Ein Paradies für den Borkenkäfer
Seit fünf Jahren existiert der Nationalpark Schwarzwald – Artenvielfalt begeistert Naturschützer, Kritik der Gegner lässt nicht nach
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SEEBACH - Langeweile kommt für den, der sich die Zeit in der Natur nehmen kann, nicht auf. Drei Stunden lang „Einblicke in die Rangerarbeit“am Dienstag. „Wildkräuter entdecken“, vier Stunden lang, am Mittwoch. Am Freitag steht eine achtstündige „geistliche Wanderung für Frauen“im Kalender, ausgebucht am selben Tag ist das Angebot „Kulinarik trifft Wildnis“mit Wanderkoch Friedrich Klumpp. Vor fünf Jahren ist der Nationalpark Schwarzwald eröffnet worden – als 15. von mittlerweile 16 Einrichtungen dieser Art in Deutschland. Die Diskussion um die Gründung eines solchen Parks in Baden-Württemberg verlief hitzig. Die Normalität, die jetzt eingekehrt ist, kann nicht über die in der Region vereinzelt immer noch spürbare Kritik hinwegtäuschen.
„Grünen Tugendterror und grüne Gesinnungs- und Bevormundungsdiktatur“prangerte noch Ende 2013 die „Interessengemeinschaft Unser Nordschwarzwald“an, die besonders massiv gegen die Pläne der grün-roten Landesregierung mobil machte. Vor allem in der Region Baiersbronn tauchten ihre Protestschilder auf – vor grünem Hintergrund mit einem roten, von links unten nach rechts oben verlaufenden Balken. Der Protest gegen Stuttgart 21 stand beim Design der Transparente dieser Wutbürger Pate. Als an einem Wintertag in Freudenstadt Befürworter, allen voran der damals verantwortliche grüne Minister für den ländlichen Raum, Alexander Bonde aus Baiersbronn, ins Kurhaus strömten, flogen Schneebälle. Bonde, mittlerweile Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, erinnert sich noch gut daran, dass sogar neben dem Kindergarten seines Nachwuchses Protestschilder angebracht wurden. Vorübergehend wurde sogar sein Haus unter Schutz gestellt, „der Widerstand war schon in Teilen sehr intensiv“.
Wer aktuell im Internet einen Blick auf die Homepage der Gegner wirft, findet Bezugspunkte. Gerhard Goll, Vorsitzender des Nationalparkbeirats, früherer EnBW-Chef und Staatsrat im Kabinett unter Ministerpräsident Erwin Teufel, wird geraten, „die F... zu halten“. Der Verzicht auf die Waldbewirtschaftung in der Kernzone wird als „Vernichtung von Volksvermögen“kritisiert. Ein Beitrag über einen Wolfsriss im Enztal richtet sich an die „Wolfsverehrer, Willkommensheißer und Naturschutzideologen“. Ein Kritiker des Parks aus der Sägeindustrie, der namentlich nicht genannt werden will, verurteilt zwar diese Tonlage. In der Sache aber bleibt auch er bei seinem Standpunkt, dass die Nationalparkverwaltung „insbesondere den Borkenkäfer nicht im Griff hat“und dass es „fürchterlich“sei, wie die Öffentlichkeit getäuscht werde. „Mit dem Geld können sie schon gar nicht umgehen.“Er macht das an den für 2019 ausgewiesenen Personalkosten und Sachausgaben in Höhe von rund zehn Millionen Euro fest und rügt, dass der Neubau eines Besucherund Informationszentrums mittlerweile mit 44,7 Millionen Euro veranschlagt ist. Vor fünf Jahren war noch von der Hälfte dieses Betrags die Rede.
Thomas Waldenspuhl, neben Wolfgang Schlund einer der beiden Leiter des Parks, räumt ein, dass der Kostenanstieg unerfreulich sei. Er verweist darauf, dass das genaue Konzept erst im Verlauf der vergangenen Jahre entstanden sei, dass ein im kleineren nördlichen Teil des Parks nötiges Besucherzentrum am Hohen Ochsenkopf dazugekommen sei und dass „auch wir unter den stark gestiegenen Baukosten zu leiden haben“. Mehrkosten entstanden auch durch den größer als gedacht anfallenden Bedarf an Schulungsund Ausstellungsflächen, „aber die brauchen wir wegen unseres pädagogischen Ansatzes“. Gerade auch Schulklassen sollen nun mal im Nationalpark in die Lage versetzt werden, der heimischen Natur und ihren Schätzen in einer ursprünglichen Form zu begegnen.
