Bahntickets sollen günstiger werden
Wirtschaftsverbände attackieren die Europäische Wasserrahmenrichtlinie
BERLIN (AFP) - Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat sich angesichts der Klimadebatte für eine Überprüfung der Ticketpreise der Deutschen Bahn ausgesprochen. Die Preispolitik des Konzerns sei grundsätzlich in Ordnung, sagte Scheuer der „Bild“-Zeitung. „Aber wir müssen darüber reden, auf welchen bestimmten Strecken die Bahn ihre Preise senken muss, um hier noch konkurrenzfähiger zum Flugzeug zu sein.“
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BERLIN - Warum sich Menschen so schwer tun, den Planeten zu schonen? Der Umweltverband WWF hat Positionspapiere von zwölf EU-weit einflussreichen Lobbyorganisationen durchforstet, von Verbänden der Industrie, des Bergbaus, der Wasserund Energieversorger und der Landwirtschaft. Er findet darin ein Argumentationsmuster, das schon berühmt ist: Die Natur schützen? Ja, aber die Wirtschaft. Wie kaum ein Papier sonst zeigt die veröffentlichte Analyse genau, wie sich die Wirtschaft gegen ökologische Standards stemmt. Von einer „Wunschliste des Grauens“spricht Beatrice Claus, WWF-Expertin für Gewässerschutz.
In diesem Fall geht es nicht ums Klima, sondern um den Schutz von Wasser, von Flüssen und von Seen. Setzten sich die Wirtschaftsvertreter durch, steht in der Analyse, werde sich dieser „weniger an ökologischen Werten, stärker aber an menschlichen Nutzungsinteressen orientieren.“Zudem wachse „die Gefahr für Mensch und Natur durch chemische Stoffe im Gewässer“.
Schon heute kümmert sich Deutschland wenig. Flussläufe sind begradigt und kanalisiert, die Schifffahrt sollte schneller werden. Deiche wurden näher ans Ufer gelegt, um Bau- oder Ackerland zu erschließen, wo sonst Auen waren. Immer nach einem Hochwasser erklären Politiker zwar gerne, so könne es nicht weitergehen. Deutschlands Ströme bräuchten mehr Platz. Wer Überschwemmungsflächen schaffe, verhindere auch Hochwasserschäden in Millionenhöhe. Nur: Weicht das Wasser, geht der Wille.
Dabei schreibt die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) schon seit dem Jahr 2000 vor, dass alle Gewässer in der EU bis 2027 in einem „guten ökologischen und chemischen Zustand“sein müssen. Eigentlich sollte das schon 2015 sein, die Frist wurde jedoch hinausgeschoben. Das Ziel ist in allen Mitgliedstaaten weit entfernt, in Deutschland besonders. Knapp 92 Prozent der Flüsse und Seen in Deutschland sind in keinem guten ökologischen Zustand.
Einer aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine Grünen-Anfrage zufolge waren nach Daten von 2015 lediglich 6,6 Prozent der Fließgewässer in einem guten und 0,1 Prozent in einem sehr guten Zustand. Bei den Seen waren 24 Prozent in einem guten und 2,3 Prozent in einem sehr guten Zustand.
Die Regierung räumt in ihrer Antwort ein, dass die in der EU-Wasserrahmenrichtlinie für 2027 definierten ökologischen Qualitätsziele wohl nicht erreicht werden können. Aktuelle Werte seien „weit“von diesem Zielbereich entfernt. Zwar erkenne die Bundesregierung einen „Trend zum Zielwert hin“, heißt es in der Antwort des Bundesumweltministeriums. Dieser reiche aber vermutlich nicht aus.
Wirtschaft interveniert
Nun unterzieht die Europäische Kommission das EU-Wasserschutzgesetz einem Fitnesscheck. „Und die Wirtschaft macht massiv Druck, um die Vorgaben aufzuweichen“, sagt Claus. Einmal mehr soll etwa die Frist verlängert werden. Das scheint fast noch harmlos angesichts der weiteren Vorstöße, die – so heißt es in der Analyse – der „wissenschaftlich fundierten Vorstellung“von intakten Flüssen „zuwiderlaufen“.
Das Gesetz selbst ist nicht mangelhaft? „Nein, es hapert an der Umsetzung“, sagt Claus – und nennt ein Beispiel, wie es gehen kann: die Ems. Sie sei seit den 1980er-Jahren massiv ausgebaut worden und damit „zum größten Sanierungsfall der deutschen Flüsse“geworden. Der einstige Fischreichtum an der Mündung zum Beispiel – verschwunden. Seit es die Wasserrahmenrichtlinie gibt, kämpft der WWF für eine Renaturierung.
Nach Artikel 4.1 gibt es die „Verbesserungspflicht“und das „Verschlechterungsverbot“. 2014 reichte es dann auch der EU-Kommission. Sie drohte Deutschland mit einem Vertragsverletzungsverfahren. Plötzlich einigten sich das Land Niedersachsen, die Umweltverbände, die betroffenen Landkreise Leer und Emsland, die Stadt Emden und die Meyer Werft per Vertrag, wie die Ems in den nächsten 35 Jahren wieder natürlicher werden kann. Mit Sorge beobachtet Claus, wie andernorts „Renaturierungen verschleppt werden“.
Die Wirtschaftsverbände plädieren für weniger statt mehr Engagement. „Angesichts überambitionierter Umweltziele müssen realistische Ziele festgelegt werden“, schreibt Copa-Cogeca, der Dachverband der europäischen Landwirtschaft. Außerdem habe „die Begrenzung des Düngemitteleinsatzes einschließlich Gülle ein Niveau erreicht, bei dem eine zusätzliche Verschärfung abgelehnt werden muss“.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie fordert, dass vom EU-Wasserschutzrecht „eine Ausnahme auch aus wirtschaftlichen Gründen gewährt werden kann“. Bislang ist das nur möglich für Projekte, die im überwiegenden öffentlichen Interesse sind. Das kann zum Beispiel der Schifffahrtsweg zu einem Hafen sein.
Und noch einen Punkt will die Industrie zu ihren Gunsten umformulieren: Für „erheblich veränderte oder künstliche Wasserkörper“können schon heute die Umweltziele gelockert werden. Nach jetziger Definition ist das allerdings allein auf sogenannte „physische“Veränderungen bezogen, ein Bach ist beispielsweise einbetoniert, ein Fluss zur Schifffahrtstraße ausgebaut. Die Industrie will das ausweiten – auf „stoffliche/ chemische Veränderungen“. In ein Gewässer dürfte dann zusätzliches Cadmium eingeleitet werden, wenn die Konzentration ohnehin schon als „nicht gut“bewertet ist.
Die Bundesregierung müsse die Forderungen der Wirtschaftslobby abwehren, fordert Claus – und stattdessen den Wasserschutz ernsthaft vorantreiben. Der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Jochen Flasbarth, erklärte: „Wir stehen für Änderungen der Wasserrahmenrichtlinie nicht zur Verfügung. Wir müssen alles daran setzen, die Ziele wie in der Richtlinie vorgesehen bis 2027 erreichen. Aufweichungen der Richtlinie kommen schon gar nicht in Betracht.“
In den ersten sechs Monaten 2020 soll entschieden werden, was aus der Wasserrahmenrichtlinie wird.