Die ganze Vielfalt des Jazz in Ehingen
31. Jazztage bieten in der Lindenhalle und vier Wirtschaften Jazz in allen Facetten
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EHINGEN - Ein ganzes Wochenende haben die Jazzfreunde bei den 31. Ehinger Jazztagen ihre Lieblingsmusik in allen Variationen erleben können. Bei Bigband-Jazz mit dem Landesjugendjazzorchester, Ohrwürmern der 20er-Jahre, verjazzt von den Primatics, und dem Highlight am Samstagabend mit dem Konzert von Nils Landgren und Funk Unit groovte die ganze Lindenhalle. Dixieland gab es als Kontrast dazu in der Linde, Jazz der leisen Töne im Weinhaus Denkinger, „Jazzorange+“mit den Brüdern Ernst und special Guests im Ochsen sowie Blues und Funk und Soul im Amadeus: Es war für jeden Jazzer etwas dabei. Den Abschluss in der brechend vollen Stadtkirche machten wie jedes Jahr Siyou und Joe Fessele mit herzzerreißenden Gospels.
Lindenhalle nur zur Hälfte bestuhlt
Nils Landgren gilt als der erfolgreichste europäische Jazzmusiker. Sein Markenzeichen ist die rote Posaune, daher wird er auch „The man with the red horn“genannt. Mit den Männern aus dem hohen Norden um Landgren gab es den heißesten Jazz an diesem Wochenende. Die Lindenhalle war nur zur Hälfte bestuhlt, der andere Teil war denen, die sich zur Musik bewegen wollten, vorbehalten und die wurden ständig mehr.
Landgren selbst spielte, sang, tanzte unermüdlich, trocknete zwischendurch fürsorglich seinen Musikern den Schweiß ab. Zwölf Jahre und länger gehören sie zu seiner Band. „Everywhere we go, funkin’ is all we do“, sagen die sechs Musiker von sich und ihrer Musik, und die geht unter die Haut. Zwischen den Instrumenten spinnt Landgren ein Netz, bezieht immer einen der Musiker besonders ein und demonstriert so deren Klasse, ob das nun der Saxofonist Jonas Wall ist, der Schlagzeuger Robert Ilkiz, der Keyboarder Petter Bergander, der Gitarrist Andy Pfeifer oder der Mann mit dem Banjo, Magnum Coltan. Sie alle sind imstande, musikalische Funken zu schlagen, und wurden vom Publikum mit stürmischem Applaus bedacht. „Jetzt müssen wir uns erst mal beruhigen“, befand Landgren, nachdem sie mal wieder alles gegeben hatten, und kündigte ein Liebeslied an. Aber auch das hatte bei ihm und seinen Mannen ordentlich Pfeffer.
Kaum war in der Lindenhalle der letzte Ton verklungen – die Musiker hatten ihre Instrumente eingepackt – ging es in vier Wirtschaften weiter. Gleich nebenan in der Linde glänzte Ludwigs Dixieland-Kapelle mit dem typischen Sound der „Roaring Twenties“. Mit Adrian Rollini machten die sechs Interpreten eine Zeitreise in die Blütezeit des Jazz. Später wechselten sie über zu Louis Armstrong und nach Mitternacht zu Sidney Bechet, ehe sie zu ganz später Stunde auf die Ursprünge des Jazz zurückkamen. Eine Art Kammermusik mit ganz leisen, aber umso intensiveren Tönen gab es in der Weinstube Denkinger mit der Sängerin Nicole Häussler. Zart und schmelzend der Sound mit Hettrich am Kontrabass und Mike Knehr am Piano, eine Musik einfach zum Dahinschmelzen. Nicole Häußler hatte ihr Publikum fest im Griff, nur schwer vermochte man sich zu lösen, um in die nächste Wirtschaft weiterzuziehen. „Jazzorange+“im Ochsen mit den Brüdern Ernst am Schlagzeug und an der Posaune, die sich mit ihren Freunden wie dem Bassisten Ulrich Kuhn von „Jazz orange“zusammengetan hatten und die Jazzfreunde hier begeisterten.
Cissy Strut tourt seit über 20 Jahren in unveränderter Formation durch Deutschland mit „Blues with a funky Soul“und fetzige Rhythmen, die schnell in die Beine gehen.
Den Anfang der Jazztage hatten am Freitag ganz junge Jazzmusiker gemacht – „eine Band von jazz-verrückten jungen Leuten“, nannte ihr Dirigent Rainer Tempel das Landesjugendjazzorchester. Dem typischen Bigband-Sound haben sie sich verschrieben, tolle Melodien von Count Basie spielten sie ebenso wie ein hinreißendes „April in Paris“und „Pacifc Rainbow“. Immer wieder glänzten die Bandmitglieder mit Soli, die vom Publikum stürmisch bejubelt wurden. In jeweils zwei Übungswochen im Frühjahr und Herbst legen die Musiker zwischen 18 und 24 Jahren den Grundstock für ihre Auftritte auf hohem Niveau. Die Vokalisten Pascal Blencke und Nadja Brezger sangen beide solo wie als Duett vielversprechend. Wunderschön gefühlvoll interpretierte Brencke die Frank-Sinatra-Songs „I have got you under my skin“und „Fly me to the moon“und zusammen mit Nadja Brezger ein Lied zur Erinnerung an die Vietnamreise des Orchesters.
Neues Leben für bekannte Lieder
Ganz anders dann nach der Pause die Primatics: Musik von BB King, Steve Winwood und vor allem Louis Primas ist die ihre. Und da bekam das Publikum mit dieser Musik, der die Band ein neues frisches Leben einhauchte, ordentlich was auf die Ohren. Alten Schlagern wie „Just a Gigolo“oder „Sing, Sing, Sing“, „Buena Sera Signorina“verpassten sie ein ganz anderes, neues Gesicht. Großartig vor allem der Vokalist David Costa Coelho und Mat le Rouge mit dem Tenorsaxofon – ihre musikalischen Temperamentsausbrüche waren einfach sagenhaft. „Wunderbar ist der Sprung vom klassischen Jazz der jungen Musiker zu der Musik von Louis Primas aus den 40er-Jahren mit dem eigenen Sound von den Primatics“, schwärmte die Ehinger Jazzikone Roland Ernst am Freitagabend. „Das hätte mehr Zuhörer verdient gehabt.“