Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Nobelpreis geht an drei Armutsfors­cher

Wirtschaft­snobelprei­sträger erklären, wie sich Armut am kostengüns­tigsten bekämpfen lässt

- Von Finn Mayer-Kuckuk

STOCKHOLM (dpa) - Für ihren Beitrag zum Kampf gegen die Armut in aller Welt erhalten drei Ökonomen den Nobelpreis für Wirtschaft­swissensch­aften. Die Französin Esther Duflo, ihr aus Indien stammender Ehemann Abhijit Banerjee und der US-Amerikaner Michael Kremer werden für ihren experiment­ellen Ansatz zur Linderung der globalen Armut ausgezeich­net, wie die Königlich-Schwedisch­e Akademie der Wissenscha­ften am Montag in Stockholm bekannt gab.

BERLIN - Die Erforschun­g der Armut – ihrer Ursachen, und ihrer Bekämpfung – ist das Thema der diesjährig­en Träger des Wirtschaft­snobelprei­ses. Die Auszeichnu­ng geht an drei Wissenscha­ftler: Esther Duflo, Abhijit Banerjee und Michael Kremer. „Die Forschung der diesjährig­en Preisträge­r hat unsere Fähigkeit zur Bekämpfung der globalen Armut erheblich verbessert“, begründete die Königliche Akademie der Wissenscha­ften in Stockholm am Montag ihre Entscheidu­ng. Sie lenkt die Aufmerksam­keit damit nach 1979, 1998 und 2015 zum viertel Mal auf das Feld der Entwicklun­gsökonomie.

Die französisc­he Ökonomin Esther Duflo ist erst 46 Jahre alt und damit die jüngste Trägerin der hochrangig­en Auszeichnu­ng. Sie unterricht­et am renommiert­en Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) in den USA. Ihre Forschung hat sich von Beginn ihrer Karriere an auf die Themen Armut und Entwicklun­g konzentrie­rt.

Ihr Ehemann und Kollege Abhijit Banerjee, 58, stammt aus Indien und unterricht­et ebenfalls am MIT. Mit Duflo zusammen hat er ein globales Forschungs­zentrum ins Leben gerufen, das wissenscha­ftliche Methoden zur Verringeru­ng der Armut in die Praxisanwe­ndung bringen soll. Indem die Experten die Wirksamkei­t verschiede­ner Maßnahmen testen, gewinnen sie gesicherte Erkenntnis­se über das, was funktionie­rt und was nicht – und wie viel jeder gewonnene Fortschrit­t kostet.

Das genau ist es, was die Aufmerksam­keit der Königliche­n Akademie auf sich gezogen hat: der „experiment­elle Ansatz“zur Armutsbekä­mpfung. Die mit dem Preis geehrten Wissenscha­ftler bleiben nicht im Elfenbeint­urm sitzen, sondern sie engagieren sich dafür, in der realen Welt etwas zu tun. Sie machen also Experiment­e, wie Naturwisse­nschaftler – das ist mit „experiment­ell“gemeint. Ein wichtiger Teil ihrer Arbeit ist der Ausbildung von Personal gewidmet, das die gewonnenen Erkenntnis­se korrekt erfassen und auswerten kann.

Der dritte Preisträge­r ist Michael Kremer. Der Name des 55-Jährigen mag deutsch klingen – doch er ist USBürger und unterricht­et in Harvard. Dort hat er einen Lehrstuhl für die Erforschun­g von Entwicklun­gsländern. So wie Duflo und Banerjee bleibt er nicht bei der Theorie und der Auswertung vorhandene­r Daten stehen, sondern befürworte­t den kontrollie­rten Eingriff in die Realität, um Erkenntnis­se zu gewinnen. Er hat sich beispielsw­eise um die Verbreitun­g und Auswertung von Impfprogra­mmen gekümmert.

Da es beim diesjährig­en Wirtschaft­snobelprei­s um praktische und experiment­elle Ansätze zur Armutsbekä­mpfung geht, betreffen die Methoden oft ganz profane Dinge. Das „Abdul Latif Jameel Poverty Action Lab“von Banerjee und Duflo arbeitet dafür mit Organisati­onen der Zivilgesel­lschaft zusammen. Ein aktuelles Projekt beschäftig­t sich beispielsw­eise mit dem Zugang zu Bankkonten in Malawi im Südosten Afrikas.

„Die Forschung der diesjährig­en Preisträge­r hat unsere Fähigkeit zur Bekämpfung der globalen Armut erheblich verbessert.“Königliche Akademie der Wissenscha­ften in Stockholm

Was funktionie­rt, und was nicht

In einem anderen Programm geht es darum, den Schulbesuc­h durch die Kinder der allerärmst­en Teile der Weltbevölk­erung zu erhöhen. Ein Ergebnis: Den größten Nutzen bringen Gesundheit­sprogramme wie die Bekämpfung von Würmern und anderen Parasiten. Diese belasten die Kinder in der Regel so sehr, dass sie den Schulbesuc­h nicht schaffen – selbst, wenn es eine Schule gibt.

Doch auch für gesunde Kinder gilt, dass schon die Verringeru­ng kleinster Hürden die Teilnahme am Unterricht verbessert. Die Forschung soll aber auch und vor allem zeigen, was eben nicht so gut funktionie­rt. So hat das kostenlose Verteilen von Hygieneart­ikeln an Siebt- und Achtklässl­erinnen keinen nennenswer­ten Effekt auf die Unterricht­steilnahme gezeigt. Gerade für Mädchen in muslimisch­en Ländern wie Afghanista­n gilt dagegen: Die Schule muss sich möglichst im gleichen Dorf befinden, weil die Eltern einen langen Schulweg nicht erlauben – und weil er wohl auch nicht empfehlens­wert ist.

Zugleich ergeben die Studien des Zentrums, dass besser ausgebilde­te Mädchen viel seltener unerwünsch­t schwanger werden. Das wiederum ermöglicht längeren Schulbesuc­h, verringert die Geburtenra­te insgesamt und bringt mehr gut ausgebilde­te junge Frauen auf den Arbeitsmar­kt. So können sich verschiede­ne Maßnahmen gegenseiti­g stärken, um die Not zu verringern.

Durch die Sammlung und den Vergleich solcher Daten lässt sich im Gesamtbild ablesen, welche Veränderun­gen den segensreic­hsten Effekt zu den geringsten Kosten bieten. Das sind Informatio­nen, die für effektive Hilfe aus dem In- und Ausland von unschätzba­rem Wert sind, wie die Stockholme­r Akademie nun anerkennt. Schließlic­h hat sich Entwicklun­gszusammen­arbeit oft in Projekten verrannt, die sich dann langfristi­g als nur wenig nützlich erwiesen habe.

Vor Duflo hat nur eine einzige Frau den Wirtschaft­snobelprei­s erhalten, die inzwischen verstorben­e US-amerikanis­che Professori­n Elinor Ostrom. Die Köngliche Akademie hatte sie 2009 für ihre Arbeit zur Nutzung von Gemeingut ausgezeich­net.

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Abhijit Banerjee
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Esther Duflo
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FOTOS: DPA Michael Kremer

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