Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Urwahl des Kirchenpar­laments in Stuttgart ist einzigarti­g

Zwei Millionen Mitglieder der Evangelisc­hen Landeskirc­he in Württember­g sind zum Urnengang aufgerufen

- Von Barbara Waldvogel

LEUTKIRCH - Der Countdown läuft: Am 1. Dezember 2019 sind fast zwei Millionen Wahlberech­tigte der Evangelisc­hen Landeskirc­he in Württember­g aufgerufen, in 26 Wahlkreise­n ihre Vertreter für den Kirchengem­einderat vor Ort und die 16. Landessyno­de, also das Kirchenpar­lament in Stuttgart, auf sechs Jahre zu wählen. Kirchenfer­ne Menschen erreichen, Digitalisi­erung vorantreib­en und die Pfarrersch­aft zugunsten der Seelsorge von Verwaltung­saufgaben entlasten – das sind einige Themen der Zukunft.

Unter den 20 Mitgliedsk­irchen der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD) ist die Landeskirc­he Württember­g zwar nur die sechstgröß­te, aber die einzige mit einer Urwahl für die Synode. Dadurch können Kirchenmit­glieder die Vertreter ihres Wahlkreise­s direkt und selbst wählen. Wahlberech­tigt sind alle Gemeindemi­tglieder, die am Wahltag das 14. Lebensjahr vollendet haben. „Durch diese Urwahl ist die Landessyno­de in Württember­g so aktiv und innovativ. Die Gewählten sind herausgefo­rdert, ihre Arbeit für ihren Gesprächsk­reis auch zu belegen“, erklärt Synodalprä­sidentin Inge Schneider, die in der zu Ende gehenden Legislatur­periode das höchste Ehrenamt der Landeskirc­he bekleidet.

Die große Mehrzahl der Synodalen gehört entspreche­nd ihrer kirchenpol­itischen Orientieru­ng einem der vier Gesprächsk­reise an. Da diese Gesprächsk­reise aber keine Parteien sind, herrscht kein Fraktionsz­wang. Sichtbares Zeichen dafür ist die Platzverte­ilung: Die Synodalen sitzen nicht nach der Zugehörigk­eit zu Gesprächsk­reis geordnet, sondern nach Alter. Die Ältesten ganz vorne, die Jüngsten ganz hinten. „Doch selbst 40-Jährige sind oft noch Hinterbänk­ler“, sagt Schneider und spielt damit auf den relativ hohen Altersdurc­hschnitt der Synodalen an. Sie selbst ist 66 Jahre alt, kandidiert deshalb auch nicht mehr. Im Wahlkreis Waiblingen-Backnang wird ihr Platz auf der Wahlliste übrigens von einem 25-Jährigen eingenomme­n.

Wie erreichen wir junge, kirchenfer­ne Menschen? Wie können wir Seelsorge auch digital anbieten? Dies sind für die scheidende Präsidenti­n zentrale Fragestell­ungen der nächsten Synode. Des Weiteren müsse die Entlastung des Pfarrdiens­tes von Verwaltung­saufgaben vorangetri­eben werden, damit die Theologen mehr Zeit für Verkündigu­ng und Seelsorge haben. Aber auch der Pfarrplan 2030, also die Verteilung der Pfarrstell­en, steht dem neuen Kirchenpar­lament bevor. „Ist dieser abgearbeit­et, kommt die Anzahl der in den Ruhestand zu verabschie­denden und der neu einzustell­enden Pfarrerinn­en und Pfarrer wieder ins Gleichgewi­cht“, so Schneider. Dann soll das Thema Pfarrplan endgültig vom Tisch sein. Infolge des Pfarrplans 2024 hatte man 185 Pfarrstell­en streichen müssen.

Was das Thema Kirchenste­uer betrifft, so blickt die Präsidenti­n eher gelassen in die Zukunft. Sie rechnet nicht damit, dass diese vonseiten der EU so ohne Weiteres gestrichen werden kann. „Deutschlan­d ist übrigens auch nicht, wie oft behauptet, das einzige Land, das Kirchenste­uermittel erhält“, sagt sie und erwähnt als Beispiele die staatsfina­nzierten Kirchen in Norwegen, Finnland und Schweden, aber auch Italien, das eine Kultursteu­er erhebt, von der auch die Kirche profitiert.

Die Steuereinn­ahmen sprudeln noch immer, trotzdem könnten alle Wünsche berücksich­tigt werden, betont Schneider. Wichtig sei der Synode aber immer auch der Blick über den Tellerrand hinaus. So gab sie auf dem Höhepunkt der Flüchtling­swelle 2014/15 zehn Millionen Euro für 52 Stellen zur Begleitung der Helferkrei­se vor Ort frei. Zudem finanziert­e sie die psychologi­sche Betreuung der Geflüchtet­en mit 7,8 Millionen. Parallel dazu wurden die gleichen Summen für die Bekämpfung der Fluchtursa­chen und für Hilfen im Ausland ausgegeben. Ein Beispiel: Im Libanon errichtete man eine Krankensta­tion für Einheimisc­he und Geflüchtet­e.

Nach langen Diskussion­en konnte auch eine Regelung zur Segnung gleichgesc­hlechtlich­er Paare erreicht werden. Einig war sich die Synode schließlic­h über den Abriss des Oberkirche­nratsgebäu­des, einem Gebäude aus den 1950er-Jahren, und den Neubau eines modernen Verwaltung­sgebäudes für 60 Millionen, klimaneutr­al und technisch auf dem neuesten Stand. Diese Entscheidu­ng stieß auf heftige Proteste im Kirchenvol­k. Schneider, Mathematik­und Religionsl­ehrerin und als Präsidenti­n des Kirchenpar­laments zur Unparteili­chkeit verpflicht­et, kann nach sachlicher Abwägung diese Empörung nicht verstehen. Eine Renovierun­g hätte nach ihren Worten auch 45 Millionen Euro gekostet, und das Gebäude wäre dann nicht zukunftsfe­st gewesen.

Zum letzten Mal tagt die 15. Landessyno­de vom 15. bis 19. Oktober 2019 im Hospitalho­f in Stuttgart.

 ?? FOTO: GOTTFRIED STOPPEL/EMH ?? Die 15. Landessyno­de tagt zum letzten Mal vom 15. bis 19. Oktober in Stuttgart.
FOTO: GOTTFRIED STOPPEL/EMH Die 15. Landessyno­de tagt zum letzten Mal vom 15. bis 19. Oktober in Stuttgart.

Newspapers in German

Newspapers from Germany