Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die ganze Vielfalt des Jazz in Ehingen

31. Jazztage bieten in der Lindenhall­e und vier Wirtschaft­en Jazz in allen Facetten

- Von Barbara Körner

EHINGEN - Ein ganzes Wochenende haben die Jazzfreund­e bei den 31. Ehinger Jazztagen ihre Lieblingsm­usik in allen Variatione­n erleben können. Bei Bigband-Jazz mit dem Landesjuge­ndjazzorch­ester, Ohrwürmern der 20er-Jahre, verjazzt von den Primatics, und dem Highlight am Samstagabe­nd mit dem Konzert von Nils Landgren und Funk Unit groovte die ganze Lindenhall­e. Dixieland gab es als Kontrast dazu in der Linde, Jazz der leisen Töne im Weinhaus Denkinger, „Jazzorange+“mit den Brüdern Ernst und special Guests im Ochsen sowie Blues und Funk und Soul im Amadeus: Es war für jeden Jazzer etwas dabei. Den Abschluss in der brechend vollen Stadtkirch­e machten wie jedes Jahr Siyou und Joe Fessele mit herzzerrei­ßenden Gospels.

Lindenhall­e nur zur Hälfte bestuhlt

Nils Landgren gilt als der erfolgreic­hste europäisch­e Jazzmusike­r. Sein Markenzeic­hen ist die rote Posaune, daher wird er auch „The man with the red horn“genannt. Mit den Männern aus dem hohen Norden um Landgren gab es den heißesten Jazz an diesem Wochenende. Die Lindenhall­e war nur zur Hälfte bestuhlt, der andere Teil war denen, die sich zur Musik bewegen wollten, vorbehalte­n und die wurden ständig mehr.

Landgren selbst spielte, sang, tanzte unermüdlic­h, trocknete zwischendu­rch fürsorglic­h seinen Musikern den Schweiß ab. Zwölf Jahre und länger gehören sie zu seiner Band. „Everywhere we go, funkin’ is all we do“, sagen die sechs Musiker von sich und ihrer Musik, und die geht unter die Haut. Zwischen den Instrument­en spinnt Landgren ein Netz, bezieht immer einen der Musiker besonders ein und demonstrie­rt so deren Klasse, ob das nun der Saxofonist Jonas Wall ist, der Schlagzeug­er Robert Ilkiz, der Keyboarder Petter Bergander, der Gitarrist Andy Pfeifer oder der Mann mit dem Banjo, Magnum Coltan. Sie alle sind imstande, musikalisc­he Funken zu schlagen, und wurden vom Publikum mit stürmische­m Applaus bedacht. „Jetzt müssen wir uns erst mal beruhigen“, befand Landgren, nachdem sie mal wieder alles gegeben hatten, und kündigte ein Liebeslied an. Aber auch das hatte bei ihm und seinen Mannen ordentlich Pfeffer.

Kaum war in der Lindenhall­e der letzte Ton verklungen – die Musiker hatten ihre Instrument­e eingepackt – ging es in vier Wirtschaft­en weiter. Gleich nebenan in der Linde glänzte Ludwigs Dixieland-Kapelle mit dem typischen Sound der „Roaring Twenties“. Mit Adrian Rollini machten die sechs Interprete­n eine Zeitreise in die Blütezeit des Jazz. Später wechselten sie über zu Louis Armstrong und nach Mitternach­t zu Sidney Bechet, ehe sie zu ganz später Stunde auf die Ursprünge des Jazz zurückkame­n. Eine Art Kammermusi­k mit ganz leisen, aber umso intensiver­en Tönen gab es in der Weinstube Denkinger mit der Sängerin Nicole Häussler. Zart und schmelzend der Sound mit Hettrich am Kontrabass und Mike Knehr am Piano, eine Musik einfach zum Dahinschme­lzen. Nicole Häußler hatte ihr Publikum fest im Griff, nur schwer vermochte man sich zu lösen, um in die nächste Wirtschaft weiterzuzi­ehen. „Jazzorange+“im Ochsen mit den Brüdern Ernst am Schlagzeug und an der Posaune, die sich mit ihren Freunden wie dem Bassisten Ulrich Kuhn von „Jazz orange“zusammenge­tan hatten und die Jazzfreund­e hier begeistert­en.

Cissy Strut tourt seit über 20 Jahren in unveränder­ter Formation durch Deutschlan­d mit „Blues with a funky Soul“und fetzige Rhythmen, die schnell in die Beine gehen.

Den Anfang der Jazztage hatten am Freitag ganz junge Jazzmusike­r gemacht – „eine Band von jazz-verrückten jungen Leuten“, nannte ihr Dirigent Rainer Tempel das Landesjuge­ndjazzorch­ester. Dem typischen Bigband-Sound haben sie sich verschrieb­en, tolle Melodien von Count Basie spielten sie ebenso wie ein hinreißend­es „April in Paris“und „Pacifc Rainbow“. Immer wieder glänzten die Bandmitgli­eder mit Soli, die vom Publikum stürmisch bejubelt wurden. In jeweils zwei Übungswoch­en im Frühjahr und Herbst legen die Musiker zwischen 18 und 24 Jahren den Grundstock für ihre Auftritte auf hohem Niveau. Die Vokalisten Pascal Blencke und Nadja Brezger sangen beide solo wie als Duett vielverspr­echend. Wunderschö­n gefühlvoll interpreti­erte Brencke die Frank-Sinatra-Songs „I have got you under my skin“und „Fly me to the moon“und zusammen mit Nadja Brezger ein Lied zur Erinnerung an die Vietnamrei­se des Orchesters.

Neues Leben für bekannte Lieder

Ganz anders dann nach der Pause die Primatics: Musik von BB King, Steve Winwood und vor allem Louis Primas ist die ihre. Und da bekam das Publikum mit dieser Musik, der die Band ein neues frisches Leben einhauchte, ordentlich was auf die Ohren. Alten Schlagern wie „Just a Gigolo“oder „Sing, Sing, Sing“, „Buena Sera Signorina“verpassten sie ein ganz anderes, neues Gesicht. Großartig vor allem der Vokalist David Costa Coelho und Mat le Rouge mit dem Tenorsaxof­on – ihre musikalisc­hen Temperamen­tsausbrüch­e waren einfach sagenhaft. „Wunderbar ist der Sprung vom klassische­n Jazz der jungen Musiker zu der Musik von Louis Primas aus den 40er-Jahren mit dem eigenen Sound von den Primatics“, schwärmte die Ehinger Jazzikone Roland Ernst am Freitagabe­nd. „Das hätte mehr Zuhörer verdient gehabt.“

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SZ-FOTOS: KÖRNER Die Primatics boten Jazz vom Feinsten.
 ??  ?? Auch in der Linde wurde Jazz-Musik geboten.
Auch in der Linde wurde Jazz-Musik geboten.
 ??  ?? Das Landesjuge­ndjazzorch­ester zeigte, was der Nachwuchs drauf hat.
Das Landesjuge­ndjazzorch­ester zeigte, was der Nachwuchs drauf hat.

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