Denn darum geht es nicht nur im Südwesten, auch die anderen 15 deutschen Nationalparks sollen dazu beitragen, Verständnis für natürliche Prozesse zu entwickeln und wissenschaftliche Basisdaten zu liefern. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann, in seiner ersten Amtszeit ein besonders leidenschaftlicher Verfechter und zugleich besonders heftig angegriffener Treiber der Nationalparkidee, sagt dazu: „Mit dem Nationalpark haben wir ein Stück unseres technisch hoch entwickelten Landes dem allgegenwärtigen Nutzungsgedanken entzogen. Hier darf sich Natur mit ihrer ureigenen schöpferischen Kraft entfalten.“
An jenem grauslig kühlen 3. Mai 2014, dem Tag der Eröffnung, offenbarte sich Kretschmann als besonderer Freund des Sperlingkauzes, der im Park eine Überlebensperspektive besitzt. Fünf Jahre später hat die Nationalparkverwaltung eine Dokumentation vorgelegt, die bei Arten- und Naturschützern Jubelstimmung auslöst. 2100 erfasste Tierarten, darunter 1400 Insektenarten. Mehr als 1050 verschiedene Pilze, die Wiederentdeckung der Zitronengelben Tramete, ein Pilz, der Totholz zum Gedeihen benötigt, zählt dazu. Da mussten die Kollegen des Parks Bayerischer Wald, mit dem 1970 in Deutschland die Nationalparkgeschichte begann, nachziehen. Sie feierten den Nachweis des FlaumhaarTrichterlings an einem morschen Buchenstumpf – 34 Jahre nach der letzten Sichtung. Die Baden-Württemberger wiederum sind stolz darauf, dass sich die Zahl der in dem Gebiet bekannten Käferarten durch die intensive Beobachtung von 300 auf 750 erhöht hat.
Gäbe es da nicht den Borkenkäfer und den besonders gefürchteten, 4,2 bis 5,5 Millimeter großen Buchdrucker, der als Schädling die Forst- und Waldwirtschaft seit Jahren in Alarmstimmung versetzt. In diesem Jahr wird nach dem so heißen Sommer 2018 mit besonders heftigen Attacken gerechnet, auch Thomas Waldenspuhl lässt das keine Ruhe. „Der Borkenkäfer ist hier im Paradies, wir wissen nicht wirklich, was auf uns zukommt“, gibt er zu und denkt dabei auch an jene 18 Hektar Wald, die er als Privatmann besitzt, wenn auch nicht in der Nationalparkregion. Weil er auf die Schutzmechanismen der Parkverwaltung vertraut, „würde es mir nichts ausmachen, wenn mein Wald an den Park grenzen würde“.
Warum sagt er das? Vorgabe für einen Nationalpark ist, dass nach 30 Jahren 75 Prozent der Fläche sich selbst in einer sogenannten Kernzone überlassen sind. Aktuell fallen 40 Prozent der Parkfläche darunter. Die sogenannte Entwicklungszone befindet sich auf dem Weg in den Naturzustand, um den Park herum aber wird in der Managementzone auch in Zukunft der Wald bewirtschaftet. Aktuell stehen vier Millionen Bäume in der angrenzenden Pufferzone – unter besonders strenger Beobachtung, behauptet Waldenspuhl. Sowohl der Wald in staatlichem oder kommunalem Besitz als auch Privatwald, der direkt an den Park grenzt, sollen durch aktives Borkenkäfermanagement in diesem Streifen mit 500 Meter Tiefe vor den gefräßigen Schädlingen geschützt werden.
„Die Pufferzone wirkt definitiv“, sagt Waldenspuhl, allen anderen Behauptungen der Gegner zum Trotz. „Nirgendwo wird der Käfer und seine Verbreitung so intensiv verfolgt“, sagt der Forstmann. Spätestens alle 14 Tage werde jedes Quartier begangen und der Befall in drei Gefährdungsgraden beschrieben. „Wir haben auch die Logistik, sehr schnell zu reagieren, zu fällen und das Holz wegzubringen“, meint Waldenspuhl, „wir bekämpfen die Schädlinge mit allen Mitteln.“Viele Privatwaldbesitzer könnten sich so einen Aufwand gar nicht leisten. Die Skeptiker nehmen ihm die Beteuerungen nicht ab und zeigen Bilder von befallenen und noch nicht gefällten Bäumen.
Waldenspuhl stellt zudem auch den Forschungscharakter des Parks heraus, von dem alle Waldbesitzer profitieren könnten. „Alle reden über den Klimawandel, der unsere Natur und unsere Wirtschaftsflächen langfristig verändern wird. Wir wissen aber gar nicht, wie sich der Wald auf Dauer verhalten wird“, sagt Waldenspuhl beim Blick auf die Laborsituation der unter seiner Verantwortung stehenden 10 000 Hektar Waldfläche.
Lange Zeit stand im Landtag die CDU politisch und lautstark an der Spitze des parlamentarischen Widerstands gegen den Park. Das grünrote Projekt profitierte davon, dass alle Fachbereiche in Alexander Bondes Ministerium organisiert waren. Unter Grün-Schwarz hat sich das verändert. Der grüne Umweltminister Franz Untersteller verantwortet den Naturschutz, der Justiz- und Europaminister Guido Wolf (CDU) den Tourismus und Peter Hauk (CDU) im ländlichen Raum die Forst- und Landwirtschaft. Doch das Naturparkgesetz wird nicht mehr infrage gestellt, zur Erleichterung Waldenspuhls. „Wir können jetzt in Ruhe daran gehen, unsere Hausaufgaben zu erledigen.“14 Arbeitsmodule wurden im Herbst für die kommenden Jahre verabschiedet.
Auch wenn es die Gegner anzweifeln: Der Schutz vor dem Borkenkäfer wird ein Schwerpunkt bleiben.
„Wir wissen gar nicht, wie sich der Wald auf Dauer verhalten wird.“Parkleiter Thomas Waldenspuhl über die Folgen des Klimawandels