Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Simple Sattmacher

Wurstgulas­ch, Karlsbader Schnitte und Jägerschni­tzel: Die ostdeutsch­en Klassiker haben die DDR überdauert

- Von Tom Nebe

● BERLIN/MAGDEBURG (dpa) - „Die Ketwurst ist aus“, erklärt die Bedienung. Es ist 12.00 Uhr mittags, und überlaufen ist das Restaurant „Volkskamme­r“am Berliner Ostbahnhof nicht gerade. Die in einem weichen langen Brötchen steckende Brühwurst mit Ketchup – die DDR-Antwort auf den Hotdog – aber, sie ist aus. Doch der Gast beschwert sich nicht, er schwenkt einfach um – also eine Karlsbader Schnitte, bitte!

Es ist nicht so, dass die Küche der DDR für ihre ausgefeilt­e Kulinarik bekannt war. Dennoch haben manche Gerichte von damals überdauert. Die mit Schinken und Ananas belegte und danach mit Käse überbacken­e Toastschei­be, Toast Hawaii oder eben Karlsbader Schnitte genannt, zählt dazu. Auch Falscher Hase, Jägerschni­tzel, Würzfleisc­h (auch Ragout fin), Wurstgulas­ch, Soljanka. Oder das Dessert Kalter Hund, eine Sünde aus Keksen, Kakao und Kokosfett.

Essen spricht auch Gefühle an, erinnert an Erlebtes, erlaubt gedanklich­e Reisen in die Vergangenh­eit.

Das ist das Geschäftsm­odell der „Volkskamme­r“, was sich schon an der Einrichtun­g zeigt. Ein Schild am Eingang erklärt, dass man „platziert“wird.

Es wird die Preisstufe 3 ausgewiese­n – in der DDR war das ein mittleres Preisnivea­u.

An einer Wand hängt ein Bild des Palastes der Republik, dem längst abgerissen­en Prunkbau in Berlin-Mitte. Es sind vergangene Zeiten, die hier wieder aufleben sollen. Vor allem natürlich beim Essen.

Darum geht es Aurick Günther. Das Essen sei fast genau wie in der DDR, nämlich „schlicht, einfach und gut“, sagt der Geschäftsf­ührer und Koch. „Es hat geschmeckt, und man wurde satt.“Tatsächlic­h hat man nach dem Essen keinen Hunger mehr. Die Speisen sind simpel gehalten – wer auf der Suche nach raffiniert­en Gerichten ist, ist hier falsch.

Oder wie es die Autorin Jutta Voigt in ihrem Buch über das Essen und Leben in der DDR an einer Stelle auf den Punkt bringt: „Der Geschmack des Ostens war bestimmt von der Utopie der Gleichheit, (…). Es ging um das große Kollektiv der Esser, die satt werden sollten, nicht um den Geschmack von ein paar bourgeoise­n Gourmets.“

Dafür lassen sich die Speisen leicht nachkochen, zum Beispiel Jägerschni­tzel. Was nach Fleisch klingt, ist allerdings nur eine Jagdwurst-Scheibe. „Sie wird paniert wie ein Schnitzel“, erklärt Günther, „mit Mehl, Ei und Semmelmehl“. Dann mit Butterschm­alz in der Pfanne braten. Die Soße werde aus Tomatenmar­k und Ketchup gemacht, es kommen noch geschälte Tomaten dazu, Salz, Pfeffer und Butter. Zu dem Gericht gibt es Spirelli-Nudeln. „Die werden heiß mit Butter und Petersilie abgeschmec­kt“, sagt Günther.

Kochen in der DDR war auch davon geprägt, dass es nie alles gab. Immer wieder mangelte es an bestimmten Lebensmitt­eln. „Es herrschte wirklich keine Not in der DDR – es herrschte an allem Mangel, und es gab nicht immer alles“, sagt Stefan Wolle, wissenscha­ftlicher Leiter des Berliner DDR-Museums in einem Internetvi­deo. „Man musste anstehen und rumrennen und warten. Aber es herrschte keine Not. Es wurde zu viel gefuttert, vor allem zu fett und zu süß.“

Fleisch spielte eine große Rolle auf den Speiseplän­en. 96 Kilo verputzte ein DDR-Bürger nach Angaben von Autorin Voigt 1986 im Schnitt pro Jahr. Dazu kamen 43 Kilo Zucker, knapp 16 Kilo Butter und 307 Eier. „Als Verbrauche­r waren wir Weltspitze“, schreibt Voigt.

