Die Urwahl des Kirchenparlaments in Stuttgart ist einzigartig
Zwei Millionen Mitglieder der Evangelischen Landeskirche in Württemberg sind zum Urnengang aufgerufen
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LEUTKIRCH - Der Countdown läuft: Am 1. Dezember 2019 sind fast zwei Millionen Wahlberechtigte der Evangelischen Landeskirche in Württemberg aufgerufen, in 26 Wahlkreisen ihre Vertreter für den Kirchengemeinderat vor Ort und die 16. Landessynode, also das Kirchenparlament in Stuttgart, auf sechs Jahre zu wählen. Kirchenferne Menschen erreichen, Digitalisierung vorantreiben und die Pfarrerschaft zugunsten der Seelsorge von Verwaltungsaufgaben entlasten – das sind einige Themen der Zukunft.
Unter den 20 Mitgliedskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist die Landeskirche Württemberg zwar nur die sechstgrößte, aber die einzige mit einer Urwahl für die Synode. Dadurch können Kirchenmitglieder die Vertreter ihres Wahlkreises direkt und selbst wählen. Wahlberechtigt sind alle Gemeindemitglieder, die am Wahltag das 14. Lebensjahr vollendet haben. „Durch diese Urwahl ist die Landessynode in Württemberg so aktiv und innovativ. Die Gewählten sind herausgefordert, ihre Arbeit für ihren Gesprächskreis auch zu belegen“, erklärt Synodalpräsidentin Inge Schneider, die in der zu Ende gehenden Legislaturperiode das höchste Ehrenamt der Landeskirche bekleidet.
Die große Mehrzahl der Synodalen gehört entsprechend ihrer kirchenpolitischen Orientierung einem der vier Gesprächskreise an. Da diese Gesprächskreise aber keine Parteien sind, herrscht kein Fraktionszwang. Sichtbares Zeichen dafür ist die Platzverteilung: Die Synodalen sitzen nicht nach der Zugehörigkeit zu Gesprächskreis geordnet, sondern nach Alter. Die Ältesten ganz vorne, die Jüngsten ganz hinten. „Doch selbst 40-Jährige sind oft noch Hinterbänkler“, sagt Schneider und spielt damit auf den relativ hohen Altersdurchschnitt der Synodalen an. Sie selbst ist 66 Jahre alt, kandidiert deshalb auch nicht mehr. Im Wahlkreis Waiblingen-Backnang wird ihr Platz auf der Wahlliste übrigens von einem 25-Jährigen eingenommen.
Wie erreichen wir junge, kirchenferne Menschen? Wie können wir Seelsorge auch digital anbieten? Dies sind für die scheidende Präsidentin zentrale Fragestellungen der nächsten Synode. Des Weiteren müsse die Entlastung des Pfarrdienstes von Verwaltungsaufgaben vorangetrieben werden, damit die Theologen mehr Zeit für Verkündigung und Seelsorge haben. Aber auch der Pfarrplan 2030, also die Verteilung der Pfarrstellen, steht dem neuen Kirchenparlament bevor. „Ist dieser abgearbeitet, kommt die Anzahl der in den Ruhestand zu verabschiedenden und der neu einzustellenden Pfarrerinnen und Pfarrer wieder ins Gleichgewicht“, so Schneider. Dann soll das Thema Pfarrplan endgültig vom Tisch sein. Infolge des Pfarrplans 2024 hatte man 185 Pfarrstellen streichen müssen.
Was das Thema Kirchensteuer betrifft, so blickt die Präsidentin eher gelassen in die Zukunft. Sie rechnet nicht damit, dass diese vonseiten der EU so ohne Weiteres gestrichen werden kann. „Deutschland ist übrigens auch nicht, wie oft behauptet, das einzige Land, das Kirchensteuermittel erhält“, sagt sie und erwähnt als Beispiele die staatsfinanzierten Kirchen in Norwegen, Finnland und Schweden, aber auch Italien, das eine Kultursteuer erhebt, von der auch die Kirche profitiert.
Die Steuereinnahmen sprudeln noch immer, trotzdem könnten alle Wünsche berücksichtigt werden, betont Schneider. Wichtig sei der Synode aber immer auch der Blick über den Tellerrand hinaus. So gab sie auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle 2014/15 zehn Millionen Euro für 52 Stellen zur Begleitung der Helferkreise vor Ort frei. Zudem finanzierte sie die psychologische Betreuung der Geflüchteten mit 7,8 Millionen. Parallel dazu wurden die gleichen Summen für die Bekämpfung der Fluchtursachen und für Hilfen im Ausland ausgegeben. Ein Beispiel: Im Libanon errichtete man eine Krankenstation für Einheimische und Geflüchtete.
Nach langen Diskussionen konnte auch eine Regelung zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare erreicht werden. Einig war sich die Synode schließlich über den Abriss des Oberkirchenratsgebäudes, einem Gebäude aus den 1950er-Jahren, und den Neubau eines modernen Verwaltungsgebäudes für 60 Millionen, klimaneutral und technisch auf dem neuesten Stand. Diese Entscheidung stieß auf heftige Proteste im Kirchenvolk. Schneider, Mathematikund Religionslehrerin und als Präsidentin des Kirchenparlaments zur Unparteilichkeit verpflichtet, kann nach sachlicher Abwägung diese Empörung nicht verstehen. Eine Renovierung hätte nach ihren Worten auch 45 Millionen Euro gekostet, und das Gebäude wäre dann nicht zukunftsfest gewesen.
Zum letzten Mal tagt die 15. Landessynode vom 15. bis 19. Oktober 2019 im Hospitalhof in Stuttgart.