Der Unverbiegbare
Gnabry strahlt, aber Kimmich ist derzeit der entscheidende Mann bei Bayern München
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MÜNCHEN - Er musste liefern und er hat geliefert. Anders gesagt: große Klappe, viel dahinter: Joshua Kimmich hat nach seiner deutlichen Kritik und dem folgenden Konter der Bosse beim denkwürdigen 7:2 (2:1) von Bayern München in der Champions League bei Tottenham Hotspur wie gefordert Taten sprechen lassen. Kimmichs wichtiger Ausgleichstreffer zum 1:1 (15. Minute) hielt den Rekordmeister in einer schwierigen Phase im Spiel – als Antwort auf die kritischen Aussagen seiner Vorgesetzten wollte der Nationalspieler das Tor aber nicht verstanden wissen. „Es hatte nichts mit dem zu tun, was vorher gesagt wurde. Meine Leistung hat das nicht beeinflusst“, sagte der 24-Jährige über Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, der von Kimmich nach dessen Kritik über die Vorstellung beim 3:2 in Paderborn „große Leistungen“gefordert hatte: „Ich hätte das Tor auch so erzielt, das hat nicht den Ausschlag gegeben.“
Zu seiner Grundsatzkritik („Wir laufen unserem Anspruch hinterher“) stehe er aber, betonte der Bösinger: „Ich habe mich kritisch geäußert nach dem Paderborn-Spiel, das würde ich in der Art und Weise auch wieder so tun.“
Und während sich seine Mannschaftskollegen, Bosse und beinahe auch die gesamte Fußballwelt (von den Anhängern und Akteuren bei Tottenham Hotspur einmal abgesehen) über die Art und Weise des unbestritten überragenden Fußballfestes ergingen und den Sieg über den letztjährigen Königsklassen-Finalisten als Triumphzug stilisierten, blieb der junge Anführer ganz der alte Joshua Kimmich. Beinahe als verbale Erdung und Einordnung des Geschehens formulierte Kimmich knapp und dennoch markant: „Auch heute war nicht alles super.“
Dabei ist die Allzweckwaffe nicht etwa die aktiv kickende Adaption des Grantlers oder innerhalb einer frühen Morphose zum Meckerrentner. Nein, Kimmich ist ein Bessermacher auf dem Platz. Der Inbegriff eines Mentalitätsspielers, der allerdings auch fußballerisch überragt. Kleine Kostprobe? Seit dem Amtsantritt von Trainer Niko Kovac ist Kimmich der Spieler mit den jeweils meisten Einsätzen (58), Assists (21), Pässen (4333), Ballaktionen (5828), Flanken (176) sowie Torschussvorlagen (145). Wahnsinnswerte. Wer so überzeugt, hat die Argumente auf seiner Seite.
Innerhalb kurzer Zeit ist der langjährige Jugendspieler des VfB Stuttgart der unbestrittene Anführer des FC Bayern geworden – und der DFBMannschaft. Der Lieblingsspieler von Kovac ist nicht nur durch seine Positionsvarianz (vom Links- bis Rechtsverteidiger oder offensiven Mittelfeldantreiber) unentbehrlich.
Kimmich geht auch abseits des Platzes dahin, wo es schmerzt. Als gestandener Profi ohne internationalen Titel ist er der Feuerkopf, der eine Mannschaft in wichtigen Momenten entscheidend antreiben kann. Das haben auch die Verantwortlichen verstanden und lassen ihren „Jo“oder „Josh“sich treu bleiben.
„Wer die Klappe aufmacht, muss natürlich auch vorneweg marschieren“, hatte Hasan Salihamidzic im Zuge der Rummenigge-Zitate gefordert. Aber auch angemerkt, dass Kimmich derartige Forderungen eher „anspornen“würden. „Er will gewinnen, jedes Spiel – und am liebsten die großen Titel“, sagte der Sportdirektor über den ehrgeizigen Kimmich.
Mit dem Tor habe Kimmich „die richtige Antwort gegeben“. Und vielleicht war der Mentalitätsspieler Kimmich – neben dem alles überstrahlenden Vierfachtorschützen Serge Gnabry – in London auch der Spieler, der die magische Nacht erst ermöglichte, auch wenn der gewohnt bodenständige 24-Jährige anmerkte: „Ich wollte einfach nur der Mannschaft helfen.“Das hat er, unbestritten, und wird es auch in Zukunft tun. Denn Kimmich bleibt eben Kimmich. Als er bei Sky gefragt wurde, ob er seinem Stil treu bleibe, antwortete er: „Auf jeden Fall, mich verbiegt keiner.“
Und darüber sind sie beim FC Bayern wahrscheinlich auch sehr froh.