Kein Netz, keine Abstimmung
VfB-Mitgliederversammlung gerät zur Farce – Entscheidung über Dietrich vertagt
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STUTTGART - Er sah so aus, wie er fast schon sechs Stunden vor den Mitgliedern des VfB Stuttgart auf dem Podium der Mercedes-BenzArena sitzend ausgesehen hatte. Alles ertragend. Doch dann beugte sich Wolfgang Dietrich vor und murmelte: „Wir hätten nicht gedacht, dass der nächste schwarze Tag so schnell kommt.“
Nichts ging mehr auf der Mitgliederversammlung des VfB. „Die Stabilität des WLANs lässt keine elektronische Abstimmung zu“, sagte der höchst umstrittene Präsident, bevor er, begleitet von einem Sicherheitsmenschen, durch den Spielertunnel aus der Arena flüchtete. Es sollte eigentlich der Tag werden, an dem das Dauerreizthema Wolfgang Dietrich beim VfB ein vorläufiges Ende finden sollte. Entweder er würde gestärkt herausgehen aus der Versammlung – oder als Ex-Präsident, abgewählt von 75 Prozent der Anwesenden. Dietrich verließ die Mitgliederversammlung zwar als Präsident, doch seine ohnehin schon unglückliche Amtszeit ist um eine blamable Episode reicher. Bis zur Abstimmung kam es wegen der Funkprobleme in Bad Cannstatt gar nicht.
Schon beinahe typisch VfB, dass die Szenerie nach dem Abbruch beinahe aufgeladener wirkte als beim sportlichen Abstieg im Mai: Fans schrien ihren Unmut heraus, andere hämmerten gegen Plastikwände. Sicherheitsbedienstete nahmen am Spielfeldrand Aufstellung.
4400 Mitglieder anwesend
Die Blamage war absehbar gewesen. Nach fast drei Stunden, in denen die Mitglieder in ihren Wortmeldungen sich über die Präsidentschaft Dietrich geäußert hatten, sollte über ein Ende des Tagesordnungspunkt „Wortbeiträge“abgestimmt werden. Man wollte ja irgendwann auch zum Punkt „Abwahl“kommen. Schon jene Abstimmung scheiterte an der streikenden Technik. Um 19.12 Uhr dann der Abbruch der gesamten Veranstaltung.
„Die Versammlung wurde formal abgebrochen. Die kürzeste Frist, in der man wieder eine Mitgliederversammlung einberufen kann, wäre in drei Wochen. Das wäre allerdings in den Sommerferien, also planen wir die Versammlung im September“, erklärte Oliver Schraft, Mitglied der Geschäftsleitung des VfB und Vorstandssprecher. Man wolle prüfen, ob der technische Dienstleister in die Verantwortung genommen werden könnte.
Dabei sind Internetprobleme in der Mercedes-Benz-Arena in etwa so überraschend wie Feinstaubalarm im Stuttgarter Kessel. Dennoch wurde für die Versammlung ein WLAN eingerichtet, in das sich die Mitglieder einwählen mussten, um über ihr Smartphone abzustimmen.
Zum Zeitpunkt des Abbruchs war noch nicht absehbar, wie die Abstimmung über Dietrich ausgehen würde. Aber die Gegner des Präsidenten hatten ordentlich mobil gemacht. „Dietrich raus!“-Banner begrüßten die Anreisenden schon von zahlreichen Brückenpfeilern. Auch im Stadion riefen viele der 4400 anwesenden Mitglieder dem höchst umstrittenen 70-Jährigen diese Meinung entgegen.
Die meisten, aber eben auch nicht alle Wortmeldungen waren Dietrichkritisch. Sie kamen von der „Treten Sie zurück“-Fraktion, die befürchtet, dass der VfB den Hamburger SV „als Gespött Deutschlands“ablöst. Aber es gibt eben auch die „Wir-brauchennun-Ruhe“-Fraktion. Nicht der bis 2020 gewählte Dietrich sei der Spalter, sondern Teile der aktiven Fanszene.
Der Präsident, der sogar eine Vielzahl von Todesdrohungen erhalten haben soll, hörte sich die Wortmeldungen an, hin und wieder schüttelte er den Kopf. „An die wenigen, die mich und meine Familie in den sozialen Medien aufs Übelste bedrohen: Was lässt euch zu solchen Mitteln greifen? Jeder einzelne in der Gesellschaft, der Hass und Gewalt schürt, ist einer zuviel“, sagte er einmal.
Uneingeschränkte Sympathien flogen am Sonntag nur Sportvorstand Thomas Hitzlsperger zu, der selbstironisch nach langem Applaus und etwa einem halben Jahr im Amt verkündete: „Ich bin unheimlich froh, dass ich immer noch da bin, weil ich die Entwicklungen im Verein kenne.“
Wichtig sei aber, was auf dem Platz geschieht. „Klar ist, dass die Mannschaft liefern muss“, sagte Hitzlsperger. Und sonst: „Wenn es zukünftig etwas ruhiger zugehen würde, hätte ich nichts dagegen.“
Da kannte er aber die digitalen Probleme in Bad Cannstatt noch nicht.