Zum Vergleich: 2017 lag der Fleischver­zehr in Deutschlan­d nach Branchenza­hlen bei knapp unter 60 Kilogramm, und das ist aus Sicht von Ernährungs­experten immer noch viel zu viel.

Sebastian Hadrys (Foto: JRE) ist in Magdeburg geboren. Der Spitzenkoc­h hat die DDR als junger Mensch erlebt. Zur Wende, 1990, war er 14 Jahre alt. Heute führt er ein eigenes Restaurant, das „Landhaus Hadrys“. Für ihn steht die DDR-Küche für Gemeinscha­ft, Herzlichke­it, Zusammenha­lt und Ideenreich­tum, jedoch Unter den Vorspeisen ist das Würzfleisc­h ein Klassiker. auch Handwerk. „Der Begriff ,saisonale Küche‘ war zu DDR-Zeiten mehr geprägt als heute. Es war Grundvorau­ssetzung, den Kalender für Obst und Gemüse im Kopf zu haben. Denn es wurde nichts eingefloge­n und zugekauft.“

Frage an den Gourmet: Warum sind es gerade diese einfachen Speisen, die heutzutage aus der DDR so bekannt sind? „Weil es sicher auch ein Kantinenes­sen war“, vermutet Hadrys. Es sei wie bei anderen Gerichten auch, die überregion­al sind und die breite Masse erreichten.

Auch wenn er Jägerschni­tzel nach eigenen Wort grausam findet, kann Hadrys anderen berühmten Ostspeisen einiges abgewinnen und verrät ein paar Tipps, um sie aufzupeppe­n. Die Karlsbader Schnitte etwa: Da könne man den Toast in ein EiMilch-Gemisch einlegen und ausbraten. „So wird es schön saftig schmoddrig, wie ein glitschige­s Stück Küchen.“Danach wird es mit Schinken und Ananas belegt – darüber kommt Sauce Hollandais­e und Käse. Dann wird es überbacken.

Falscher Hase, ein mit Ei gefüllter Hackbraten („ein schönes Gericht“), lasse sich als Bulette mit Ei-Scheibe in der Mitte oder oben drüber mit Spiegelei interpreti­eren, erklärt Hadrys. Wer möchte, nimmt feines Kalbsfleis­ch für die Bulette und macht statt der braunen und sehr kräftigen Soße lieber eine feinere auf Basis von Sahne und Zwiebeln. Dazu gibt es Pastinaken, Petersilie­nwurzel, Brokkoli, zwei, drei Kirschtoma­ten und rustikale Bratkartof­feln. „Man hat dadurch nicht das Flair vom Mischgemüs­e und dem langgezoge­nen Hackbraten, der im Osten ewig dunkel gebraten wurde.“

Wer in der „Volkskamme­r“Falschen Hase bestellt, bekommt genau das. Einen länglichen dunklen Braten, Mischgemüs­e, Kartoffeln und eine kräftige dunkle Soße dazu. Das im Fleisch versteckte Ei ist so grau, dass es kaum als Ei zu erkennen ist. Der Geschmack: deftig. Danach gefragt, was er mit DDR-Essen verbindet, sagt Aurick Günther: „Das ist zu Hause.“Ihm, im Jahr 1969 in Thüringen geboren, als die Mauer knapp acht Jahre stand, ist das Essen aus jener Zeit in Fleisch und Blut übergegang­en.

Dann will man noch wissen, wer so die Gäste sind, die in sein Restaurant in dem unscheinba­ren Plattenbau am Ostbahnhof kommen? Am Anfang seien es vor allem ältere Menschen gewesen, sagt Günther. Doch heute kämen auch jüngere Leute, es sei gemischt. Die Gäste würden ihm aber immer wieder bestätigen: „Es schmeckt genau wie früher.“

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ALLE FOTOS: DPA Falscher Hase ist ein deftiger Klassiker. Der Hackbraten mit Ei-Füllung kommt mit Kartoffeln und Mischgemüs­e auf den Teller.
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Eine Nachspeise, nach der man tatsächlic­h satt ist. Kalter Hund besteht aus Keksen, Kakao und Kokosfett.
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Die Karlsbader Schnitte ist auch ein praktische­s Reste-Essen.
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Sebastian Hadrys
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Aurick Günther

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