und Kegel auf dem Cami, um nach zwei, drei Kilometern den ersehnten Strand (ohne Kneipe und Klo) zu erreichen. Unschöner Nebeneffekt: In Strandnähe sammelt sich immer mal wieder Müll an. Für die Wanderer ein ungewohnter Anblick, denn ansonsten ist der Weg picobello sauber. Dienstbare Geister sind regelmäßig unterwegs, um Unrat einzusammeln, Büsche zurückzuschneiden, die zahlreichen Gatter aus Olivenholz instand zu halten und die unzähligen Wegmarkierungen zu überprüfen.
Man merkt Menorca, das zur Hälfte unter Naturschutz steht und das die Unesco bereits vor 25 Jahren zum Biosphärenreservat erklärt hat, die gute Pflege an, vor allem entlang des Cami, der perfekt ausgeschildert ist und durch naturbelassene Landschaften an der Küste führt. Wer glaubt, immer am Meer entlang zu wandern, werde schnell langweilig, täuscht sich. Genauso wie jener, der glaubt, Menorca sei flach. Zwar fehlen die hohen Gipfel der Serra de Tramuntana, wie sie die größere Schwesterinsel Mallorca hat. Tatsächlich zählt kaum eine der zehn Tagesetappen mehr als 500 Höhenmeter, doch das stete Runter-in-dieBucht-und-rauf-auf-die-Klippe geht mächtig in die Beine. „Die meisten mögen nach der Anstrengung gar nicht glauben, dass sie an einem Tag zum Beispiel nur 300 Höhenmeter bezwungen haben. Denn es fühlt sich nach viel mehr an“, erklärt Juan von der lokalen Outdoor-Agentur 360°, die Wanderungen auf dem Cami de Cavalls organisiert. Zusätzlich sind die 30 Grad Celsius, die auch schon Anfang Mai oder noch Ende September herrschen können, ausgesprochen schweißtreibend. Und richtig zäh wird es, wenn der Weg zum Beispiel eine Stunde lang über eine baumlose Hochebene mit dunklen Schottersteinen führt und die Sonne gnadenlos vom wolkenlosen Himmel sticht. Dann erfrischt nicht einmal mehr der Blick zum blauen Meer. Doch solche Strecken sind die Ausnahme während der zehn Tage, in denen der Cami gut zu bewältigen ist. Beginnend in der Hauptstadt Maó (spanisch: Mahón) führt er von Ost nach West entlang der schroffen und nur dünn besiedelten (unbedingt genug Proviant mitnehmen!) Nordküste erst einmal bis Ciutadella, der ehemaligen Hauptstadt.
Faszinierende Nordküste
Dabei bekommen die Wanderer vor allem die wilde Seite Menorcas zu sehen: die Cala Cavalleria zum Beispiel mit ihrem roten Sand und den bizarren, ockerfarbenen Felsformationen, umtoste Steilküsten, einsame Lagunen, Seegraswiesen, Salinen, Steineichenwälder, das Naturschutzgebiet Es Grau und das karge Cap de Favaritx mit seinen schwarzen Schieferflächen und dem Leuchtturm. Doch nicht nur die abwechslungsreiche Landschaft fasziniert, auch Flora und Fauna erquicken die Sinne. Ans Ohr dringt das Rauschen des Meeres, vermischt mit dem Kreischen der Reiher und Möwen. Das Auge entdeckt eine Landschildkröte am Wegesrand, grün schimmernde Eidechsen und Hunderte von Schnecken, die sich an dürren Halmen festgesaugt haben. Die Luft riecht nach Salzwasser, Rosmarin und Thymian, manchmal mischt sich süßer Jasmin dazwischen.
Ciutadella markiert nicht nur die Hälfte der Strecke, sondern auch einen Wechsel. Die reizende Stadt mit den engen Gässchen, prachtvollen Renaissancepalästen, belebten Plätzen und schicken Boutiquen ist das Ausflugsziel vieler Touristen. Die meisten davon verbringen ihre Badetage an der Südküste, die im Gegensatz zum Norden über die nötige Infrastruktur mit großen Hotels und Ferienhaussiedlungen verfügt. Dem Reiz der Südküste, die während der nächsten fünf Tagesetappen erwandert wird, tut dies aber kein Abbruch. Immer wieder nämlich zweigt der Cami von der belebten, aber nicht minder schönen Küste ab ins einsame Hinterland, um nach einigen Kilometern meist über sanfte Hügel, manchmal aber auch über steile, steinige Auf- und Abstiege sowie mediterrane Macchia wieder ans Meer zu führen. In der Regel an eine traumhafte Bucht wie die Cala en Turqueta, die den Vergleich mit einem Karibikstrand nicht scheuen muss. Und weil der Badeanzug sowieso jeden Tag im Rucksack und der Cami de Cavalls im Süden weniger anstrengend ist, bleibt endlich genug Zeit, die Wanderklamotten auszuziehen und sich ins erfrischende Nass zu stürzen. Man sollte nur aufpassen, dass der feine Sand nicht in Socken und Schuhen landet, denn das gibt beim Weiterwandern ganz hässliche Blasen.
Die örtliche Outdoor-Agentur 360° (camidecavalls360.com) organisiert individuelle Wanderungen auf dem Cami de Cavalls. Sie stellt Info- und Kartenmaterial zur Verfügung, sorgt für den Gepäcktransport und bucht die Unterkünfte (ab 600 Euro pro Person). Das ist sinnvoll, da Hotels und Pensionen entlang der Nordküste rar gesät sind und die großen Ferienanlagen im Süden ungern Gäste für nur eine Nacht aufnehmen. So ist bei manchen Streckenabschnitten sogar ein Busshuttle nötig, den 360° ebenfalls organisiert.
Die Recherche wurde unterstützt vom spanischen Fremdenverkehrsamt und der Fluglinie Tuifly, die zweimal wöchentlich von Stuttgart direkt nach Menorca fliegt.