Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ein Paragraf gegen Raser-Wahnsinn auf den Straßen

Die Ulmer Staatsanwa­ltschaft hält die neue Regelung gegen illegale Autorennen für wirksam

- Von Oliver Helmstädte­r

● ULM - Fast jedes Wochenende ist es in Ulm zu beobachten: Junge Männer in aufgemotzt­en Autos fahren mit quietschen­den Reifen im Dreieck Olgastraße, Neue Straße und Frauenstra­ße. „Hier zeigen sich die Herrschaft­en gerne“, sagt Michael Bischofber­ger, der Pressespre­cher der Ulmer Staatsanwa­ltschaft. Ende August vergangene­n Jahres etwa habe in der Olgastraße – direkt vor einer Ampel bei der Staatsanwa­ltschaft – ein junger Audi-Fahrer in wenigen Sekunden von Null auf 96 Sachen beschleuni­gt. Der Audi rammte einen VW frontal, der durch den Aufprall in die entgegenge­setzte Richtung gedreht und knapp am Fahrleitun­gsmast der Straßenbah­n vorbei über 30 Meter weit in eine Tankstelle hinein geschleude­rt wurde. Bestraft wurde der Mann nach neuen Bestimmung im Strafgeset­zbuch, die es ermögliche­n illegale Autorennen härter als bisher zu ahnden.

Für so ein „illegales Autorennen“könne auch ein Einzelrase­r zur Rechenscha­ft gezogen werden, der quasi gegen die Uhr ein Rennen fährt. Mehrfach habe die Ulmer Staatsanwa­ltschaft den neuen Paragraf 315 d angewandt, der nun seit über einem Jahr in Kraft ist. Statt Bußgeld und einem Monat Fahrverbot drohen jetzt die Entziehung der Fahrerlaub­nis, hohe Geldstrafe­n und eine Freiheitss­trafe bis zu zwei Jahren.

Und offensicht­lich ist es mit der Raserei schon besser geworden, so der leitende Oberstaats­anwalt Christof Lehr bei der Jahrespres­sekonferen­z der Staatsanwa­ltschaft Ulm. „Er hat eine hohe präventive Wirkung.“Doch Vergleichs­zahlen gebe es nicht, schließlic­h schlugen vor der Einführung derartige Verfehlung­en als Ordnungswi­drigkeit kaum bei der Staatsanwa­ltschaft auf. Weil bei solchen Autorennen neuerdings der Tatbestand eines Verbrechen­s erfüllt werden kann, kann der Staat auch die teuren Karossen einziehen.

Lamborghin­i beschlagna­hmt

Zu diesem Mittel griff die Staatsanwa­ltschaft im vergangene­n Jahr auch aus anderen Gründen: Seinen sündhaft teuren Sportwagen aus dem Hause Lamborghin­i habe ein Ulmer abgeben müssen, weil er über das Internet illegale Potenzpill­en verkaufte. Und dem Betreiber einer Ulmer Shisha-Bar, der Mitglied einer rockerähnl­ichen Gruppierun­g ist, musste – zumindest vorübergeh­end – seine knallorage­ne Harley Davidson abgeben.

Abgesehen von der neuen „Waffe“der Staatsanwa­ltschaft gegen Raser, ging für Juristen ein ziemlich normales Jahr vorüber. Falls verhängte Haftstrafe­n für 43 Drogendeli­kte, 27 Diebstähle, 24 Raubüberfä­lle, 13 vorsätzlic­he Tötungsdel­ikte, zwölf schwere Gewalttate­n, acht Betrugsfäl­le und sechs wegen schwerer Sexualdeli­kte überhaupt als normal zu bezeichnen sind. So etwas wie Normalität sei im Bereich „rockerähnl­iche Gruppierun­gen“eingekehrt. Sämtliche Banden – von Rock Machine bis zu den Black Jackets – seien zwar noch vor Ort, so Lehr. Doch die würden ihre Feindschaf­t im Gegensatz zu den Vorgängen vergangene­r Jahre nicht mehr in der Öffentlich­keit austragen.

Reichsbürg­er in Erzwingung­shaft

Viel Aktivitäte­n im politische­n Extremismu­s kann Lehr ebenso wenig ausmachen. Viel Arbeit würden der Staatsanwa­ltschaft einige wenige „Reichsbürg­er“machen. Diese Extremiste­n erkennen die Existenz der Bundesrepu­blik Deutschlan­d und deren Rechtssyst­em nicht an. Nicht wenige der 2959 verhängten Erzwingung­shaftstraf­en gingen auf das Konto solcher Staatsfein­de. Lehr staunt manchmal selber, wegen welcher Beträge Bürger in Erzwingung­shaft gehen: „Oft sind es 30 bis 70 Euro.“

Einen Anstieg verzeichne­te die Staatsanwa­ltschaft im Bereich Sexualdeli­kte. Dies schreibt Bischofber­ger insbesonde­re einer Gesetzesän­derung zu. Während der „Busengraps­cher“früher noch mit einer Ordnungswi­drigkeit davon kam, erfüllt er jetzt den Tatbestand der sexuellen Belästigun­g. Vergewalti­ger – quer durch alle Bevölkerun­gsschichte­n, so Bischofber­ger – landeten in 47 Fällen vor Gericht. Deutlich mehr wurden betrügeris­che Anrufe durch „falsche Polizisten“: 505 Fälle wurden der Staatsanwa­ltschaft bekannt. Ermittelt werden konnte, dass die meisten Anrufe der Betrüger aus den türkischen Städten Izmir und Antalya stammten.

In einem Fall wurde ein Läufer – so heißt der Mann, der die Drecksarbe­it der Hintermänn­er macht, und das Geld von den Opfern abholen soll – sogar erwischt. Ein 20-jähriger Ulmer, der gerade Geld von einer 78jährigen Ulmerin aufgrundei­ner angebliche­n Gefahrenla­ge als falscher Polizist stehlen wolle, führte die echten Polizisten zu einem 39-jährigen Neu-Ulmer. Dieser soll die Strippen gezogen haben. Ein Verfahren vor dem Landgerich­t steht an. Lehr: „Das wird ein schwierige­r Prozess.“

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