„Die Brennerstrecke ist viel zu billig“
Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter verteidigt Blockabfertigungen und Straßensperren als unumgänglich
RAVENSBURG - Er lässt Urlauber auf dem Weg von Italien nicht mehr von der Autobahn abbiegen und an bestimmten Tagen nur noch eine gedeckelte Zahl an Lastwagen ins Land: Günther Platter, Landeshauptmann von Tirol und Mitglied der konservativen ÖVP, hat sich in München und Berlin wenige Freunde gemacht. Für Platter sind die Beschränkungen des Verkehrs „Notmaßnahmen“zum Schutz der Tiroler Bevölkerung, erläutert er im Gespräch mit Ulrich Mendelin.
Herr Platter, seit Kurzem gelten Straßensperrungen im Raum Innsbruck, bei Reutte und Kufstein; durchreisende Autofahrer dürfen an den Sommerwochenenden nicht von den Schnellstraßen abfahren. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Wir hatten an bestimmten Orten einen totalen Verkehrskollaps, Rettungsfahrzeuge konnten Unfallstellen nicht erreichen. Die Verkehrsund Versorgungssicherheit war nicht mehr gewährleistet. Deswegen habe ich die Fahrverbote angeordnet. Als Bilanz kann ich sagen: Es sind eigentlich alle zufrieden. Die Bevölkerung, die endlich entlastet wird. Die Gäste, die bei uns in Tirol Urlaub machen. Und auch jene, die von der Polizei angehalten werden. Die werden ja nicht bestraft, denen erklärt man die Situation. Da gibt es ein breites Verständnis. Unverständlich ist für mich, dass die bayerische Politik so nervös reagiert und unnötig mit Klagen droht. All jene, die sich da aufregen, sollten sich vor
Ort diese lokalen Maßnahmen anschauen – sie sind marginal.
Erhebliche Verärgerung hat die Blockabfertigung an Tiroler Grenzübergängen ausgelöst. Deutschland und Italien pochen auf den freien Warenverkehr in Europa. Was macht Sie sicher, dass ihr Vorgehen europarechtskonform ist?
Es gibt auch ein Grundrecht auf Gesundheit. Über den Brenner donnern jährlich mehr Lkw als über alle sechs Alpenübergänge in der Schweiz und in Frankreich, das muss man sich mal vorstellen! Schon im Jahr 2009 gab es eine Vereinbarung in Rom, die vorsah, dass der Transitverkehr reduziert wird. 2012 gab es dann einen Staatsvertrag zwischen Deutschland und Österreich, da stand genau dasselbe drin. Und das einzige, was passierte, ist, dass der Transitverkehr sich enorm gesteigert hat. Deswegen müssen wir zu Notmaßnahmen greifen. Sonst steht ganz Tirol im Stau. An den Blockabfertigungen müssen wir daher festhalten, bis die Bevölkerung endlich entlastet wird.
Mit welchem Ziel?
Es geht nur in die Richtung einer Korridormaut. Die Brennerstrecke ist viel zu billig, sie muss finanziell uninteressanter werden. 40 Prozent des gesamten Lkw-Transitverkehrs entstehen, weil die Lkws Umwege fahren, um den Brenner zu nutzen statt eine andere Alpenquerung. Die Lkw-Maut in Bayern muss auf das Niveau von Österreich angehoben werden. Und genauso in Südtirol und im Trentino. Dann haben wir einen Lenkungseffekt.
Dem deutschen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und auch den Italienern gelten Sie als Saboteur des freien Warenverkehrs in Europa. Trifft Sie das?
Wenn ich Verkehrsminister Scheuer wäre, hätte ich ein schlechtes Gewissen. Die Belastungsgrenze für Mensch und für die Natur ist überschritten. Und für die Infrastruktur auch: Die Europabrücke an der Brennerautobahn müssen wir permanent sanieren. Im Übrigen ist auch die bayerische Bevölkerung im Inntal betroffen. Das kann einem doch nicht egal sein.
Man hat in letzter Zeit den Eindruck, in Tirol gibt es praktisch täglich neue Restriktionen für den Transit und den grenzüberschreitenden Verkehr. Was kommt als Nächstes?
Ich habe noch einiges in meinem Hinterkopf. Aber ich möchte, dass wir Lösungen erzielen. Ich bin auch bereit, mit Herrn Scheuer zusammenzusitzen. Er hat ja angeboten, dass wir uns in Berlin treffen – die Einladung kam mit einem Brief über die Botschaft. Bei uns in Tirol geht das etwas leichter, man greift zum Telefonhörer. Ich fände es auch sinnvoller, wenn das Treffen in Kufstein oder Kiefersfelden zustande käme. Entscheidend ist für mich aber: Ich werde an diesen Gesprächen nur dann teilnehmen, wenn wir konkret über Entlastungsmaßnahmen reden. Der bayerische Löwe muss sich jetzt bewegen.
Herr Scheuer will aber vor allem darüber reden, wie man die LkwBlockabfertigung beenden kann ...
Aber schauen Sie, das ist doch absurd! Man will mit Tirol darüber reden, wie man Lkw-Blockabfertigungen wegbekommt – und hat keine Idee, wie die Bevölkerung in Tirol entlastet werden kann? Es muss ein Maßnahmenpaket mit Zeitplänen beschlossen werden, wie der LkwTransitverkehr reduziert wird. Und wenn dann der Transit tatsächlich weniger wird, können wir über die Lkw-Blockabfertigungen reden. Vorher nicht.
Sie hätten gern mehr Verkehr auf der Schiene. Auf deutscher Seite gab es jetzt einen Termin im Inntal, bei dem mögliche Trassen für den Zulauf zum Brennerbasistunnel vorgestellt wurden. Sind Sie zuversichtlich, dass auf deutscher Seite bei der Brennerzulaufstrecke etwas vorangeht?
Der Brennerbasistunnel ist im Jahr 2027 fertig. Und im Jahr 2028 geht er in Betrieb. Am 2. Dezember 2012 sind unsere Zulaufstrecken fertiggestellt worden. In Tirol haben wir die Hausaufgaben gemacht. Und in Deutschland diskutiert man über die Trasse! Hier ist Deutschland dermaßen im Verzug! Wenn man sehr optimistisch wäre, wird der Brennerzulauf in Deutschland im Jahr 2040 fertig, eher 2050. Es ist völlig unverständlich, dass das moderne Deutschland dermaßen hinterherhinkt. Aber die Situation ist, wie sie ist. Ministerpräsident Markus Söder hat ja ein Beschleunigungsgesetz angeregt. Das befürworte ich natürlich sehr. Aber es ist leider alles viel, viel, viel zu spät.