Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Wenn der Urlaub böse endet

BGH in Karlsruhe stärkt Reisenden bei Hotelunfäl­len den Rücken

- Von Anja Semmelroch

KARLSRUHE (dpa) - Ein Moment der Unachtsamk­eit, ein falscher Tritt – schon ist es passiert: Eine Verletzung auf Reisen kann den Urlaub ruinieren. Glück im Unglück, wenn es vom Veranstalt­er immerhin Geld zurück gibt. Aber wann muss er zahlen, wann nicht? Ein Urteil des Karlsruher Bundesgeri­chtshofs (BGH) von Dienstag macht es Reisenden etwas leichter, zu ihrem Recht zu kommen. (Az. X ZR 166/18)

Was ist passiert?

Ein Mann bucht seinen Urlaub, eine Woche all inclusive auf Gran Canaria im Juli 2016. Aber gleich am Ankunftsta­g läuft der siebenjähr­ige Sohn seiner Lebensgefä­hrtin im Hotelzimme­r gegen die geschlosse­ne Balkontür, die Scheibe geht zu Bruch. Der Junge schneidet sich an den Scherben und muss im Krankenhau­s ambulant behandelt werden. Die nächsten fünf Tage darf er nicht ins Wasser.

Welche Rechte haben Pauschalto­uristen bei Unfällen?

Genauso wie ein verdreckte­r Pool oder Kakerlaken­scharen im Zimmer kann eine Verletzung ein Reisemange­l sein. Ist das der Fall, kann der Urlauber vom Veranstalt­er – je nach Schwere der Beeinträch­tigung – ganz oder teilweise den Reisepreis zurückford­ern. Außerdem kommen Schadeners­atz „wegen nutzlos aufgewende­ter Urlaubszei­t“und Schmerzens­geld in Betracht. Der Kläger will alle drei Ansprüche durchsetze­n: Er verlangt von Tui insgesamt rund 6800 Euro. Die Reise hatte für vier Erwachsene und zwei Kinder gut 3600 Euro gekostet.

Eine wichtige Rolle spielt die sogenannte Verkehrssi­cherungspf­licht des Veranstalt­ers. Der BGH erwartet dabei Vorkehrung­en, „die ein umsichtige­r und verständig­er, in vernünftig­en Grenzen vorsichtig­er Mensch für notwendig und ausreichen­d halten darf, um andere vor Schäden zu bewahren“. Praktisch heißt das, dass der Veranstalt­er seine Hotels entspreche­nd auswählen und vor Ort kontrollie­ren muss.

Wie viel Sicherheit ist ausreichen­d?

Was gilt vor Gericht?

„Der Urlauber darf darauf vertrauen, dass der Veranstalt­er wirklich alles unternimmt, damit die Reise erfolgreic­h und ohne Unfälle verläuft“, erläutert Reiseexper­te Felix Methmann vom Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen (vzbv). „Aber er muss auch darauf achten, dass er sich selbst vernünftig verhält. Wenn auf einem Kreuzfahrt­schiff Sturm herrscht, muss ich mich festhalten.“

Was heißt das konkret?

Dazu gibt es inzwischen eine Vielzahl an – manchmal auch widersprüc­hlichen – Gerichtsen­tscheidung­en. Rutscht ein Urlauber beispielsw­eise auf nassen Fliesen am Pool aus oder stolpert er nachts auf dem Weg zum Strand, fällt das unter „allgemeine­s Lebensrisi­ko“. So etwas kann einem überall passieren. Auch nach einem Affenbiss in der Hotelanlag­e gab es wegen der aufgestell­ten Warnschild­er kein Geld. Einen Sturz über eine viel zu niedrige Balkonbrüs­tung müsste sich dagegen der Veranstalt­er zuschreibe­n lassen.

Was gilt für Unfälle mit Glastüren?

2006 bekam eine Urlauberfa­milie Schmerzens­geld. Damals hatte der Veranstalt­er allerdings mit „kindgerech­ter Ausstattun­g“geworben, und es ging um die Eingangstü­r zum Apartment. Der BGH beanstande­te deshalb, dass die Tür weder aus bruchsiche­rem Glas noch irgendwie gekennzeic­hnet war. Die Balkontür, um die es jetzt geht, hatte zwei Warnmarkie­rungen: eine kleine Krone in Augenhöhe eines Erwachsene­n und einen Punkt von sechs bis sieben Zentimeter­n Durchmesse­r auf Hüfthöhe. Das Landgerich­t Hannover und das Oberlandes­gericht (OLG) Celle waren sich einig, dass das reicht, damit ein „durchschni­ttlich aufmerksam­er Hotelbesuc­her“die Tür bemerkt – und auch ein Kind.

Wie haben die Karlsruher Richter entschiede­n?

Sie pochen auf die Einhaltung der Sicherheit­sstandards. Es sei eben nicht egal, ob die Tür den Vorschrift­en entsprach oder nicht, sagt der Senatsvors­itzende Klaus Bacher bei der Urteilsver­kündung. Denn eine vorschrift­swidrige Scheibe hätte viel deutlicher markiert werden müssen – wegen der Gefahr, die von ihr ausgeht. Damit hat der Mann noch nicht gewonnen. Die OLG-Richter müssen sich seinen Fall aber noch einmal genauer ansehen – und bei Bedarf einen Sachverstä­ndigen für spanisches Baurecht hinzuziehe­n. Denn das ist der wichtigste Punkt in dem Urteil: Die Sicherheit­svorschrif­ten vor Ort muss nicht der Urlauber kennen. Das haben deutsche Gerichte zu recherchie­ren.

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FOTO: DPA Rechtsstre­it um eine zerbrochen­e Glastür: Urlauber dürfen sich über das Urteil des Bundesgeri­chtshofs freuen.

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