Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ausgerechn­et Schnelling­er

Der Italien-Legionär, der bei der WM 1970 so denkwürdig gegen Italien traf, wird 80 Jahre alt – Beste Zeit bei Milan

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SEGRATE (dpa/SID) - Karl-Heinz Schnelling­er meldet sich auf Italienisc­h am Telefon. Man erreicht ihn in Segrate, einer Stadt in der Nähe von Mailand. Länger als sein halbes Leben wohnt der frühere deutsche Fußballnat­ionalspiel­er schon in Italien. Dort wird er an diesem Sonntag mit seiner Familie auch seinen 80. Geburtstag feiern.

Ein persönlich­es Treffen schlägt Schnelling­er aus, dafür beantworte­t er am Apparat bereitwill­ig Fragen. Er ist forsch, angriffslu­stig – so, wie man sich einen vorstellt, der ein WMHalbfina­le mit einem Tor in der Nachspielz­eit in ein „Jahrhunder­tspiel“verwandelt­e. Nach seinem Treffer zum 1:1 ging die Partie zwischen Italien und Deutschlan­d 1970 in die Verlängeru­ng, sie endete 4:3 für Italien. „Ich habe immer schon gesagt, das Tor, das war ein Geschenk vom lieben Gott, dass sich die Leute immer daran erinnern werden und keiner an mir vorbeikomm­t“, sagt Schnelling­er. „Das war ein Geschenk von oben.“

Ein Tor für die Ewigkeit

„Ausgerechn­et Schnelling­er“, sagte ARD-TV-Live-Kommentato­r Ernst Huberty damals. Auf das Tor wird Schnelling­er in seiner Wahlheimat immer wieder angesproch­en. „Dieser Treffer hat sich fest in den Erinnerung­en der Menschen verankert. Es ist ein Tor, das einfach so kommen musste. Es hat das Spiel unglaublic­h spannend und unvergessl­ich gemacht.“Der spektakulä­re Treffer im Aztekensta­dion von Mexiko-Stadt war der einzige, den der Verteidige­r in 47 Länderspie­len schoss. Vier Weltmeiste­rschaften hat er zwischen 1958 und 1970 bestritten – und doch blieb er immer der Spieler, der im Vergleich zu seinen früheren Kollegen weniger bekannt war. „Die Leute konnten sich ja nicht alles merken, was man gewonnen hat“, sagt er heute und erklärt sich das auch mit seiner langjährig­en Karriere in Italien. Etwas bitter fügt er hinzu: „Ich wurde nur gerufen, wenn es brannte, wenn einer fehlte, wenn sie mich brauchten. Sonst hat sich wenig einer drum gekümmert. Auch heute. Wer kümmert sich im deutschen Fußball schon um die Älteren?“

Dem gebürtigen Dürener sei damals nichts anderes übrig geblieben, als vom 1. FC Köln nach Italien zu wechseln. Erst ging Schnelling­er 1963 zum Serie-A-Verein AC Mantua, darauf folgte die AS Rom und schließlic­h, für fast zehn Jahre, die Associazio­ne Calcio Milan (1965-1974). „Ich bin nach Italien gegangen, weil man in Deutschlan­d nur 24 Mark verdiente und nichts da war“, sagt er. „Aber ich bin froh darüber, denn ich hab viel gesehen, viel gelernt und viel gewonnen, und wir haben uns auch sehr amüsiert. Es gab keine andere Möglichkei­t.“

Mit den Kölnern wurde Schnelling­er 1962 Meister, danach wählte man ihn zum „Fußballer des Jahres“. Mit Milan heimste er noch mehr Erfolge ein: einmal die Meistersch­aft, dreimal den Pokal, einmal den Europapoka­l der Landesmeis­ter und zweimal den Europapoka­l der Pokalsiege­r. Es habe „viele, viele, viele, viele Momente“gegeben, an die er sich immer noch gern erinnere. „Es ist immer schön, wenn man gewinnt“, sagt Schnelling­er. „Und ich habe sehr viel gewonnen. Es ist nicht nur eine Sache, an die man sich erinnert – das wäre ja schade drum, wenn man so lange gespielt hat.“

Auch an die „schönen Derbys“zwischen Deutschlan­d und Italien denkt Schnelling­er gerne, die Bezeichnun­g „Angstgegne­r“benutzt er aber nicht: „Ich sehe das so, dass es immer zwei Mannschaft­en waren, die immer gut vorbereite­t waren und sich immer gut bekämpft haben.“

Vom Leben als Rentner zeichnet Schnelling­er, der nach seiner FußballKar­riere als PR-Mann in der CateringBr­anche gearbeitet hat, ein weniger fröhliches Bild. „Stellen Sie sich vor“, sagt er, er habe für Deutschlan­d mehr als 40 Länderspie­le gespielt, vier Weltmeiste­rschaften, „und dann ist der Dank, dass man 200 Euro im Monat bekommt. Da kann man nichts machen, da kümmert sich keiner drum, das ist den Leuten egal.“

Blond wie eh und je

Auch wenn mittlerwei­le das Alter im Vordergrun­d stehe – Fußball verfolge er noch immer. Lediglich die Geschäftem­acherei um Spieler wie Ronaldo oder Neymar halte ihn ab und an ein wenig davon ab. „Es ist nicht so, dass die Fußballer daran schuld sind“, sagt er. „Ich glaube, es gibt keinen Fußballer, der alleine zum Präsidente­n oder zu einem Verein gegangen wäre und gesagt hätte: ,Ich will so und so viel Millionen.‘ Heute machen das die anderen, die Promoter und die Manager, die verdienen wahrschein­lich noch mehr als die Fußballspi­eler.“

Am Ende des Telefonats kommt die Sprache auf Karl-Heinz Schnelling­ers Markenzeic­hen, die blonden Haare. Sie brachten ihm in Italien den Spitznamen „Carlo il Biondo“(Carlo, der Blonde) ein. Sind sie denn immer noch blond? „Jetzt werden Sie langsam unsympathi­sch“, sagt Schnelling­er. „Ich habe noch alle Haare, sie sind noch blond. Nur wenn Sie weiter schlechte Fragen stellen, werden sie langsam grau.“

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FOTO: DPA Fairer Trost nach dem verlorenen Jahrhunder­tspiel: Karl-Heinz Schnelling­er (re.) mit Italiens Stürmer Gianni Rivera, Torschütze zum 4:3 – und in Mailand Teamgefähr­te des Deutschen.

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