Ein Paragraf gegen Raser-Wahnsinn auf den Straßen
Die Ulmer Staatsanwaltschaft hält die neue Regelung gegen illegale Autorennen für wirksam
● ULM - Fast jedes Wochenende ist es in Ulm zu beobachten: Junge Männer in aufgemotzten Autos fahren mit quietschenden Reifen im Dreieck Olgastraße, Neue Straße und Frauenstraße. „Hier zeigen sich die Herrschaften gerne“, sagt Michael Bischofberger, der Pressesprecher der Ulmer Staatsanwaltschaft. Ende August vergangenen Jahres etwa habe in der Olgastraße – direkt vor einer Ampel bei der Staatsanwaltschaft – ein junger Audi-Fahrer in wenigen Sekunden von Null auf 96 Sachen beschleunigt. Der Audi rammte einen VW frontal, der durch den Aufprall in die entgegengesetzte Richtung gedreht und knapp am Fahrleitungsmast der Straßenbahn vorbei über 30 Meter weit in eine Tankstelle hinein geschleudert wurde. Bestraft wurde der Mann nach neuen Bestimmung im Strafgesetzbuch, die es ermöglichen illegale Autorennen härter als bisher zu ahnden.
Für so ein „illegales Autorennen“könne auch ein Einzelraser zur Rechenschaft gezogen werden, der quasi gegen die Uhr ein Rennen fährt. Mehrfach habe die Ulmer Staatsanwaltschaft den neuen Paragraf 315 d angewandt, der nun seit über einem Jahr in Kraft ist. Statt Bußgeld und einem Monat Fahrverbot drohen jetzt die Entziehung der Fahrerlaubnis, hohe Geldstrafen und eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren.
Und offensichtlich ist es mit der Raserei schon besser geworden, so der leitende Oberstaatsanwalt Christof Lehr bei der Jahrespressekonferenz der Staatsanwaltschaft Ulm. „Er hat eine hohe präventive Wirkung.“Doch Vergleichszahlen gebe es nicht, schließlich schlugen vor der Einführung derartige Verfehlungen als Ordnungswidrigkeit kaum bei der Staatsanwaltschaft auf. Weil bei solchen Autorennen neuerdings der Tatbestand eines Verbrechens erfüllt werden kann, kann der Staat auch die teuren Karossen einziehen.
Lamborghini beschlagnahmt
Zu diesem Mittel griff die Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr auch aus anderen Gründen: Seinen sündhaft teuren Sportwagen aus dem Hause Lamborghini habe ein Ulmer abgeben müssen, weil er über das Internet illegale Potenzpillen verkaufte. Und dem Betreiber einer Ulmer Shisha-Bar, der Mitglied einer rockerähnlichen Gruppierung ist, musste – zumindest vorübergehend – seine knalloragene Harley Davidson abgeben.
Abgesehen von der neuen „Waffe“der Staatsanwaltschaft gegen Raser, ging für Juristen ein ziemlich normales Jahr vorüber. Falls verhängte Haftstrafen für 43 Drogendelikte, 27 Diebstähle, 24 Raubüberfälle, 13 vorsätzliche Tötungsdelikte, zwölf schwere Gewalttaten, acht Betrugsfälle und sechs wegen schwerer Sexualdelikte überhaupt als normal zu bezeichnen sind. So etwas wie Normalität sei im Bereich „rockerähnliche Gruppierungen“eingekehrt. Sämtliche Banden – von Rock Machine bis zu den Black Jackets – seien zwar noch vor Ort, so Lehr. Doch die würden ihre Feindschaft im Gegensatz zu den Vorgängen vergangener Jahre nicht mehr in der Öffentlichkeit austragen.
Reichsbürger in Erzwingungshaft
Viel Aktivitäten im politischen Extremismus kann Lehr ebenso wenig ausmachen. Viel Arbeit würden der Staatsanwaltschaft einige wenige „Reichsbürger“machen. Diese Extremisten erkennen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem nicht an. Nicht wenige der 2959 verhängten Erzwingungshaftstrafen gingen auf das Konto solcher Staatsfeinde. Lehr staunt manchmal selber, wegen welcher Beträge Bürger in Erzwingungshaft gehen: „Oft sind es 30 bis 70 Euro.“
Einen Anstieg verzeichnete die Staatsanwaltschaft im Bereich Sexualdelikte. Dies schreibt Bischofberger insbesondere einer Gesetzesänderung zu. Während der „Busengrapscher“früher noch mit einer Ordnungswidrigkeit davon kam, erfüllt er jetzt den Tatbestand der sexuellen Belästigung. Vergewaltiger – quer durch alle Bevölkerungsschichten, so Bischofberger – landeten in 47 Fällen vor Gericht. Deutlich mehr wurden betrügerische Anrufe durch „falsche Polizisten“: 505 Fälle wurden der Staatsanwaltschaft bekannt. Ermittelt werden konnte, dass die meisten Anrufe der Betrüger aus den türkischen Städten Izmir und Antalya stammten.
In einem Fall wurde ein Läufer – so heißt der Mann, der die Drecksarbeit der Hintermänner macht, und das Geld von den Opfern abholen soll – sogar erwischt. Ein 20-jähriger Ulmer, der gerade Geld von einer 78jährigen Ulmerin aufgrundeiner angeblichen Gefahrenlage als falscher Polizist stehlen wolle, führte die echten Polizisten zu einem 39-jährigen Neu-Ulmer. Dieser soll die Strippen gezogen haben. Ein Verfahren vor dem Landgericht steht an. Lehr: „Das wird ein schwieriger Prozess.“